Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 362 / September 2013

REZENSION: Die Mitmachfalle

Immer wieder erschallt der Ruf nach mehr Bürgerbeteiligung, doch diese entpuppt sich häufig als anti-demokratisches Herrschaftsinstrument

Rezension von Joachim Oellerich        

 

Über das erste Buch von Thomas Wagner und das Thema Bürgerbeteiligung berichtet MieterEcho Nr. 353/ März 2012 mit dem Titel „Bürgerbeteiligung – Echte Demokratie oder neoliberales Steuerungsinstrument?“.

 

Die Zeiten, in denen Forderungen nach Bürgerbeteiligung alternativ und kühn systemkritisch erschienen, gehören offenbar der Vergangenheit an. Inzwischen hat die Politik entdeckt, dass sich die Zustimmung zu neoliberalen Großprojekten wie Stuttgart 21 nicht nur mit Bürgerbeteiligung gewinnen, sondern auch unter verringerten Reibungsverlusten wesentlich kostengünstiger durchsetzen lässt. Darüber hinaus lässt Bürgerbeteiligung eine Perspektive plebiszitär gestützter Herrschaft aufschimmern, die sich als unmittelbare Demokratie tarnt und von konservativ-liberalen Strategen wie Hans-Olaf Henkel und Hans Herbert von Arnim auf allen Fernsehkanälen medienwirksam angepriesen wird. Thomas Wagner hat diese Art der Demokratie in seiner ersten Buchveröffentlichung als Mogelpackung bezeichnet. In seinem zweiten Buch „Die Mitmachfalle“ beleuchtet er ein erweitertes Spektrum simulierter Einflussmöglichkeiten: Community Organizing à la Leo Penta, Partizipationskunst als Marketingzirkus am Beispiel vom BMW Guggenheim Lab in Berlin, Dialoge als Herrschaftsstrategie und Bürgerhaushalte als Demokratieersatz.     Wagner entlarvt den kreativen Sozialabbau, dem eine Avantgarde des „linken Neoliberalismus“ willfährig Vorschub leistet, indem sie die real existierende Armut und Not vieler Künstler/innen zur polit-avantgardistischen Tugend umdeutet und das von Richard Florida entworfene Trugbild schöpferischer Stadtentwicklung zur realgesellschaftlichen Perspektive verklärt, an der jede/r mitwirken kann.        

Eine solche Bürgergesellschaft hat mit den Auseinandersetzungen in der von Antonio Gramsci beschriebenen Zivilgesellschaft nichts zu tun. Sie ist deren Gegenteil. Wagner schreibt: „Während die zuerst von linker Bewegung ausgegebene Parole von der ‚Demokratisierung der Demokratie’ einst die Übertragung des demokratischen Prinzips auf alle gesellschaftlichen Bereiche, insbesondere auf die Sphäre der Ökonomie und die Frage nach dem Eigentum an den Produktionsmitteln, zielte, geht es den neoliberalen Verfechtern der Bürgergesellschaft nicht um die Überwindung der Kapitalherrschaft, sondern um ihre noch stärkere politische und ideologische Verankerung.“            

Komplizen lassen sich in der Partei Die Linke finden. Sie, so Wagner, „benehmen sich wie Schmuddelkinder, die nichts weiter wollen, als beim politischen Gesellschaftsspiel vom politischen Konkurrenten als Mitspieler akzeptiert zu werden“. Eine gesellschaftliche Alternative aber, eine neue demokratische Qualität könne nur erreicht werden durch eine Erweiterung der halbierten Demokratie „aus der Sphäre des Politischen in die bisher geschiedene Sphäre des Ökonomischen“.    

Damit weist Wagner nicht nur zukünftigen politischen Auseinandersetzungen einen Weg, er macht auch bewusst, dass Forderungen wie „Mitbestimmung und Arbeiterkontrolle“ keine Relikte der Vergangenheit sind, sondern in aktualisierter Form auf jede sich demokratisch verstehende Tagesordnung gehören.       


MieterEcho 362 / September 2013

Schlüsselbegriffe: Die Mitmachfalle, Thomas Wagner, Bürgerbeteiligung, Neoliberalismus, Community Organizing, BMW Guggenheim Lab Berlin, Bürgerhaushalte, Demokratieersatz, Antonio Gramsci, Zivilgesellschaft, Kapitalherrschaft, Demokratie, Arbeiterkontrolle

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