Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 364 / Dezember 2013

In der Warteschleife

Während immer noch in den Sternen steht, wann der Flughafen Berlin Brandenburg in Betrieb gehen kann, steigen die Kosten für das Großprojekt stetig weiter

 

Von Benedict Ugarte Chacón                                

Der Stillstand am Flughafen Berlin Brandenburg (BER) geht einher mit immer neuen Ankündigungen, Verschiebungen und Kostensteigerungen, wobei sich alle Absichtsbekundungen in einem nebulösen Rahmen bewegen. Klar scheint bislang nur eines: Das Projekt Großflughafen hat über die Jahre innerhalb der Flughafengesellschaft ein Eigenleben entwickelt, das über einen längeren Zeitraum nicht oder nur rudimentär kontrolliert wurde. Diesen Eindruck bestätigt zumindest die Aussage des Staatssekretärs im Bundesverkehrsministerium Rainer Bomba, der als Vertreter des Bundes seit 2010 im Aufsichtsrat der Flughafengesellschaft sitzt.                                    


Staatssekretär Rainer Bomba wies in seiner Aussage vor dem Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses am 1. November 2013 darauf hin, dass die Art des von der Firma WSP CBP vorgenommenen Controllings mehr oder weniger mangelhaft gewesen sei. Man hätte im Aufsichtsrat zwar viele Berichtsseiten zu lesen bekommen, jedoch nur schwer einen Einblick in die tatsächliche Situation des Projekts bekommen können. Nachdem die Inbetriebnahme im Mai 2012 verschoben wurde, soll es zwar zu Veränderungen beim Controlling gekommen sein, aber worin diese genau bestanden hatten, konnte Bomba dem Ausschuss nicht sagen. Vielleicht, so Bomba, wäre es besser gewesen, der Aufsichtsrat hätte direkt auf der Baustelle tätige Arbeiter eingeladen und sich deren Einschätzungen angehört. Vor der offiziellen Verschiebung sei ihm selbst von Arbeitern zugetragen worden, dass eine Fertigstellung des Flughafens zum geplanten Termin im Juni 2012 – wenn überhaupt – nur schwerlich möglich sei. Im Nachhinein stellt es sich als mindestens fragwürdig dar, dass auf Betreiben des Aufsichtsrats zwar die Geschäftsführung ausgetauscht und die obersten Flughafen-Planer entlassen wurden, aber die seit 2004 mit der Projektsteuerung betraute Firma WSP CBP, die anscheinend irreführende Berichte ablieferte und offensichtlich mit der Steuerung des Projekts völlig überfordert war, nach wie vor für die Flughafengesellschaft arbeitet. Warum die Flughafengesellschaft und ihr Aufsichtsrat bislang keine Haftungsansprüche gegen die Projektsteuerer geltend machen, ist eine interessante Frage. Vielleicht liegt es daran, dass der BER mittlerweile so im Argen liegt, dass Außenstehende gar nicht mehr in der Lage sind, sich qualifiziert in das Projekt einzuarbeiten. Darauf deutet auch hin, dass Planer der gefeuerten Planungsgemeinschaft pg bbi mittlerweile von der Flughafengesellschaft zurückgeholt wurden und nun in einem anderen Vertragsverhältnis weiter am BER arbeiten.                                

 

Hausdurchsuchung und Flugrouten-Chaos             

Wie das Projekt über einen längeren Zeitraum aus dem Ruder lief, kann ein Gutachten belegen, das vom an der pg bbi beteiligten Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner (gmp) bei Ernst & Young in Auftrag gegeben wurde und in welchem die zahlreichen Änderungswünsche der Flughafengesellschaft aufgelistet sind, die dazu führten, dass Bau und Umplanung parallel liefen. Dies führte zum bekannten Chaos. Nachdem gmp über Monate nicht in der Lage war, ein Original des Gutachtens an den Untersuchungsausschuss auszuhändigen, griff dieser durch und veranlasste am 25. Oktober 2013 eine Hausdurchsuchung in den Räumen des Architekturbüros in Hamburg und Berlin. Eine Version des Gutachtens wurde mittlerweile von der Friedrichshagener Bürgerinitiative, die sich gegen den Überflug des Müggelseegebiets wendet, auf ihrer Website veröffentlicht. Eine Aktivistin hatte bereits im Juni 2012 Akteneinsicht beim Bundesverkehrsministerium beantragt und nach einem über ein Jahr dauernden Schriftwechsel schließlich Einblick in die Unterlagen erhalten.            

Mittlerweile rechnen offizielle Stellen nicht mehr mit einer Inbetriebnahme des Flughafens in absehbarer Zeit. Darauf deutet hin, dass die Deutsche Flugsicherung die für den BER vorgesehenen Flugrouten bereits Ende Juni dieses Jahres stillschweigend aus dem Luftfahrthandbuch entfernte. Besagte Flugrouten waren in den letzten Jahren Anlass für Gerichtsprozesse und Protestaktionen betroffener Anwohner/innen. Vertreter von Bürger-initiativen gehen nun davon aus, dass für neue Flugrouten ein komplett neues Genehmigungsverfahren notwendig wird. Das könnte zu einer erneuten Klagewelle führen. Gleichzeitig bedeutet die Löschung der Routen aber auch, dass die von Hartmut Mehdorn immer wieder ins Spiel gebrachte „Teileröffnung“ des BER-Nordpiers nur mit einigen Tricks umsetzbar ist. Dann nämlich, wenn offiziell gar nicht der BER in Betrieb ginge, sondern der „Testbetrieb“ irgendwie als Erweiterung des bestehenden Flughafens Schönefeld verkauft werden könnte. Für diesen bestehen weiterhin gültige Flugrouten.                             

