„Die Schaffung von öffentlichem Wohnraum ist ein Gebot der Stunde“
Die Stadt Graz in der Steiermark setzt weiterhin auf Gemeindewohnungsbau
Interview mit Stadträtin Elke Kahr (KPÖ)
Elke Kahr ist seit 2003 Stadträtin für Wohnungsangelegenheiten in Graz, der mit 270.000 Einwohner/innen zweitgrößten Stadt Österreichs. Sie ist Mitglied der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ), die bei den letzten Grazer Gemeinderatswahlen 2012 mit rund 20% zweitstärkste Kraft wurde. |
MieterEcho: Graz gehört zu den wenigen Städten, die in den letzten Jahren neue Gemeindewohnungen geschaffen haben. Warum setzen Sie auf öffentlichen Wohnungsbau?
Elke Kahr: Unsere Gemeindewohnungen garantieren bezahlbare Mieten, sind provisionsfrei und haben – wenn überhaupt – sozial gestaffelte Kautionen. Außerdem werden sie unbefristet vermietet. Sie stellen für mich ein notwendiges Korrektiv zum freien Markt mit seinen hohen Mieten dar. Sie würden bei entsprechend größerer Zahl diese Mieten auch dämpfen. Die Mieten in den Gemeindewohnungen liegen rund 40% unter dem Marktniveau und das Mietzahlungsmodell des Wohnungsamts garantiert, dass nicht mehr als ein Drittel des Haushaltseinkommens für die Miete aufgewendet werden muss.
Baut die Stadt Graz die Wohnungen selbst?
Seit den 1960er Jahren werden in Graz Gemeindewohnungen in sogenannten Übertragungsbauten errichtet. Die Stadt stellt ein erschlossenes Grundstück zur Verfügung und sucht eine gemeinnützige Genossenschaft, die darauf mit Fördermitteln des Landes Wohnungen errichtet. Die Wohnungen werden von der Genossenschaft verwaltet, bis sie nach Ablauf einer bestimmten Zeit in das Eigentum der Stadt fallen. Die Stadt hat von Anfang an das Einweisungsrecht. Optimal wäre es natürlich, wenn die Stadt Graz selbst wieder als Bauträgerin auftreten würde.
Wie groß ist der kommunale Bestand?
Die Stadt Graz ist Eigentümerin von rund 4.200 Wohnungen und verfügt über das Einweisungsrecht von weiteren rund 6.600 Genossenschaftswohnungen. Das macht zusammen rund 10.800 Gemeindewohnungen. Gemessen an Wien ist das natürlich wenig. Viel zu viele Grazer/innen müssen sich auf dem sogenannten freien Markt versorgen. Seit 1999 konnten wir jedoch 726 neue Gemeindewohnungen schaffen und weitere 220 sind in Planung. Im Jahr 2005 haben wir durch eine Sonderförderung des Landes Steiermark mit einer Genossenschaft ein bis heute einzigartiges Projekt verwirklicht: In Holzbauweise wurden 35 Wohnungen mit Fernwärme und modernem Bad zu Bruttomieten – inklusive Heizung – von 4,40 bis 4,60 Euro/qm errichtet. Ziel war es, durch bezahlbare Mieten die Bewohner/innen unabhängig von der Wohnbeihilfe – also der Subjektförderung ähnlich dem deutschen Wohngeld – zu machen.
Nach welchen Gesichtspunkten werden die Wohnungen vergeben?
Die Wohnungsvergabe erfolgt durch ein spezielles Punktesystem. Hier werden die persönlichen Verhältnisse der Bewerber/innen wie Einkommen, Kinder, Behinderung und die derzeitige Wohnsituation berücksichtigt.
Welche Nachfrage besteht nach den Gemeindewohnungen?
Graz ist eine der am stärksten wachsenden Städte Österreichs, deshalb ist der Druck hier besonders groß. Es sind längst nicht mehr nur Arbeitslose, Rentner/innen mit Grundsicherung oder Alleinerziehende, die sich die Mieten am privaten Markt nicht leisten können. Auch Menschen mit einem oder auch mehreren Jobs haben immer öfter Probleme, mit ihrem Lohn eine Wohnung zu finanzieren, selbst bei bescheidener Lebensführung. Die „freie“ Mietzinsvereinbarung sowie das völlig undurchschaubare Richtwertsystem ermöglichen zum Teil horrende Mieten.
Was sind die Anforderungen an einen zeitgemäßen kommunalen Wohnungsbau?
Mit der vom städtischen Wohnungsamt in Auftrag gegebenen Studie „Kommunaler Wohnbau anders“ wurden 2009 für ein konkretes Bauprojekt erstmals die besonderen Herausforderungen an einen neuen kommunalen Wohnungsbau herausgearbeitet. Das Ergebnis waren 100% Barrierefreiheit, verschiedene Wohnungsgrundrisse für unterschiedliche Lebensentwürfe, Studentenwohnungen, Miteinbeziehung von Kindern in die Planung, Gemeinschaftsräume, Kinderwagenräume, überdachte Fahrradständer, Tiefgarage, ein großzügiger Spielplatz sowie ein Quartierspark. Das entsprechende Haus wurde in Passivbauweise errichtet, verfügt über kontrollierte Wohnraumlüftung mit Wärmerückgewinnung, Fernwärmeanschluss und Solaranlage.
