„Keine spekulativen Absichten“
Schließung des Flughafens Tegel öffnet auch neue Flächen für Wohnungsbau
Jörn Boewe
460 Hektar, gut viereinhalb Quadratkilometer, misst das Gelände des Flughafens Tegel. Auf knapp der Hälfte, 220 Hektar, würde der Berliner Senat gern Hi-Tech-Industrien ansiedeln. Aber auch Wohnnutzung ist für drei Teilflächen vorgesehen: in der Cité Pasteur am südöstlichen Rand, auf der „Flughafenspitze“ im Osten und im heute noch militärisch genutzten Bereich im Nordosten. Für die bauliche Verdichtung der ehemaligen Alliiertensiedlung Cité Pasteur erarbeitet der Bund zurzeit eine Studie.
Das Café „Zum Hangar“ am Kurt-Schumacher-Damm 42-44 ist einer der Orte, wo das alte Westberlin weiterlebt. Hier wird dienstags der halbe Liter Bier vom Fass für zwei Euro gezapft. Auf dem Gelände an der Ostspitze des Flughafens Tegel, nur 50 Meter vom Kurt-Schumacher-Damm entfernt, hat der Verein „Alliierte in Berlin e. V.“ jede Menge historische Militärtechnik, Uniformen und andere Devotionalien zusammengetragen. „Für die nächsten fünf Jahre können wir hier bleiben“, sagt die Frau hinterm Tresen. „Aber wer weiß, ob der Flughafen überhaupt geschlossen wird.“
Stadt der Zukunft?
Die Hoffnung, die hier durchklingt, würde man an anderer Stelle eher als Skepsis bezeichnen. Es sei „kein großes Problem“, dass sich der anvisierte Schließungstermin des Airports immer wieder nach hinten verschiebt – so hübsch formulierte es Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) Ende August bei der Vorstellung des Masterplanentwurfs für die Nachnutzung des Flughafenareals. Eigentlich sollte in Tegel seit Anfang Juni 2012 schon kein Flugzeug mehr starten und landen. Weil die Eröffnung des neuen Flughafens BER aber wegen offensichtlichem Planungschaos ein ums andere Mal verschoben wird, bleibt der Flughafen Tegel mindestens bis 2014 in Betrieb. Danach würde der Berliner Senat rund um das alte sechseckige Terminalgebäude gern moderne, forschungs- und technologieintensive Industrien ansiedeln. Auf Nachfrage wird schnell klar, dass das alles noch recht vage ist. Die bislang klarsten Ansiedlungsabsichten hat die Beuth-Hochschule für Technik, die hier ein „Kompetenz-Cluster ‚Stadt der Zukunft‘“ etablieren will. Drumherum soll irgendwann das Hi-Tech-Gründerleben toben. An den Rändern wünschen sich die Planer eine Mischnutzung: ein bisschen Kleingewerbe, umgeben von Wohnanlagen. In den nächsten Wochen wird die Landeregierung einen Beschluss zum Masterplan fassen, so Reiner Nagel, Abteilungsleiter für Stadt- und Freiraumplanung in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, auf Nachfrage des MieterEchos. Im Laufe des Jahres soll dann das Konzept Schritt für Schritt in Bebauungspläne umgesetzt werden.
Französischer Charme
Vom Café „Zum Hangar“ einen guten Kilometer den Kurt-Schumacher-Damm hinunter Richtung Südwesten gelangt man zur ehemaligen Alliiertensiedlung „Cité Pasteur“. Die großzügig geplante, parkähnliche Anlage mit dreigeschossigen Mehrfamilienhäusern wurde zwischen 1952 und 1958 errichtet. 276 Wohnungen gibt es hier mit rund 600 Bewohner/innen. Nach dem Abzug der französischen Truppen ging die Cité Pasteur 1992-94 in den Besitz der Bundesrepublik Deutschland über. Heute ist die unmittelbare Eigentümerin die 2005 gegründete Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima). „Unsere Aufgabe ist es, den Konversionsprozess so zu begleiten, dass dem Bund keine finanziellen Nachteile entstehen“, sagt Christine Conradt-Rakei, Hauptstellenleiterin der Abteilung Portfoliomanagement bei der Bundesanstalt. Noch vor ein paar Jahren gab es Diskussionen, die Cité Pasteur abzureißen. Das sei inzwischen vom Tisch und der Bestandsschutz gesichert. Allenfalls einige leer stehende Wohngebäude und das alte französische Gymnasium, das mittlerweile verfällt, seien „nicht sinnvoll zu erhalten“, sagt Michael Jaensch, ein Kollege Conradt-Rakeis. Eine gewerbliche Nutzung an den Rändern der Siedlung sei denkbar. Erhebliche Herausforderungen dürften auf den Bezirk Reinickendorf zukommen, der die Straßen, die bislang als Privatwege gelten, übernehmen müsste. Hier steht nach Jahrzehnten eine Kompletterneuerung der Leitungen an, und keiner weiß so genau, welche Rohre und Kabel nach welchem System von den französischen Alliierten in den 50er Jahren verlegt wurden.
„Ergebnisoffene Studie“
Aber auch den Bau neuer Wohnungen will man bei der Bima nicht ausschließen. Jedenfalls lasse man derzeit „in einer ergebnisoffenen internen Studie die Möglichkeiten baulicher Verdichtung prüfen“, bestätigt Conradt-Rakei auf Nachfrage. Denkbar sei eine etwas dichtere Bebauung an den Rändern. Der parkähnliche Charakter der Siedlung soll allerdings erhalten bleiben. „Einiger dieser alten Bäume kann und darf man nicht einfach abholzen“, betont Jaensch. Die Ergebnisse der Studie sollen ins Bebauungsplan-Verfahren einfließen.
Die Planungshoheit für die Cité Pasteur – wie auch für die „Flughafenspitze“ und den militärischen Bereich – liegt nicht beim Bezirk Reinickendorf, sondern bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Das Flughafengelände ist ein sogenanntes „9er Gebiet“ von „außergewöhnlicher stadtpolitischer Bedeutung“ entsprechend § 9 des Gesetzes zur Ausführung des Baugesetzbuchs. Mit einer öffentlichen Auslegung der Entwürfe zur Bürgerbeteiligung rechnet Nagel noch vor den Sommerferien. Für die Cité Pasteur sei an den Bau von Studentenwohnungen für den künftigen Standort der Beuth-Hochschule gedacht, so Nagel. Im nördlichen Flughafenbereich, der bis 2018 noch vom Verteidigungsministerium genutzt wird, gebe es „denkmalwürdige Strukturen“, aber auch Flächen für Wohnungsneubau. Die Stadt lege grundsätzlich Priorität auf die Schaffung erschwinglichen Wohnraums. Vom jetzigen Eigentümer erwartet man in dieser Hinsicht offenbar Kooperationsbereitschaft. „Die Bima verfolgt sicher keine spekulativen Absichten“, ist Nagel überzeugt.
MieterEcho 358 / Februar 2013
Schlüsselbegriffe: Schließung, Flughafen Tegel, Wohnungsbau, Cité Pasteur, Alliiertensiedlung, Stadtentwicklungssenator Michael Müller, Hi-Tech-Industrien, Flughafenspitze, Beuth-Hochschul