 

Finanzielle Geiselhaft            

Unklar ist auch, wie es finanziell mit dem Flughafen weitergeht. Anfang November berichtete die Bild-Zeitung, dass ihr ein interner Bericht Projektsteuerers WSP CBP vorliege. In diesem sei ein Posten für „kaufmännische Vorsorge über 1,1 Milliarden Euro“ enthalten, der für die Fertigstellung des Flughafens benötigt würde. Die Kosten für die Errichtung des BER würden demnach auf rund 5,7 Milliarden Euro steigen. Genauer kommentieren wollten die Verantwortlichen in Politik und Flughafengesellschaft die Meldung damals nicht. Allerdings ist es naheliegend, dass die zu erwartenden Baukosten für den BER wieder einmal höher angesetzt werden müssen. Bereits Ende 2012 waren die drei Anteilseigner der Flughafengesellschaft – die Länder Berlin und Brandenburg sowie der Bund – gezwungen, das Unternehmen mit 1,2 Milliarden Euro zu stützen. Diese Summe basierte auf der Annahme, dass der Flughafen im Oktober 2013 eröffnet wird. Da die Eröffnung auf unbestimmte Zeit verschoben wurde, geht diese Kalkulation nicht mehr auf. Auf Berlin entfielen bei der Finanzspritze 2012 entsprechend seinem Anteil von 37% an der Flughafengesellschaft 444 Millionen Euro. Hätten die Anteilseigner das Geld nicht aufbringen wollen, wäre die Flughafengesellschaft pleite gewesen. Diese Lösung wäre für die öffentliche Hand allerdings nicht unbedingt besser gewesen, denn zum Bau des BER hat die Flughafengesellschaft Kredite in Höhe von 2,4 Milliarden Euro aufgenommen. Und weil sie diese in ihrem schon längere Zeit angeschlagenen Zustand gar nicht bekommen hätte, verbürgten Berlin, Brandenburg und der Bund diese Kredite zu 100%. Das heißt: Wenn die Flughafengesellschaft die Kredite nicht mehr bedienen kann, können sich die finanzierenden Banken das Geld von der öffentlichen Hand zurückholen. Die drei Anteilseigner befinden sich damit in einer Art finanzieller Geiselhaft, denn sie haben nur noch die Wahl, entweder immer mehr Geld in die Flughafengesellschaft zu pumpen und dabei zu hoffen, dass der BER irgendwann rentabel sein wird, oder einen Zusammenbruch der Flughafengesellschaft in Kauf zu nehmen. Dann müssten sie die Kredite selbst bezahlen und stünden ohne Flughafen da.                     

 

Hohe Gesamtkosten            

Die EU-Kommission hatte die Beihilfen 2012 nach einer wettbewerbsrechtlichen Prüfung genehmigt. Solch eine Prüfung stünde wieder an, sollten sich die drei Anteilseigner entschließen, die nun genannten Mehrkosten zu übernehmen. Ob die EU-Kommission erneut öffentliche Beihilfen genehmigen wird, ist noch unklar. Die reinen Baukosten für den BER machen jedoch nur einen Teil der Gesamtkosten aus. Hierzu gehören auch die von der Flughafengesellschaft und der öffentlichen Hand bereits getätigten Ausgaben, die den Bau des Flughafens erst möglich machen, wie Infrastruktur- und Erschließungskosten, Grundstückskäufe, die Kosten für Planfeststellungs- und Anhörungsverfahren, Gutachter-, Berater- und Anwaltskosten, Schadensersatzansprüche, die zusätzlichen Kosten für die Aufrechterhaltung des Flugbetriebs in Tegel sowie der Schuldendienst.  Auch ist unklar, ob der BER überhaupt jemals in der Lage sein wird, für die Flughafengesellschaft so wirtschaftlich zu arbeiten, dass die aufgenommenen Kredite zurückgezahlt werden können, und das ganze Projekt nicht ein über Jahrzehnte währendes Zuschussgeschäft für die öffentliche Hand wird. Die Probleme mit dem Flughafen BER sind demnach weitaus größer, als eine funktionsuntüchtige Brandschutzanlage und eine Verschiebung der Inbetriebnahme. Wer dachte, mit dem Berliner Bankenskandal 2001 sei der Gipfel der Berliner Bauskandale erreicht worden, sieht sich in naher Zukunft wahrscheinlich eines Besseren belehrt.            

 

 


MieterEcho 364 / Dezember 2013

Schlüsselbegriffe: Flughafen Berlin Brandenburg, BER, Baukosten, Großflughafen, Rainer Bomba, WSP CBP, Flughafengesellschaft, Müggelsee, Überflug, Kredite, Gesamtkosten, Brandschutzanlage, Berliner Bauskandal

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