Gespaltener Wohnungsmarkt
In vielen Metropolen Nordrhein-Westfalens schießen die Mieten in
die Höhe, während gleichzeitig große Bestände vernachlässigt werden
Von Grischa Dallmer und Matthias Coers
„Ich wohne im 12. Stock und der Aufzug funktioniert ab und zu“ , berichtet Nataliya Chestnova. Sie ist im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Wohnen in der Krise“ zusammen mit Siggi Heidt und Knut Unger zu Gast in Berlin. Nataliya wohnt mit 20.000 anderen Bewohner/innen in der Hochhaussiedlung Köln-Chorweiler, die in den 70er Jahren mit einem Sozialwohnungsanteil von 81% errichtet wurde.
Seit 1990 hat sich der Bestand an Sozialwohnungen halbiert und heute gibt es in Köln kaum noch preiswerten Wohnraum. Wie Nataliya haben über 80% der Stadtteilbewohner/innen einen Migrationshintergrund. Mehr als 45% der Haushalte beziehen Hartz IV und 33% Sozialhilfe oder Grundsicherungsgeld. Ein großer Teil der Bewohner/innen Chorweilers befürchtet, bald mit einem Phänomen kämpfen zu müssen, das sich auch in vielen anderen Teilen Nordrhein-Westfalens ausgebreitet hat: rücksichtsloses Agieren von Finanzinvestoren, die mit Wohnraum spekulieren, um Kapital zu verwerten.
Die Wohnungen in Chorweiler wurden zu großen Teilen vom gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmen Neue Heimat gebaut. Zu jener Zeit existierte noch das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz. Gemeinnützige Wohnungsunternehmen genossen hohe Steuer- und Gebührenvergünstigungen. Im Gegenzug war die Gewinnausschüttung auf höchstens 4% der eingezahlten Kapitaleinlagen begrenzt und nicht ausbezahlte Überschüsse mussten reinvestiert werden. Auch durften gemeinnützige Wohnungsunternehmen die Mieten nicht über die tatsächlichen Kosten hinaus anheben und nicht mit Wohnungen handeln.
Die Wohnungsgemeinnützigkeit bezeichnet Knut Unger als Klassenkompromiss: Wohnraum wurde nicht als direkte Kapitalverwertungsmöglichkeit genutzt, sondern der arbeitenden Bevölkerung für ihre Reproduktion zugestanden. So errichteten die Industriekonzerne mittels Subunternehmen zahlreiche Werkswohnungen in Form eines funktionalen Massenwohnungsbaus, bei dem sich das Bedürfnis der Bevölkerung nach Wohnraum eine Zeit lang mit den Kapitalinteressen deckte. Im Laufe der Jahrzehnte entfernten sich die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen jedoch immer weiter von ihrem sozialen Auftrag und orientierten sich mehr und mehr am Marktgeschehen. Das Gesetz der Wohnungsgemeinnützigkeit wurde zum 1. Januar 1990 außer Kraft gesetzt, sodass die Eigentümer freie Fahrt erhielten, höhere Renditen anzustreben. Die Industriekonzerne trimmten zunehmend ihre Werkswohnungs-Subunternehmen auf Profitabilität und Marktkompatibilität, um sie auf die Privatisierung vorzubereiten.
Strategie der Finanzinvestoren
Die Regierung Schröder sorgte dann im Jahr 2000 mit einem Steuergesetz für Steuererleichterungen für den Verkauf von Firmenanteilen. So wurden vollends die Schleusen für Wohnungsprivatisierungen geöffnet. Hunderttausende Wohnungen in Deutschland wurden in den folgenden Jahren an Finanzinvestoren wie Deutsche Annington/Terra Firma, Fortress oder Goldman Sachs verkauft. Diese Private-Equity-Fonds kaufen mit privaten Vermögen Wohnungen, um sie später gewinnbringend wieder abzustoßen. Die dafür notwendige Wertsteigerung der Immobilien findet in erster Linie zulasten der Mieter/innen statt. Die Festlegung des Werts einer Immobilie ist hier an die spekulativen Erwartungen zukünftiger Renditen geknüpft. Um die Gewinne zu erhöhen, wird Personal entlassen, sodass Mieter/innen und Mietsache einer extremen Vernachlässigung ausgesetzt werden, bei gleichzeitiger Nichtansprechbarkeit der Hausverwaltung. Trotz dieser verringerten Lebens- und Wohnqualität kommt es gleichzeitig zu Mieterhöhungen. Die Mieterhöhungen gehen oft über die örtliche Vergleichsmiete hinaus und sind häufig unwirksam. Wenn Mieter/innen gegen diese Mieterhöhungen den Rechtsweg gehen, gewinnen sie meist. Doch diesen Weg gehen leider viel zu wenige Mieter/innen. Daher übersteigen die aufgrund der Mieterhöhungen höheren Neubewertungen der Immobilien die Verluste der Unternehmen, die durch Prozesskosten und Strafen verursacht werden.
