Ein profitables Geschäft
Mit der Unterbringung von Wohnungslosen machen viele
Betreiber Kasse – die tatsächliche Hilfe kommt zu kurz
Von Christian Schröder
Die Zahl der Wohnungslosen steigt gegenwärtig nach vielen Jahren des Rückgangs bundesweit wieder – vor allem in den Großstädten. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe, der Dachverband der Wohnungslosenhilfe in Deutschland, prognostiziert für den Zeitraum von 2012 bis 2016 eine Zunahme der Wohnungslosigkeit um 30% auf 380.000 Menschen.
Laut Berliner Senat ist seit 2009 „eine stetige Steigerung des Bedarfs an Unterbringungsplätzen für wohnungslose Menschen zu verzeichnen“. Gründe für die steigende Wohnungslosigkeit sind der Mangel an bezahlbarem Wohnraum, Verarmung, Hartz-IV-Sanktionen, Mietschulden und Zwangsräumungen. Die Kommunen sind gesetzlich dazu verpflichtet, Obdachlose unterzubringen, etwa in Obdachlosenheimen, Pensionen oder Hostels. In Berlin ist dies Aufgabe der Bezirke – die damit angesichts der Zunahme der Wohnungslosigkeit zunehmend überfordert sind. Die Anzahl der Notübernachtungsplätze reicht nicht mehr aus. Sozialberatungsstellen berichten, dass sie keine Plätze für Wohnungslose bekommen. Dies bestätigte Sozialstaatssekretär Dirk Gerstle (CDU) in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Piraten. Demnach waren zum Stichtag 1. Juni 2013 in den vertragsfreien Unterkünften nur 16 von 5.132 Plätzen frei. In den Innenstadtbezirken liegt die Auslastung deutlich über 100%. Besonders für Frauen und Familien mangelt es an Unterkunftsplätzen. Die Bezirksbürgermeister gehen davon aus, dass rund 1.000 Wohnheimplätze in Berlin fehlen.
In Berlin werden Wohnungslose überwiegend in vertragsfreien Obdachlosenunterkünften untergebracht. Gab es 1997 noch rund 230 solcher Unterkünfte mit über 10.000 Plätzen, sind es aktuell 114 mit 5.100 Plätzen. Fünf Bezirke unterhalten darüber hinaus insgesamt sieben kommunale Einrichtungen mit zusammen 365 Plätzen. Betrieben werden die vertragsfreien Obdachlosenunterkünfte von gemeinnützigen Trägern (25 Einrichtungen) oder privaten Firmen (89). Die Betreiber verpflichten sich, berlinweit gültige Standards einzuhalten und erhalten dafür einen vereinbarten Tagessatz. Ein Platz kostet pro Tag zwischen 20 und 30 Euro im Einzelzimmer oder 12 bis 15 Euro im Mehrbettzimmer. Ein lukratives Geschäft für die Betreiber. Kein Wunder, dass auf diesem Markt zahlreiche Anbieter aktiv sind, die sich auf Unterbringung von Flüchtlingen, Obdachlosen, Senioren oder Menschen mit Behinderungen spezialisiert haben.
Fehlende Kontrolle der Standards
Bundesweit einheitliche Standards gibt es nicht. Die Evangelische Obdachlosenhilfe kritisierte in ihrer „Nürnberger Erklärung“ vom Oktober 2012, dass bundesweit in Obdachlosenunterkünften „oftmals unzumutbare Lebensbedingungen“ herrschen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe formulierte im Sommer 2013 Mindeststandards für die ordnungsrechtliche Unterbringung Wohnungsloser. Hierzu zählen eine Mindestwohnfläche von 14 qm pro Person, Gemeinschaftsräume, Kühlschränke, Kochgelegenheiten, abschließbare Schränke, sozialarbeiterische Beratung sowie die Möglichkeit zur Einrichtung einer Postadresse. Von diesen Standards sind die meisten Obdachlosenunterkünfte in Berlin weit entfernt, zudem bestimmen in den vertragsfreien Unterkünften die jeweiligen Betreiber die Anzahl und die Qualifikation des Personals. Vorgaben zum Personalschlüssel gibt es nicht. Eine begleitende Unterstützung bei der Reintegration Wohnungsloser in normale Wohnungen fehlt oft.
Kein Handlungsbedarf
Die Verweildauer der Bewohner/innen in den Einrichtungen steigt stetig an. Die meisten Bezirke sind mit der Kontrolle der Standards in den vertragsfreien Obdachlosenunterkünften überfordert. In Friedrichshain-Kreuzberg etwa finden seit Jahren keine Kontrollen mehr statt. Sanktionen wie Belegungsstopps wurden berlinweit in den vergangenen zwei Jahren gegen keinen einzigen Betreiber verhängt. Nicht nur die Wohnungslosenhilfe warnt vor der Zunahme der Wohnungslosigkeit. Auch der Senat geht davon aus, dass sich die Situation in den kommenden Jahren verschärfen und die Verweildauer in den Einrichtungen noch länger werden wird, weil die Menschen keine reguläre Wohnung finden. Bezirke und Senat sehen dennoch keinen Handlungsbedarf.
MieterEcho 365 / Februar 2014
Schlüsselbegriffe: Unterbringung, Wohnungslose, Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe, Verarmung, Hartz-IV-Sanktionen, Mietschulden, Zwangsräumungen, bezahlbarer Wohnraum, Notübernachtungsplätze, Wohnheimplätze, Obdachlosenunterkünfte, Zunahme Wohnungslosigkeit