Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 362 / September 2013

Rundfunkputsch in Griechenland

Der öffentlich-rechtliche Sender wurde abgeschaltet – was wusste die Bundesregierung?

Von Hermann Werle                                    

Unter den Sparauflagen und Kürzungsprogrammen der Europäischen Union stürzen weite Teile der griechischen Gesellschaft ins nackte Elend. Die Jugendarbeitslosigkeit beträgt annähernd 65%, das Gesundheits- und das Bildungssystem liegen am Boden und rentable Staatsbetriebe werden verschleudert. Die Regierung unter dem Konservativen Antonis Samaras gleicht einem Marionettenkabinett, an dessen Fäden die EU unter deutscher Führung zieht. Vorläufiger Höhepunkt der drakonischen Maßnahmen gegen die griechische Gesellschaft stellt das Abschalten der öffentlichen Fernseh- und Radioanstalt ERT dar.        

                                

„Democracy? – No Signal“ prangt auf einem Plakat im Eingangsbereich der staatlichen Fernsehanstalt. Am 11. Juni 2013 wurden in einer Nacht- und Nebelaktion sämtliche Radio- und Fernsehkanäle der ERT abgestellt – im ganzen Land schwärzten sich die Bildschirme, nur Privatsender waren weiter zu empfangen. Ein Akt der Zensur der Samaras-Regierung, die „mehr und mehr autoritäre Züge“ annehme und „Vergleiche zur Militärdiktatur der Jahre 1967 bis 1974 nicht mehr linker Rhetorik vorbehalten“ würde, wie die New York Times kommentierte.            

Die letzte Redakteurin auf Sendung war Chrisa Roumelioti. Wie viele andere ihrer 2.656 Kolleg/innen verließ sie das Gebäude der  ERT für mehrere Tage nicht. „Sofort haben wir entschieden, den Sender zu verteidigen“, berichtete sie. Seither ist das ERT-Gebäude besetzt und regelmäßig gibt es vor dem Gebäude Konzerte und Solidaritätskundgebungen. Das weiterhin produzierte Programm wird mit Unterstützung diverser Organisationen aus dem In- und Ausland über das Internet verbreitet. Wie ihre Kolleg/innen fürchtet Roumelioti um ihren Arbeitsplatz. Denn die Regierung will einen neuen Staatsrundfunk (NERIT) installieren, allerdings mit stark abgespecktem Personal. Denn die alte ERT sei zu teuer gewesen und bedeute „eine unglaubliche Verschwendung“, wie der Regierungssprecher im Juni verlauten ließ. Dem widersprechen allerdings die Fakten: Die Zahl der Angestellten sowie die Gehälter wurden in den letzten Jahren bereits mehrfach gesenkt und Redakteur/innen wie Roumelioti verdienten zuletzt kaum mehr als 1.300 Euro. Zudem finanzierte sich ERT über Rundfunkgebühren und erwirtschaftete seit 2010 regelmäßig Gewinne.                                            

Anweisung aus Bonn?            

Da ERT keinen Sanierungsfall darstellt, vermuten die Angestellten andere Motive. Demnach könnte die Schließung der Rundfunkanstalt der Probelauf gewesen sein, dem die Abwicklung weiterer Staatsbetriebe folgen werden. Zudem könnten die defizitären privaten Fernsehanbieter von der Übernahme exklusiver Übertragungsrechte der ERT profitieren. Die EU-Kommission wie auch die Bundesregierung beteuerten zwar einhellig, nichts mit dem Beschluss der griechischen Regierung zu tun zu haben und die Schließung von ERT nicht verlangt zu haben, daran zu glauben, fällt indes schwer. Bereits in einem Beschluss der EU vom November 2011 findet sich der Auftrag an die griechische Regierung, mittels Ministerialbeschlüssen „die Schließung, den Zusammenschluss oder die erhebliche Verkleinerung“ diverser staatlicher Einrichtungen einzuleiten, darunter auch die ERT.    Auch dürfte die deutsche Seite stärker involviert gewesen sein als offiziell verkündet, denn schließlich war es die Tochtergesellschaft der Deutschen Telekom, die Hellenic Telecoms (OTE), die die Kappung der ERT-Sendesignale durchführte. Die vormals staatliche OTE war bereits 2008 in Teilen an den deutschen Konzern verkauft worden. Seither beherrscht die Deutsche Telekom die „Finanz- und Geschäftspolitik“ von OTE, wie der Geschäftsbericht 2009 vermerkt. Weitreichende, die OTE betreffende Entscheidungen, werden also in Bonn getroffen, dem Sitz der Telekom. An Staatssekretär Hans Bernhard Beus, der für das Finanzministerium im Aufsichtsrat der Telekom sitzt, dürften die Vorgänge in Griechenland kaum unbemerkt vorbeigegangen sein.  

 

 

 


MieterEcho 362 / September 2013

Schlüsselbegriffe: Griechenland, öffentlich-rechtliche Sender, Fernseh- und Radioanstalt, ERT, Chrisa Roumelioti, Sparauflagen, Europäischen Union, Staatsrundfunk, NERIT, Deutschen Telekom, Hellenic Telecoms, OTE, Bundesregierung

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