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MieterEcho 363 / Oktober 2013

Niedrige Löhne, hohe Mieten

Steigende Mieten tragen dazu bei, dass immer mehr Vollzeitbeschäftigte aufstocken müssen

Von Christian Linde

Fast jeder zweite Erwerbstätige im Niedriglohnsektor geht einer Vollzeitbeschäftigung nach. Dennoch wird häufig kaum ein auskömmliches Einkommen erreicht. Die Folge: Immer mehr Arbeitnehmer/innen gehören zum Kreis der Anspruchsberechtigten staatlicher Zuschüsse und müssen als sogenannte Aufstocker/innen Sozialleistungen beantragen. Eine Untersuchung kommt zum Schluss, dass die kontinuierlichen Mietpreissteigerungen zu den Ursachen dieser Entwicklung wesentlich beitragen.                                    


„Löhne rauf, Mieten runter“ ist einer der Slogans, der immer häufiger in Flugblättern, an Häuserwänden und auf Transparenten bei Demonstrationen zu lesen ist. Dass es sich dabei nicht nur um eine platte Parole handelt, untermauert nun auch eine wissenschaftliche Untersuchung. Demnach führt das Zusammenspiel von geringen Einkommen und steigenden Mieten immer häufiger dazu, dass vollzeitbeschäftigte Erwerbstätige gezwungen sind, den Gang zum Jobcenter anzutreten, um ihr Einkommen mit Arbeitslosengeld II (ALG II) aufstocken zu lassen. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung des Instituts Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen. Verfügen Beschäftigte nämlich mit ihrem Netto-Einkommen einschließlich Wohn- und Kindergeld sowie Kinderzuschlag über weniger als das sogenannte Existenzminimum, gelten sie als Anspruchsberechtigte auf finanzielle Unterstützung. Das trifft auf immer mehr Menschen zu. Laut einer Erhebung des Nürnberger Instituts für  Arbeitsmarkt- und Berufsforschung aus dem vergangenen Jahr verdient in Deutschland fast jede/r Vierte weniger als 9,54 Euro brutto pro Stunde.                                        

Hohe Dunkelziffer            

Das Institut der Universität Essen-Duisburg verglich in seiner Untersuchung in Modellrechnungen den Grundsicherungsbedarf und das Bruttoarbeitsentgelt für verschiedene Haushaltsgrößen und Mietrichtwerte. Ausgegangen sind die Wissenschaftler/innen dabei von einer Wochenarbeitszeit von 37,7 Stunden ohne Nebenbeschäftigung oder sonstiges zusätzliches Einkommen. Demnach muss ein vollzeitbeschäftigter Single einen Bruttostundenlohn von durchschnittlich 7,98 Euro verdienen, um ein Nettoeinkommen zu erreichen, das zumindest auf der Höhe des Grundsicherungsbedarfs im Rahmen des ALG II liegt. Diesem Betrag wurden Wohnkosten zugrunde gelegt, die von den Jobcentern im Bundesdurchschnitt anerkannt werden. In Städten, in denen dieser Wert aufgrund der Wohnungsmarktsituation höher liegt, ergibt sich ein entsprechend höherer Stundenlohn. So muss in München ein Single pro Stunde 9,66 Euro verdienen, um auf das Grundsicherungsniveau zu kommen. Ein/e Allein-Verdiener/in in einem 2-Personen-Haushalt müsste nach Abzug von Steuern und Abgaben – im Bundesdurchschnitt – mindestens 10,18 Euro Stundenlohn beziehen, um nicht unter das Niveau von Hartz IV zu geraten. „Die ermittelten Daten lassen erkennen, dass die zur Erreichung des Grundsicherungsbedarfs erforderlichen Stundenlöhne von Niedriglohnempfängern vielfach nicht erreicht werden“, so das Fazit der Studie. So wiesen die für das Jahr 2010 (letzte Datenerhebung) vorgelegten Befunde aus, dass der Stundenlohn im Niedriglohnsektor tatsächlich bei durchschnittlich 6,68 Euro im Westen beziehungsweise 6,52 Euro im Osten liege. „Zugleich zeigt sich, dass 44,8% der Niedriglohnempfänger in Deutschland vollzeitbeschäftigt sind“, heißt es weiter. „Der hohe Anteil der sogenannten Aufstocker auch bei Vollzeitbeschäftigten ist insofern eine unmittelbare Folge niedriger Stundenlöhne und hoher Mieten“, stellt der Verfasser der Studie Gerhard Bäcker fest. „Dabei ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen, denn viele wissen nicht, ob und in welcher Höhe sie Ansprüche auf Leistungen nach dem SGB II haben.“ Kritik übt der Wissenschaftler an den Arbeitsvermittlungen. So würden die Jobcenter nicht gezielt informieren. Bäcker geht davon aus, dass viele Betroffene versuchen, ihr Niedrigeinkommen – bei voller Arbeitszeit – durch Überstunden und Nebenjobs aufzubessern. Berechnungen des Instituts aus dem letzten Jahr zufolge würde von einem Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro jede/r fünfte Beschäftigte profitieren.            


MieterEcho 363 / Oktober 2013

Schlüsselbegriffe: Niedriglohnsektor, Vollzeitbeschäftigung, staatliche Zuschüsse, Sozialleistungen, Löhne rauf, Mieten runter, Arbeitslosengeld II, ALG II, Grundsicherungsbedarf, Wohnungsmarkt, Niedriglohnempfänger, Nebenjobs