Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 368 / Juli 2014

Kein Konzept, dafür viele Vorurteile

Roma haben es auf dem Berliner Wohnungsmarkt schwer

Von Christian Schröder

In Berlin wohnen Hunderte Roma unter katastrophalen Bedingungen – in heruntergekommenen Häusern, Elendsquartieren oder auf der Straße. Senat und Bezirke sind auf diese Zuwanderergruppe nur unzureichend vorbereitet.

 

Seitdem Polen (Mai 2004) sowie Rumänien und Bulgarien (Januar 2007) Mitglieder der Europäischen Union sind, kommen immer mehr Roma aus diesen Ländern nach Berlin. Sie nutzen das Freizügigkeitsrecht, um ihrer katastrophalen Lebenssituation und um Diskriminierung zu entkommen. Aus denselben Gründen fliehen Roma als Asylsuchende aus den Balkanstaaten, wo ihnen teilweise systematisch der Zugang zu Wohnraum, Schulbildung und Krankenversorgung verwehrt wird, nach Berlin. 

Wie viele der Immigrant/innen aus Ost- und Südosteuropa tatsächlich Roma sind, lässt sich nicht sagen, da in Deutschland keine Statistiken nach ethnischen Zugehörigkeiten geführt werden. Auf dem Berliner Arbeitsmarkt werden sie häufig ausgebeutet oder müssen ihren Lebensunterhalt mit Schwarzarbeit, dem Verkauf von Obdachlosenzeitungen oder Flaschensammeln bestreiten. Zwar genießen Immigrant/innen aus Rumänien und Bulgarien seit Januar 2014 die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit und müssen sich nicht mehr in die Scheinselbständigkeit flüchten, doch ausbeuterische Arbeitsverhältnisse gibt es weiterhin.

 

Unseriöse Vermieter nutzen Situation aus

Auf dem angespannten Berliner Wohnungsmarkt haben Roma es besonders schwer. Viele verfügen nur über ein geringes Einkommen und zudem über einen unsicheren Aufenthaltsstatus, wenn sie als Asylsuchende kommen. Weil sie Vorbehalten und Diskriminierung auf Vermieterseite ausgesetzt sind, kommen sie oft bei Bekannten unter oder sind auf Angebote von unseriösen Vermietern angewiesen. Solche Vermieter nutzen die geringen Kenntnisse des deutschen Mietrechts, Verständigungsprobleme, den Bedarf nach einer festen Meldeadresse sowie die Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt aus, um Miet- oder Untermietverträge zu weit überhöhten Preisen abzuschließen. Die Roma-Selbstorganisation Amaro Drom berichtet von Fällen, in denen zwei Familien mit insgesamt zwölf Personen auf 65 qm wohnen. Mittlerweile gibt es nach Erkenntnissen von Senat und Bezirken 35 überbelegte Mietobjekte in Mitte, 30 in Neukölln, vier in Lichtenberg und zwei in Reinickendorf. 

Hunderte Roma ohne Unterkunft übernachten in Autos, auf öffentlichen Plätzen, in Elendsquartieren, Abrisshäusern, verlassenen Laubensiedlungen oder Parks. Im Sommer 2009 ließen sich rund 30 Roma im Görlitzer Park in Kreuzberg nieder. Aufsehen erregte die Räumung eines verwahrlosten Mietshauses Anfang Juli 2012 in der Turmstraße 64 im Bezirk Mitte, das an Roma-Familien untervermietet worden war. Die Hausverwaltung ließ die Bewohner/innen des Hauses ohne rechtswirksamen Räumungstitel mithilfe eines Sicherheitsdienstes räumen. Rund 40 rumänische Roma verloren dabei ihr Dach über dem Kopf und übernachteten daraufhin auf dem Leopoldplatz im Wedding.

 

Keine Hilfe bei Obdachlosigkeit

Mitte August 2013 wurde bekannt, dass sich in der seit 2010 für den Weiterbau der A100 aufgegebenen Kleingartenkolonie in der Aronstraße in Neukölln Roma-Familien niedergelassen hatten. Dort lebten sie ohne Trink- und Abwasser sowie Müll-entsorgung. Das Bezirksamt ließ sie räumen, die Kolonie abreißen und setzte rund 50 Menschen auf die Straße. In der von Flüchtlingen besetzten Gerhard-Hauptmann-Schule in Kreuzberg lebten rund 40 Roma. Auch in informellen Siedlungen wie auf der Kreuzberger Cuvry-Brache oder auf dem Gelände der ehemaligen Bärenquell-Brauerei in Niederschöne-weide leben nach Schätzungen des Bezirks Menschen aus Bulgarien, Rumänien und Polen unter katastrophalen Bedingungen. Von Anfang des Jahres bis zur Räumung im Juni 2014 hatten sich rund 30 rumänische Roma in der aufgegebenen Laubenkolonie „Heideschlösschen” in Charlottenburg niedergelassen. Inzwischen werden die niedrigschwelligen Einrichtungen der Berliner Kältehilfe für Wohnungslose zu Zweidritteln von Menschen aus Ost- und Südosteuropa aufgesucht. Die Berliner Bezirke weigern sich, wie fast alle Kommunen in Deutschland, ihrer Verpflichtung nachzukommen, obdachlose EU-Bürger/innen unterzubringen. Sie entziehen sich stillschweigend oder mit der falschen Behauptung, sie seien zur Unterbringung nur verpflichtet, wenn sozialrechtliche Ansprüche auf Hartz IV oder Sozialhilfe vorhanden seien. Genau diese Leistungen werden EU-Bürger/innen – oftmals rechtswidrig – versagt.

