Kaum mehr als eine Beruhigungspille
Die Gesetzvorlage zur Zweckentfremdung bietet für gewerbliche Nutzung von Wohnraum jede Menge Schlupflöcher
Von Rainer Balcerowiak
Im Juni legte der Berliner Senat seine Vorlage für ein „Gesetz über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum“ vor. Spätestens im Dezember soll es vom Abgeordnetenhaus beschlossen werden. Lange Zeit war das Gesetz in der Regierungskoalition aus SPD und CDU umstritten. Daher kann es kaum verwundern, dass letztendlich nicht mehr als ein fauler Kompromiss herausgekommen ist.
Das Gesetz soll keineswegs landesweit die Nutzung von Wohnraum für gewerbliche Zwecke unterbinden, sondern den Senat lediglich ermächtigen, „durch Rechtsverordnung festzustellen, ob im Land Berlin oder in einzelnen Bezirken die Voraussetzungen für ein Zweckentfremdungsverbot vorliegen“. Doch selbst, wenn diese Feststellung getroffen werden sollte, gibt es für Betreiber von Ferienwohnungen und andere gewerbliche Nutzer etliche Schlupflöcher. Zwar heißt es in der Vorlage, dass das Gesetz ermöglicht, „das Gesamtwohnraumangebot in Berlin zu erhalten und Umwandlung von Wohn- in Gewerberaum oder Ferienwohnungen, dessen Abriss oder Leerstand gerade auch in einzelnen Bezirken zu verhindern beziehungsweise rückgängig zu machen, in denen Wohnraummangel herrscht“. Doch der Gesetzentwurf verbietet nicht die Zweckentfremdung, sondern stellt lediglich gleich zu Beginn fest, dass Wohnraum „nur mit Genehmigung des zuständigen Bezirksamtes zweckentfremdet werden“ darf (§ 1 Absatz 1).
Nächtliche Ruhestörung durch Partys auf dem Balkon im Innenhof, Treffpunkt der meist jugendlichen Gäste vor der Haustür, dadurch Lärmbelästigung und Geruchsbelästigung durch Zigarettenqualm an den anliegenden Fenstern oder sogar im Hausflur. (29.06.2013)
Großer Interpretationsspielraum
Auch die Definition einer gesetzeswidrigen Nutzung von Wohnraum bietet Interpretationsspielraum. Eine Zweckentfremdung liegt demnach unter anderem vor (§ 2 Absatz 1) „wenn eine Wohnung zum Zwecke der wiederholten nach Tagen oder Wochen bemessenen Vermietung als Ferienwohnung oder einer Fremdenbeherbergung, insbesondere einer gewerblichen Zimmervermietung oder der Einrichtung von Schlafstellen verwendet wird“ oder „für gewerbliche oder berufliche Zwecke verwendet oder überlassen wird“. Doch bereits im folgenden Absatz heißt es: „Abweichend von Absatz 1 liegt keine Zweckentfremdung vor, wenn Wohnraum bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens einer Verordnung (…) als Ferienwohnung oder zur Fremdenbeherbergung (...) genutzt wird; dies gilt jedoch nur für eine Dauer von zwei Jahren nach Inkrafttreten der Verordnung“.
Nicht nur diese pauschale Schonfrist von zwei Jahren für Ferienwohnungen konterkariert die vermeintliche Intention des Gesetzes. Auch sollen Wohnungen, die vor Inkrafttreten für andere, nicht näher spezifizierte „gewerbliche oder berufliche Zwecke verwendet oder überlassen“ wurden, ganz vom rückwirkenden Verbot ausgenommen werden. Derartige Zweckentfremdungen sind laut § 3 Absatz 1 genehmigungsfähig, wenn „schutzwürdige private Interessen das öffentliche Interesse an der Erhaltung des betroffenen Wohnraums überwiegen“. Dies gelte „insbesondere bei einer Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz“. Für jeden mittelmäßigen Steuerberater oder Rechtsanwalt dürfte es eine leichte Übung sein, eine derartige „Gefährdung“ zu konstruieren. Ferner können sich Zweckentfremder auch quasi freikaufen, beispielsweise durch Ausgleichszahlungen oder die Bereitstellung beziehungsweise Schaffung von Wohnraum.“
Was soll ich von Ferienwohnungen halten, wenn ich bereits seit acht Monaten vergeblich nach bezahlbarem Wohnraum suche? (17.05.2013)
Kein Personal zur Durchsetzung
Vollkommen unklar ist zudem, wann und wie das Gesetz nach seiner Verabschiedung umgesetzt werden kann, da es um die dafür notwendigen Rechtsverordnungen weiteres Gezerre in der Koalition geben wird. Zudem obliegt der Vollzug den einzelnen Bezirken. Denen fehlt aber für Genehmigungs- und Verbotsverfahren schlicht die personelle Ausstattung. Darauf wiesen die Bezirksbürgermeister in einer Stellungnahme vom 23. Mai hin. Dort heißt es: „Der Rat der Bürgermeister stimmt der Vorlage unter der Voraussetzung zu, dass die organisatorischen Voraussetzungen und die personalwirtschaftlichen Auswirkungen geklärt werden und unter Beachtung des neuen Aufgabenvolumens eine Personalbedarfsanalyse erstellt und der (…) finanzielle Aufwand ermittelt wird. Die Vorstellung des Senats, dass eine solche Aufgabe ohne zusätzliches Personal erfüllbar ist, ist absurd.“ Die Konsequenz sei, „dass die Normen in der Praxis nicht durchgesetzt werden können.“
Die Antwort des Senats beschränkt sich auf eher wolkige Absichtserklärungen und bürokratische Floskeln. Es bedürfe „eines Personalbedarfskonzepts der Bezirke, um den zur Umsetzung des Zweckentfremdungsverbots notwendigen Personalbedarf zu ermitteln“. Diese Einschätzungen würden dann „in die Überlegungen zur Rechtsverordnung einfließen“. Ob, wann und in welcher Form diese Verordnung schließlich erlassen wird, steht derzeit in den Sternen. Bleibt als Fazit, dass dieses Gesetz wohl mehr als Beruhigungspille für protestierende Mieter/innen gedacht ist, statt Zweckentfremdung von Wohnraum wirklich zu bekämpfen.
Nach einem Vermieterwechsel vor zwei Jahren wird aus fast jeder frei gewordenen Wohnung eine Ferienwohnung. Wobei wir Mieter massiv unter Druck geraten. Es ist eigentlich schon ein Hotel mit immer wechselnden jungen Touristen. Es ist laut, schmutzig und vor allem unsicher. Wir wissen gar nicht mehr, wer zum Haus gehört und wer nicht. Das Traurigste ist allerdings, dass eine soziale Wohngruppe und eine Jugendhilfe aus deren Räumen gekündigt wurden und dort nun auch Ferienwohnungen mit teilweise Hochbetten drin sind.Es scheint so lukrativ zu sein, dass nun fast alle Mieter/innen und auch Gewerbetreibende unter Druck geraten. Dieses Kreuzberg gefällt uns immer weniger. Sehr schade, aber viel- leicht erkennt dies auch die Politik und es lässt sich das Ruder noch mal rumreißen. (12.04.2013)
MieterEcho 363 / Oktober 2013
Schlüsselbegriffe: Gesetzesentwurf, Zweckentfremdung, gewerbliche Nutzung, Berliner Senat, Zweckentfremdungsverbot, Wohnraummangel, Ferienwohnung, Berliner Bezirke