Kosten der Energiewende
Warum Strom immer teurer wird
Von Rainer Balcerowiak
Kein vernünftiger Mensch wird Einwände gegen die politische Entscheidung Deutschlands haben, mittelfristig aus der Nutzung fossiler Energieträger zur Erzeugung von Strom auszusteigen. Ebenso unumstritten ist, dass die Etablierung regenerativer Energieerzeugung durch Photovoltaik, Wind- und Wasserkraft erhebliche öffentliche Investitionen und Fördermittel benötigt, denn die Energiewende ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Doch mittlerweile wird immer deutlicher, wer davon profitiert und wer die Zeche zahlt.
Seit dem Jahr 2000 sind die Strompreise für private Haushalte um 92% gestiegen. Im gleichen Zeitraum sanken die von Zwischenhändlern – wie etwa Stadtwerken – zu bezahlenden „Marktpreise“ um 0,4%, da das Angebot die Nachfrage übersteigt. An der Leipziger Strombörse kostet Strom derzeit im Schnitt 4 Cent netto pro Kilowattstunde (kWh), Nachtstrom sogar nur die Hälfte. Allerdings wird nur ein kleinerer Teil des Stroms direkt an der Börse gehandelt. Den Großteil beziehen die Versorger über langfristige Lieferkontrakte, die auf einem deutlich höheren Preisniveau basieren. Aufgrund des tendenziellen Überangebots könnte das Preisniveau zwar bei neuen Verträgen sinken, doch dies wird – wenn überhaupt – erst mittelfristig dämpfend auf die Preise wirken.
Politische Vorgaben prägen den Preis
Ohnehin haben die eigentlichen Beschaffungskosten der Anbieter nur relativ wenig mit der Strompreisentwicklung zu tun. Private Haushalte müssen derzeit im Bundesdurchschnitt 28,46 Cent/kWh bezahlen, wie das Verbraucherportal Verivox im September ermittelte. Davon kassieren die Energieversorger rund 25% für die Beschaffung beziehungsweise Produktion des Stroms sowie ihre Gewinnmargen. Der Löwenanteil mit rund 53% entfällt auf diverse Steuern und Abgaben: Stromsteuer, Konzessionsabgaben an die Kommunen sowie Abgaben, die sich unter anderem aus dem Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz (KWKG), dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) und der Offshore-Haftungsumlage ergeben. 22% entfallen auf die Netznutzungsentgelte, welche die Stromversorger den jeweiligen Netzbetreibern bezahlen müssen. Dazu kommt für die Endverbraucher/innen noch die Umsatzsteuer von 19%. Der Strompreis ist also maßgeblich von energie- und finanzpolitischen Vorgaben geprägt. Im Zuge der 1998 eingeleiteten Öffnung des Strommarkts für konkurrierende Anbieter, die anfänglich tatsächlich zur Senkung der Verbrauchspreise führte, setzte die Bundesregierung von vornherein auf einen Mix aus Interventionismus und Marktliberalität. Mit dem im Jahr 2000 verabschiedeten und mehrfach novellierten EEG wurde den Erzeugern von Strom aus regenerativen Quellen ein fester Abnahmepreis garantiert. Dieser beträgt bei Photovoltaik-Neuanlagen derzeit rund 12 Cent/kWh, bei Onshore-Windkraft sind es 9 Cent/kWh und bei Offshore-Anlagen bis zu 15 Cent/kWh. Strom aus Altanlagen wird für den verbindlichen Förderzeitraum von 20 Jahren deutlich höher vergütet. Zwar werden die Fördersätze in den kommenden Jahren stufenweise gesenkt, durch die nach wie vor rasant wachsenden Kapazitäten wird der absolute Förderbedarf aber kaum sinken.
Unternehmen werden verschont
Die privaten Stromkund/innen werden unmittelbar zur Kasse gebeten. Die EEG-Umlage ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen und beträgt derzeit 6,24 Cent/kWh. Im Prinzip sind auch gewerbliche Kunden betroffen, doch sogenannte energieintensive Betriebe, die sich „im internationalen Wettbewerb befinden“, können sich davon weitgehend befreien lassen. Von dieser Regelung profitieren über 2.000 Konzerne und Firmen, unter anderem Stahl- und Aluminiumproduzenten, aber auch Unternehmen wie Exxon Mobil Deutschland, der Hähnchenmäster Wiesenhof und große Handelskonzerne. Den Fehlbetrag von rund fünf Milliarden Euro müssen die Verbraucher/innen aufbringen. Zudem droht bereits die nächste Umlage, denn die Kosten für den Bau neuer Stromtrassen zum Transport des in den Küstenregionen erzeugten Offshore-Windstroms in die industriellen Ballungszentren im Süden Deutschlands soll ebenfalls den Verbraucher/innen aufgebürdet werden, jedenfalls teilweise.
