Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 362 / September 2013

Krise frisst Wohnen

Das von der EU aufgenötigte Spardiktat gefährdet die Wohnungsversorgung in Griechenland

Von Grischa Dallmer und Matthias Coers        

Am 23. Mai 2013 berichtete im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Wohnen in der Krise“ Dimitra Siatitsa aus Athen von der Wohnsituation im von Sparmaßnahmen heimgesuchten Griechenland. Dimitra Siatitsa gehört zur Gruppe Encounter Athens, die sich für eine alternative Debatte zur Stadt und die Gewährleistung würdevoller Wohnbedingungen für alle einsetzt. Sie ist auch Mitglied bei INURA International Network for Urban Research and Action.

                        

In Griechenland wurde nach dem Zweiten Weltkrieg und dem anschließenden Bürgerkrieg von den Regierungen das Wohnen zur Wahrung des sozialen Friedens instrumentalisiert. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Förderung von Eigentumswohnungen. Der Staat regulierte den Immobilienmarkt indirekt durch eine geringe Besteuerung oder Steuerverzicht, Kredite mit niedrigen Zinssätzen sowie Schutz vor Spekulation. Als Ergebnis davon wohnen heute 75% der Bevölkerung in Eigentumswohnungen. Nur gut 11% haben dafür ein Darlehen aufgenommen. Die Mietwohnungen konzentrieren sich wie auch in anderen Ländern in den großstädtischen Ballungsgebieten.         

Vor der Krise stellte die Wohnsituation für viele Menschen kein großes Problem dar und wurde daher von Staat und Gesellschaft wenig thematisiert. Jahrelang trug die Wohnungswirtschaft einen großen Teil zum ökonomischen Wachstum und zur Schaffung von Arbeitsplätzen bei. Allerdings erfolgte bereits vor der Krise, auch ohne eine Immobilienblase wie in Spanien, eine neoliberale Transformation der Immobilienbranche wie auch der Wirtschaft im Allgemeinen. Zudem wurde Griechenland Mitglied der Europäischen Union, viel Geld wurde von Bauunternehmen investiert und immer mehr Menschen nahmen Darlehen auf. Schließlich richtete Griechenland auch eine Olympiade aus. Durch all dies veränderte sich die Struktur der Baubranche und es wurden größere Unternehmen gegründet, die dann hauptsächlich Ferien- und Luxuswohnungen bauten. Dementsprechend gab es in den letzten Jahren eine relative Überproduktion von Wohnungen, parallel zum Bevölkerungszuwachs in den großen Städten und den Tourismuszentren. Außerdem vergaben die Banken großzügig Darlehen, sowohl zum Kaufen als auch zum Bauen.                                                    

 

Die Krise nimmt Fahrt auf        

Mit der Krise änderte sich die Lage umfassend und in der Baubranche gingen viele kleine und mittlere Unternehmen pleite. Das führte zum Verlust von etwa 180.000 Arbeitsplätzen in der Bauindustrie sowie im mit der Bauwirtschaft verwobenen Mittelstand. Aufgrund der Arbeitslosigkeit und der durch die Sparmaßnahmen gesunkenen Löhne können viele Menschen die Miete oder die Rückzahlung der Darlehen nicht mehr aufbringen. Zudem wurde die Steuer auf Wohneigentum drastisch erhöht. Damit hat sich das Verhältnis der Bevölkerung zum Wohneigentum verändert, denn es wird nun nicht selten als Belastung empfunden. Durch die ökonomischen Probleme sehen sich viele Menschen gezwungen, in ihr Elternhaus zurückzuziehen, und immer mehr 30- bis 40-Jährige ziehen von dort nicht aus. Andere reagieren auf die Probleme mit einer Verkleinerung des Wohnraums und zunehmend entstehen überbelegte Wohngemeinschaften und Wohnungen. Weil es so schwer fällt, die Wohnkosten zu zahlen, wurden im letzten Winter viele Wohnungen nicht geheizt.

 

Zwangsräumungen nehmen zu    

Seit Jahren existiert eine lebendige Debatte über die starke Verschuldung der Privathaushalte. Bereits 2010 wurde ein Gesetz eingeführt, mit dem vor Gericht ein Zahlungsaufschub oder auch ein Schuldenschnitt erlangt werden kann. Denn eigentlich kann man zu Gefängnisstrafen verurteilt werden, wenn man dem Staat mehr als 5.000 Euro schuldet, und das Grundstück kann enteignet werden.         

Andererseits hat sich die Gesetzeslage in Bezug auf Zwangsräumungen verschärft. Zwangsräumungen und Enteignungen nehmen zu, jedoch führen Enteignungen nicht immer direkt zu Zwangsräumungen, denn bis Dezember 2013 gilt in Griechenland ein Moratorium auf Zwangsversteigerungen. Auch für Mietwohnungen bleibt bisher die Zahl der Zwangsräumungen beschränkt. Denn viele Kleineigentümer haben bisher von Mieteinnahmen gelebt und versuchen, sich mit ihren Mieter/innen zu einigen, da es nicht einfach ist neue zu finden.    