 

Senat bleibt untätig

In der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage vom April 2014 schätzte der Staatssekretär für Bauen und Wohnen, Engelbert Lütke Daldrup (SPD), die Zahl der Roma-Familien aus Bulgarien und Rumänien, die in Berlin in prekären Wohnverhältnissen leben, auf mehr als 400. Die Dunkelziffer dürfte noch höher liegen. Berlin hat die kriminellen Machenschaften von Arbeitgeber- und Vermieterseite, mit denen Roma ausgebeutet werden, lange Zeit ignoriert. Zunächst begannen die Bezirke – allen voran Neukölln und Mitte – aktiv zu werden und Arbeitsgruppen einzurichten sowie Programme aufzulegen. Der Senat blieb lange Zeit untätig. Erst seit 2010 fördert der Senat – zunächst mit Minibeträgen – die Mobile Anlaufstelle für europäische Wanderarbeiter/innen und Roma der Vereine Amaro Drom/ Amaro Foro und Südost Europa Kultur. Die beiden Träger leisten Sprachvermittlung, aufsuchende Arbeits- und Sozialberatung schwerpunktmäßig für rumänische und bulgarische Roma. Seit 2011 finanziert das Land Berlin auch das Beratungsbüro für entsandte Beschäftigte. Ende 2011 wandten sich die Bezirke mit einem Hilferuf an den Senat. Er solle gesamtstädtisch aktiv werden und auf die Notlagen reagieren, welche die Bezirke allein nicht lösen können. Mitte Juli 2013 legte der Berliner Senat daraufhin eine „Berliner Strategie zu Einbeziehung ausländischer Roma“ („Aktionsplan Roma“) vor. Sie beinhaltet drei Aktivitäten, um die Wohnsituation von Roma in Berlin zu verbessern: Der Senat will ein Wohnheim für obdachlose Roma-Familien mit Kindern einrichten, Roma in Wohnungs- und Mietfragen beraten und „mit den Bezirken alle rechtlich möglichen Anstrengungen unternehmen“, um unseriöse Vermietungspraktiken zu bekämpfen. 

 

Große Ziele, mangelnde Umsetzung

Doch mit der Umsetzung des Aktionsplans hapert es – und dies nicht nur, weil erst mit dem Doppelhaushalt 2014/2015 die Gel-der dafür bereitgestellt wurden. So sucht die Integrationsbeauftragte Monika Lüke seit Monaten eine geeignete Immobilie für die Einrichtung eines Wohnheims für obdachlose Roma-Familien. In den Notübernachtungen und in der Kältehilfe ist eine Unterbringung von Kindern ausgeschlossen und in die familiengerechten Wohnheime kommen die Familien nicht herein, weil dazu eine Kostenübernahme nach Hartz IV oder Sozialhilfe nötig wäre. Die ersten Vorschläge der Senatsverwaltung zur Umsetzung des „Aktionsplan Roma“ während der Haushaltsberatungen im September 2013 waren teilweise geprägt von antiziganistischen Vorurteilen. So sahen beispielsweise die Pläne zum Roma-Wohnheim vor, dass dort zum „Verhindern von Konflikten im Stadtraum Sozialverhalten trainiert“ werden soll. Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) wollte, dass ein „grundsätzliches Signal“ gesendet würde, dass es „keine Leistung (...) ohne Gegenleistung“ gibt. Kinderbetreuung sei „nicht notwendig, aber die Sozialarbeiter sollten die Eltern dazu anhalten, ihre Kinder zu beschäftigen“. Amaro Foro und der Flüchtlingsrat kritisierten ein eigenes Wohnheim nur für Roma als ausgrenzend und stigmatisierend. 

Das Ziel, unseriöse Vermietungspraktiken zu bekämpfen, hat der Senat nicht wirklich weiterverfolgt. In einer Auflistung von Vorhaben, die Staatssekretärin Barbara Loth (SPD) Ende Mai 2014 vorlegte, findet sich keine ernsthafte Maßnahme, um die Vermietung unbewohnbarer Mietshäuser und die Untervermietung zu überteuerten Mieten zu unterbinden. Stattdessen schlägt der Senat „Wohnführerscheine“ für Mieter/innen vor und will Vermieter „sensibilisieren“ und „Anreize“ schaffen, damit „auch Menschen in prekären Lebenslagen Zugang zu bezahlbarem und solidem Wohnraum erhalten“.

Das Land Berlin war und ist auf die Wanderungsbewegung aus Ost- und Südosteuropa nur unzureichend vorbereitet. Der Senat hat die sozialen Folgen zu spät erkannt. Darunter haben Tausende Zuwanderer/innen zu leiden, die in der Hauptstadt unter katastrophalen Bedingungen leben und zugleich alltägliche Diskriminierung und Stigmatisierung durch Medien und durch Verwaltungspraktiken sowie im Alltag erfahren.      

 

Weitere Informationen:
www.amarodrom.de
www.amaroforo.de


MieterEcho 368 / Juli 2014

Schlüsselbegriffe: Roma, Berliner Wohnungsmarkt, Europäische Union, Diskriminierung, Immigrant/innen, Osteuropa, Südosteuropa, Berliner Arbeitsmarkt, Arbeitnehmerfreizügigkeit, Amaro Drom, Elendsquartiere, Obdachlosigkeit

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