Sie betonen stets, man müsse Wohnungspolitik als Teil der Sozialpolitik begreifen. Was heißt das für Sie?
Der Markt mag vieles regeln, aber nicht die Wohnungsversorgung. Wohnen ist keine Ware wie jede andere. Auf ein Auto kann ich unter Umständen verzichten, auf eine Wohnung nicht. Wo und wie ich lebe, hat etwas mit der sozialen Stellung in der Gesellschaft zu tun. Es kommt mir oft wie eine Verhöhnung vor, wenn in Hochglanzbroschüren „Wohnträume“ angepriesen werden – zu Mietpreisen, die höher sind als ein Monatsverdienst oder deren Kaufpreis beinahe eine Lebensverdienstsumme ausmacht. Immer öfter stellen bereits die Wohneinstiegskosten – Maklerprovision, Kaution, Mietvertragsgebühr und ein Mindestmaß an Mobiliar – fast unüberwindbare Hürden dar. Deshalb ist die Erhaltung von kommunalen Wohnungen für mich eine der wichtigsten sozialpolitischen Aufgaben. Privatisierungswünschen ist eine klare Absage zu erteilen. Die Schaffung von öffentlichem Wohnraum ist ein Gebot der Stunde.
Eine kommunistische Partei, die seit anderthalb Jahrzehnten die Wohnungspolitik einer europäischen Großstadt leitet – das ist exotisch. Was ist das Geheimnis Ihres Erfolgs?
Wir haben uns zum Ziel gesetzt, die Menschen nicht auf eine bessere Welt zu vertrösten, sondern ihnen eine nützliche Partei des täglichen Lebens zu sein. Dabei vergessen wir nicht, auf unseren weltanschaulichen Kompass zu achten, und wir behandeln auch die „großen“ politischen Themen. Eines davon ist das Wohnen. Ein Grund- und Menschenrecht, wie man in den Sonntagsreden hört. Aber für immer mehr Menschen ist es ein Problem, wenn die niedrigen Gehälter kaum reichen, um überteuerte und desolate Wohnungen zu bezahlen. Wenn Menschen bereits 60% ihres Einkommens und mehr für das Wohnen ausgeben, liegt es auf der Hand, dagegen vorzugehen. Dabei erleben wir Erfolge und Rückschläge, versuchen aber immer, den Menschen zu helfen und glaubhaft zu bleiben, indem wir nichts versprechen, was wir nicht halten können. Dafür schenken uns viele Grazer/innen ihr Vertrauen.
Angesichts der großen Themen: Wo sind die Grenzen einer kommunalen Wohnungspolitik?
Der globale Druck des Neoliberalismus wirkt sich freilich auch auf das Wohnen aus. Abgesehen davon, dass immer mehr Menschen arbeitslos werden oder von ihren Löhnen und Pensionen kaum noch leben können, sind es vor allem die neoliberalen Gesetze und Verordnungen, die das Wohnen immer teurer machen. Auf Bundesebene gibt es fast nur vermieterfreundliche Novellen des Mietrechtsgesetzes. Auf Landesebene wurden neben vielen anderen Sozialleistungen auch die Wohnbeihilfen gekürzt. Außerdem ist im Gespräch, die Eigentumsrechte an Landeswohnungen zu verkaufen. Auf Stadtebene wurde beschlossen, Gebühren automatisch um die Inflation zu erhöhen. Die Einkommen steigen aber nicht automatisch. Freilich hätten auch die Kommunen genug Spielräume, eine andere Politik zu machen. Da aber die meisten Parteien dem Neoliberalismus huldigen, sind diese Möglichkeiten derzeit leider sehr begrenzt.
Was ist Ihr Fazit nach über 16 Jahren politischer Verantwortung der KPÖ und welche Herausforderungen bringt die Zukunft?
Einer der wichtigsten Erfolge ist die Tatsache, dass es uns bis heute gelungen ist, die städtischen Gemeindewohnungen vor der Privatisierung zu schützen. Das ist nicht zuletzt im Bündnis mit den Grazer/innen gelungen, die eine entsprechende Volksbefragung mit rund 95% unterstützt haben. Außerdem konnten wir durch Sanierung den Substandard gänzlich aus dem Gemeindebau entfernen. Die Mieten sind immer noch sehr niedrig. Mit dem Kautionsfonds unterstützen wird Wohnungsbewerber/innen in bestimmten Fällen. Unser Mieternotruf steht auch außerhalb unserer Bürozeiten für juristische Beratung zu Verfügung. Das Auftreten gegen Privatisierung wird auch in Zukunft im Mittelpunkt unserer politischen Arbeit stehen. Natürlich werden wir auch weiterhin Petitionen an den Landes- und Bundesgesetzgeber einbringen, wenn es etwa um eine Erhöhung der Wohnbeihilfen oder die Verbesserung des Mietrechtsgesetzes geht.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Philipp Mattern
MieterEcho 370 / Oktober 2014
Schlüsselbegriffe: Graz, Steiermark, Gemeindewohnungsbau, Stadträtin Elke Kahr, öffentlicher Wohnungsbau, bezahlbare Mieten, Genossenschaftswohnungen, Bruttomiete, Mietzinsvereinbarung, kommunale Wohnungspolitik