 

Sozialwohnungen abgeschafft        

Der zuvor schon sehr kleine Sozialwohnungssektor wurde im Zuge der Sparmaßnahmen ganz abgeschafft. Sozialwohnungen gab es in Griechenland nicht als staatlich geförderte Mietwohnungen. Eine staatliche, jedoch unabhängig geleitete Gesellschaft – die sogenannte Arbeiterwohnungsbaugesellschaft (OEK) – errichtete Wohnungen ohne staatliche Zuschüsse mit Beiträgen von Arbeiter/innen und Unternehmen. Diese Wohnungen verkaufte die Wohnungsbaugesellschaft kostengünstig an ihre Mitglieder. In den so geschaffenen Neubauten wohnten nicht nur einkommensschwache Haushalte, sondern es wurde eine Durchmischung angestrebt. Es gab zwar im ganzen Land Wohnungsbauprojekte der OEK, doch nur in marginalem Umfang. Obwohl die OEK keine staatlichen Gelder erhielt, bereiteten ihr die Forderungen nach einem kleineren und effizienteren Staatswesen ein Ende. Im Februar 2012 wurde sie – trotz Kundgebungen und Demonstrationen – abgeschafft.                

 

Stopfen von Haushaltslöchern        

Obwohl aufgrund der zunehmenden Verarmung die Obdachlosigkeit zunimmt, wird die Unterstützung von Obdachlosen und Drogensüchtigen bei der Wohnungssuche zurückgefahren. In Athen leben geschätzt 20.000 Obdachlose, offizielle Zahlen gibt es nicht. Die meisten Menschen, die derzeit ihr Dach über dem Kopf verlieren, sind zwischen 40 und 50 Jahre alte Männer, deren Arbeitsplatz gekündigt wurde. Erst 2012 wurde Obdachlosigkeit rechtlich definiert und somit die Problemlage offiziell überhaupt anerkannt. Nichtregierungsorganisationen für Obdachlose gab es zwar bereits vor der Krise, doch nun wächst auch eine Selbstorganisierung. Es gab eine erste Demonstration von Wohnungslosen und inzwischen erscheint ein Obdachlosen-Magazin.Gleichzeitig wird nun ermöglicht, mit Immobilien zu spekulieren. Konkrete Auswirkungen für den Zugang zu Wohnraum lassen sich zwar noch nicht absehen, aber mit weiteren Ausschlussmechanismen ist zu rechnen.             

Um die Löcher im Staatshaushalt zu stopfen, ist zusätzlich zu den bereits hohen Steuern auf Eigentumswohnungen und Grundstücke eine Kopfpauschale eingeführt worden. Diese wird auf alle an Elektrizität angeschlossenen Grundstücke erhoben und über die Stromrechnung eingezogen. Dass zugleich aber große Steuerhinterzieher nicht verfolgt werden, führt zu einer breiten moralischen Entrüstung, die viele Menschen auf die Straße bringt.    

 

Gegenwehr organisiert sich        

In Griechenland existiert keine soziale Bewegung, die sich ausschließlich auf das Wohnen konzentriert. Träger des Protests sind vor allem die sogenannten Ich-zahle-nicht-Komitees, die durch die Bewegung der Platzbesetzungen entstanden sind. Die Komitees sind parteiunabhängig, ihre Mitglieder kommen aus allen Schichten der Gesellschaft und sie helfen Betroffenen, damit diese den Konfrontationen nicht alleine ausgesetzt sind, wenn sie nicht mehr zahlen können oder wollen. Unterstützung gibt es auch von Solidaritätsnetzwerken, Vereinen oder von Rechtsanwält/innen, die rechtliche Beratung anbieten, beispielsweise um das Zahlen der Kopfpauschale abzuwehren. Zum solidarischen Umfeld gehören auch Mieter- und Kreditnehmer-Vereine, Gewerkschaften sowie Organisationen von Kleineigentümer/innen und Bewohner/innen illegal gebauter Häuser. Eine Forderung der Betroffenen ist: „Kein Haus in den Händen der Bänker!“ Viele der genannten Gruppen und Organisationen engagieren sich gegen Versteigerungen. Aus dem links-alternativen Spektrum heraus wird die Frage des Wohnens durch Besetzungen und Besetzungsversuche thematisiert. Zudem fordern viele Initiativen zunehmend ein Recht auf Wohnen.

 

Die Veranstaltungsreihe „Wohnen in der Krise. NEOLIBERALISMUS – KÄMPFE – PERSPEKTIVEN“ wirft einen Blick auf die Situation in anderen Ländern und Städten. Die Veranstaltungen finden in der Regel einmal im Monat in der Beratungsstelle der Berliner MieterGemeinschaft Sonnenallee 101 in Neukölln statt. 

MieterEcho 362 / September 2013

Schlüsselbegriffe: Griechenland, EU, Spardiktat, Wohnen in der Krise, Dimitra Siatitsa, INURA, International Network for Urban Research and Action, Encounter Athens, Immobilienmarkt, Spekulation, Wohnungswirtschaft, Ferienwohnungen, Luxuswohnungen, Sparmaßnahmen, Bauwirtschaft, Zwangsräumungen, Schuldenschnitt, Sozialwohnungen

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