Nachdem die Substanz der Gebäude und Wohnungen, die Geldbeutel der Mieter/innen und ihre Nerven für die Neubewertung ausgeschlachtet wurden, wird oft der Börsengang angestrebt, wo die Immobilien mittels Aktien abgestoßen werden. Die Anleger wollen dann die ihnen versprochenen Profite realisiert sehen, was zu weiteren Belastungen der Mieter/innen führt: extreme Mieterhöhungen, Zwangsräumungen, mieterhöhende Modernisierungen (wo es sich zu lohnen scheint) und weitergehende Vernachlässigung (wo es sich nicht lohnt). Ein Unternehmen, das besonders ausufernd dieses Verfahren praktiziert, ist die seit Juli 2013 börsennotierte Deutsche Annington. Sie verspricht ihren Aktionären die Ausschüttung hoher Gewinne. Von rund 180.000 Wohnungen sollen ca. 66.000 modernisiert, 22.000 als Eigentumswohnungen privatisiert und 14.000 an andere Verwerter weiterverkauft werden. In 78.000 Wohnungen soll nichts geschehen, aber die Miete erhöht werden.
Vernachlässigung in Chorweiler
In Chorweiler-Zentrum gibt es rund 2.700 Wohnungen, in 1.700 davon bestehen gravierende Instandhaltungsmängel. Nachdem die Neue Heimat Ende der 80er Jahre zusammengebrochen war, gingen die Bestände, rund 38.000 Wohnungen, an die Landesentwicklungsgesellschaft, die seit Februar 2013 als LEG NRW AG börsennotiert ist. Nach der Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit wurden die Wohnungen privatisiert und an Fonds sowie später an Privatpersonen verkauft. 2005 ging eine Einzeleigentümerin von 1.200 Wohnungen insolvent. Seitdem stehen diese Wohnungen unter Zwangsverwaltung. 600 weitere Wohnungen wechselten ebenfalls des öfteren den Besitzer und gehören nun dem Finanzinvestor BGP. Es sieht so aus, als würden diese Wohnungen bald wieder weiterverkauft werden. Sowohl bei den zwangsverwalteten Wohnungen als auch in den Beständen von BGP wird kaum langfristig investiert.Der Druck der Mieter/innen und des Sozialbüros Chorweiler, bei dem Siggi Heidt tätig ist, machte den Sozialdezernent, den Oberbürgermeister und sogar den Wohnungsbauminister auf das Problem aufmerksam. Dem Zwangsverwalter der 1.200 Wohnungen wurden mehr Gelder zur Verfügung gestellt, sodass sich die Instandhaltung der Häuser ein wenig verbesserte. Zugleich bekam die Mieterkontaktstelle des Sozialbüros Chorweiler Räume zur Verfügung gestellt, um Mieter/innen zu beraten und zu unterstützen. Mit der Zeit seien immer mehr Mieter/innen der BGP-Häuser vorbeigekommen und sie berichteten von extremer Vernachlässigung ihrer Häuser. In einer Umfrage, an der sich 36% der BGP-Mieter/innen beteiligten, traten die Missstände deutlich zutage: 64% der Bewohner/innen haben Probleme mit undichten Fenstern, 40% mit der Lüftung und 39% mit sich ausbreitendem Schimmel.
Die Bewohner/innen Chorweilers befürchten, dass sich in den 1.200 zwangsverwalteten Wohnungen die missliche Lage nach einem drohenden Verkauf an einen Finanzinvestor noch verschärft. Durch die Aktivitäten des lokalen Zusammenschlusses ‚Wir sind Chorweiler‘ ist es aber gelungen, einen ersten Termin der Zwangsversteigerung im Januar 2013 zu verhindern. Auch der Oberbürgermeister hat zugesagt, sich für den Stadtteil einzusetzen. Eine Projektgruppe Chorweiler wurde gegründet, die Einfluss darauf nehmen soll, an wen die Wohnungen letztendlich verkauft werden. Für das ungünstigste Szenario eines Verkaufs an einen renditehungrigen Finanzinvestor wurde eine sogenannte Task-Force-Gruppe geschaffen, die bei groben Vernachlässigungen oder unzulässigen Mieterhöhungspraktiken Bußgelder verhängen soll.
Mieterprotest in Köln
In Köln ist organisierter Mieterprotest noch recht jung, aber gerade deutlich im Kommen. Auf Veranstaltungen und Demonstrationen werden die Praktiken der Finanzinvestoren öffentlich gerügt, eine Recht-auf-Stadt-Initiative hat sich in Köln gegründet und neuerdings werden sogar Zwangsräumungen blockiert. Man kann verhalten optimistisch sein, dass sich so die Beziehungen kämpfender Mieter/innen stadtteil- und stadtübergreifend verstetigen können, um den Eigentümer/innen die Mieterinteressen relevant entgegenzusetzen.
Am 26. September 2013 berichteten Knut Unger vom MieterInnenverein Witten und Siggi Heidt vom Sozialbüro der katholischen Pfarrgemeinde Chorweiler im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Wohnen in der Krise. NEOLIBERALISMUS – KÄMPFE – PERSPEKTIVEN“ über das Wohnen in Nordrhein-Westfalen. Nataliya Chestnova ergänzte aus ihren Erfahrungen als Mieterin in Chorweiler.
Die Veranstaltungsreihe wirft einen Blick auf die Situation in anderen Ländern und Städten. Dokumentation, Videos und weitere Informationen unter:
www.youtube.com/WohneninderKrise
www.bmgev.de/politik/wohnen-in-der-krise.html
MieterEcho 367 / Mai 2014
Schlüsselbegriffe: Nordrhein-Westfalen, Wohnungsmarkt, Hochhaussiedlung Köln-Chorweiler, Sozialwohnungen, gemeinnützige Wohnungsunternehmen, Finanzinvestoren, Mieterhöhungen, Zwangsräumungen, Modernisierungen, Mieterprotest