Eigenheimbesitzer profitieren, Mieter/innen zahlen
Bei den privaten Verbraucher/innen wirkt sich die rasante Kostenexplosion der Strompreise unterschiedlich aus. So haben Eigenheimbesitzer die Möglichkeit, von der EEG-Umlage zu profitieren, sei es durch die Installation eigener Photovoltaikanlagen oder durch den Eigenverbrauch selbst erzeugten Stroms. Mieter/innen haben diese Option nicht – sie sind auf Gedeih und Verderb den örtlich jeweils verfügbaren Anbietern und ihrer Tarifgestaltung ausgeliefert. Auch die soziale Schieflage ist augenfällig. Während die Preissteigerungen für Transferleis-tungs-Beziehende kaum zu verkraftende Mehrbelastungen darstellen, können gutverdienende Haushalte die Kosten einigermaßen problemlos kompensieren. Anders als Geringverdienende haben sie zudem die Möglichkeit, ihren Verbrauch durch den Kauf moderner, stromsparender Haushaltsgeräte zu minimieren. Generell führt die „Energiewende“ zu einem beträchtlichen Umverteilungseffekt von unten nach oben. Rund acht Millionen Bundesbürger/innen profitieren durch eigene Stromerzeugung oder durch Beteiligungen an Ökostromanlagen von den Fördermitteln – Fördermittel, die von den restlichen Kund/innen aufzubringen sind.
Instrumente gegen soziale Schieflage
Zwar könnten die Strompreise 2015 erstmals seit vielen Jahren leicht sinken, da die EEG-Umlage leicht reduziert wird, nämlich von 6,24 auf 6,17 Cent/kWh. Eine nachhaltige Lösung für die wachsende Energiearmut vieler Haushalte wäre dies aber noch lange nicht. Nötig wäre zum einen die umfassende Neugestaltung der Förderung erneuerbarer Energien, auch durch eine stärkere Einbeziehung der Industrie und eine Reduzierung der Mitnahmeeffekte. Die Finanzierung übergeordneter infrastruktureller und energiepolitischer Aufgaben wie Netzausbau und Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung könnte aus Steuermitteln finanziert werden, beispielsweise durch ein Sondervermögen oder einen Staatsfonds. Auch die Rekommunalisierung möglichst vieler Stromerzeuger und -lieferanten sowie der Stromnetze könnte sich mittelfristig preisdämpfend auswirken. Doch auch das wird kurzfristig nicht zur durchgreifenden Entlastung führen. Um allen unabhängig vom Einkommen den angemessenen Zugang zu Strom zu ermöglichen, muss ein geschütztes Marktsegment entstehen. Dabei sind mehrere Varianten denkbar. So könnte die Entwicklung der Strompreise unmittelbar in die Berechnung der Regelsätze für Hartz IV, Grundsicherungs- und Wohngeld einfließen. Ein anderes Modell sieht vor, dass zahlungsschwache Haushalte eine bestimmte Menge Strom für einen stark subventionierten Preis erhalten. Möglich wäre ferner – allerdings nur ergänzend zu einer bezahlbaren Grundversorgung – ein Anreizsystem zur Senkung des Stromverbrauchs. Die „Klimaallianz“, der unter anderem Ökoenergieverbände, Umweltschutzorganisationen, Gewerkschaften und Mietergruppen angehören, schlägt dafür eine differenzierte Gestaltung der Stromsteuer für Privathaushalte vor, die derzeit 2,1 Cent/kWh beträgt. Sie könnte für einen Pro-Kopf-Verbrauch von bis zu 500 kWh auf 0,1 Cent abgesenkt werden und bis zu einem Verbrauch von 2.000 kWh und mehr progressiv auf 4,1 Cent steigen.
Zukunft der Energiewende
Noch ist die Energiewende in Deutschland von breiter gesellschaftlicher Akzeptanz getragen. Das Abschalten der Atomkraftwerke und der allmähliche Ausstieg aus dem Kohlestrom sind alternativlos. Ein derartiges Mammutprojekt ist nicht zum Nulltarif zu haben, doch den immensen Anfangsinvestitionen stehen mittel- und langfristig riesige Potenziale für eine kostengünstige, effiziente und klima- wie auch industriepolitisch positive Energieversorgung gegenüber. Wenn aber der Staat nicht schleunigst Instrumente zur sozialen Gestaltung der Strompreise entwickelt und umsetzt, wird die Akzeptanz sinken und die Energiewende für ärmere Teile der Bevölkerung zur weiteren Verschlechterung ihrer Situation führen.
MieterEcho 371 / Dezember 2014
Schlüsselbegriffe: Kosten, Energiewende, regenerativer Energie, Strompreise, private Haushalte, Netznutzungsentgelte, Strommarkt, EEG-Umlage, Eigenheimbesitzer, Kostenexplosion, Photovoltaikanlagen, Offshore-Anlagen, Geringverdienende, Grundversorgung