Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 369 / September 2014

Schikaniert und ignoriert

Mieter/innen in der Kreuzberger Enckestraße sehen sich
mit einer aggressiven Entmietungsstrategie konfrontiert

Von Jutta Blume 

Recht verloren steht das Haus Enckestraße 4/4a zwischen dem Besselpark, dem Neubau der jüdischen Akademie und den zukünftigen Baufeldern des „Kreativquartiers Südliche Friedrichstadt“ direkt neben dem Gelände des ehemaligen Blumengroßmarkts. Zerfurchter Boden und ein Berg Äste zeugen vom Wüten eines Baggers. Offen stehende Fenster klappern im Wind. Entgegen dem ersten Anschein wohnen hier noch Menschen. 

 

Sieben Mietparteien leben im Gebäude. Das Vorderhaus steht unter Denkmalschutz, das Hinterhaus soll vermutlich abgerissen werden. Das Mietshaus gehört zu den 23 Häusern, die das Land Berlin und der Bezirk Kreuzberg im Jahr 1993 der damals landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft GSW schenkten (MieterEcho Nr. 351/ Dezember 2011). Die GSW wurde im Jahr 2004 privatisiert und verkaufte das Gebäude 2007 an die Bel Invest Immobilien GmbH. 2009 kamen erste Modernisierungsankündigungen, woraufhin etwa ein Viertel der Mieter/innen auszog. Zu einer Modernisierung ist es bis heute nicht gekommen, dafür aber zu umfangreichen Abrissarbeiten, wie die Mieterin Sofia Wagner* berichtet. So wurden in den leer stehenden Wohnungen Wasser- und Stromleitungen und sämtliche Sanitäranlagen aus den Wänden geschlagen, sodass diese nun unbewohnbar sind. Seit dem 10. Juli hat die Mieterin kein Wasser mehr in der Küche, da die Bauarbeiter ein Leck in der Steigleitung verursachten. Doch ihre Beschwerden werden kaum gehört, da für die Mieter/innen seit Anfang Juli kein wirklicher Ansprechpartner mehr existiert. Ende Juli teilte die Bel Invest Immobilien GmbH mit, dass sie nicht mehr für die Hausverwaltung zuständig sei, als neuer Ansprechpartner wurde der Anwalt der Firma, Manuel Kirstein, genannt. „Herr Kirstein hat mir gesagt, dass er nicht für Reparaturen zuständig ist“, sagt Wagner. Trotzdem richtet sie, wie auch andere Mieter/innen im Haus, sämtliche Korrespondenz an den rechtlichen Vertreter der Bel Invest. „Seit dem 22. Juli weigert er sich, die Annahme von Post zu bestätigen. Einem Nachbarn, den ich als Zeugen zur Briefabgabe mitgenommen habe, hat Herr Kirstein Hausverbot erteilt.“ Das vollständige Ignorieren der verbliebenen Mieter/innen scheint zur Entmietungsstrategie zu gehören. Die Mieter/innen des Hauses vermuten, dass die Bel Invest dem Käufer, der Münchner Grund Immobilien Bauträger AG, ein leeres Haus versprochen hat. 

 

Einschreiten des Bezirksamts gewünscht

Beim Bauamt liegen keine Anträge auf sanierungsrechtliche Genehmigungen vor. Die Münchner Grund sei vom Bezirksamt aufgefordert worden, sich mit den Mieter/innen in Verbindung zu setzen und bezüglich der Planung eine verträgliche Lösung zu entwickeln, hatte Baustadtrat Hans Panhoff im Dezember erklärt. Eine Kontaktaufnahme habe es aber nicht gegeben, so Wagner. Immer wieder tauchen auf dem Grundstück fragwürdige Baufirmen oder Abriss-unternehmen auf, berichtet die Mieterin. Ein Mann, der sich weigerte seinen Namen zu nennen, hatte über längere Zeit Schlüssel zu mehreren Wohnungen im Haus, leitete Abrissarbeiten und vermietete zwei Wohnungen anscheinend an größere Gruppen von Rumän/innen unter. Von Wagner auf seine Aktivitäten angesprochen, drohte er ihr, sie würde ihre eigene Wohnung eines Tages besenrein vorfinden. Nachdem sie Anzeige gegen ihn erstattete, ist er nicht mehr aufgetaucht. Auch wurden Dachboden- und Kellertüren aufgebrochen und Privatpersonen transportierten verwertbare Gegenstände ab. Bäume und Sträucher auf dem Hof wurden ohne vorherige Ankündigung gerodet und nur durch Einschalten des Naturschutzamts konnte ein Teil der Vegetation erhalten werden. Ergänzt werden die Schikanen durch immer neue Kündigungsschreiben der Hausverwaltung, in denen immer wieder verschiedene Ultimaten genannt werden, bis wann doch noch eine Abfindung im Fall des freiwilligen Auszugs ausgehandelt werden könne. „Wir Mieter/innen fühlen uns mittlerweile eklatant genötigt“, sagt Wagner. Sie erwartet vor allem ein stärkeres Einschreiten des Bezirksamts gegen die Entmietung.

 

Weitere Informationen:
http://gsw23.blogsport.eu

 

 

 


MieterEcho 369 / September 2014

Schlüsselbegriffe: Enckestraße 4/4a, Entmietungsstrategie, Kreativquartiers Südliche Friedrichstadt, Bel Invest Immobilien GmbH, Modernisierungsankündigungen, Bezirksamt, Baustadtrat Hans Panhoff, Kündigungsschreiben

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