Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 364 / Dezember 2013

Grenzen von Notlösungen

Während der private Mietwohnungsmarkt boomt, bleibt der Mieterschutz gering und die Wohnungslosigkeit steigt

 

Von Philipp Mattern                                                    

Die Wohnraumversorgung in Großbritannien basierte im 20. Jahrhundert im Wesentlichen auf zwei Säulen, dem öffentlichen Sozialwohnungsbau und dem Wohneigentum. Ein privater Mietwohnungsmarkt, wie er etwa in Deutschland seit langer Zeit als dominante Wohnform existiert, hat sich nie in größerem Maß etabliert. Warum auch, könnte man fragen. Er war schlicht unattraktiv und gewissermaßen überflüssig, denn die kommunalen Wohnungsbestände boten für breite Schichten eine günstige und sichere Alternative zur privat gemieteten Wohnung.

                                

Das in Großbritannien traditionell sehr geschätzte Wohneigentum war ebenfalls eine sichere Möglichkeit zu wohnen und ermöglichte zudem, vererbbares Vermögen aufzubauen. Damit erklärt sich die Randständigkeit, die den privaten Mietwohnungsmarkt bis vor Kurzem kennzeichnete. Noch 2001 lebten nur 7% der britischen Bevölkerung in privaten Mietwohnungen. Im Jahr 2012 stieg diese Zahl bereits auf 17%. Neuere Schätzungen gehen davon aus, dass der Anteil bis 2016 auf 20% steigen wird. In den Zentren großer Städte ist er bereits heute deutlich höher und liegt teilweise bei über einem Drittel. Der Grund für diesen rasanten Anstieg ist so simpel wie fatal: Die beiden ehemals tragenden Säulen der britischen Wohnraumversorgung werden immer mehr Menschen unzugänglich.

                                

Letzte Chance: Private Mietwohnung            

Über Jahrzehnte wurde der soziale Wohnungsbestand abgebaut, zum einen durch Kürzungen und ausbleibenden Neubau, zum anderen durch verschiedene Formen der Privatisierung. Letztere umfasste sowohl die Übertragung ganzer Bestände an private Gesellschaften als auch die Umwandlung in Wohneigentum durch das Right to Buy. Die restlichen Sozialwohnungen stellen statt Wohnraum für die Massen nun Unterkünfte für „Randgruppen“ dar, also für Haushalte mit besonderen Problemlagen. Demgegenüber stieg die Quote der Wohnungseigentümer, die mit 71% aller britischen Haushalte in den Jahren 2005/06 ihre Spitze erreichte. In den folgenden fünf Jahren fiel ihr Anteil auf 65%, Tendenz weiter abnehmend. Damit erodiert langsam aber sicher auch die zweite Säule der Wohnraumversorgung.                     

Mit der zunehmenden Eigentumsorientierung stiegen die Immobilienpreise deutlich. Die Löhne und Gehälter erhöhten sich im gleichen Zeitraum aber nur bescheiden oder stagnierten. Familien, die mit einem durchschnittlichen Haushaltseinkommen um die Jahrtausendwende noch eine Wohnung kaufen beziehungsweise einen Kredit aufnehmen konnten, sind nun hilflos. Eine Wohnung kostet heute im Schnitt doppelt so viel. Vormals populäre Finanzierungsmodelle stehen seit der Wirtschaftskrise nicht mehr zur Verfügung. Weil zahlreiche Hypotheken nicht zurückgezahlt werden konnten, nahmen die Banken von der laxen Kreditvergabe Abstand. Ohne große Sicherheiten ist ein Hauskauf auf Pump heute kaum noch möglich.

                                

Private Vermietung als lukrativer Geschäftszweig    

Viele wohnungssuchende Haushalte – vor allem junge Familien in Großstädten – stehen heute vor der Frage: Was tun? Kaufen ist zu teuer und öffentlicher Wohnraum so gut wie abgeschafft. Als einzige Möglichkeit bleibt somit  der private Mietwohnungsmarkt. Daher erfährt dieser Sektor einen entsprechenden Boom und beherbergt bereits heute insgesamt mehr Haushalte als der soziale. Die Hälfte der Mieter/innen von Privatwohnungen sind jünger als 35 Jahre.         

Die für Durchschnittsverdiener/innen unerschwinglichen Immobilienpreise rufen Geschäftemacher auf den Plan, die die Gelegenheit nutzen und Wohnungen kaufen, um sie zu vermieten. „Buy to Let“ (Kaufen, um zu vermieten) nennt sich dieses äußerst lukrative Anlagemodell, das von einem eigens darauf ausgelegten Darlehensmarkt begleitet wird. Schnelles Geld verspricht ein weiteres, ebenfalls neues Phänomen: Mit „Rent to Rent“ (Mieten, um zu vermieten) etabliert sich im großen Stil das, was man in Berlin vom Ferienwohnungsmarkt kennt. Wohnungen werden angemietet und zum überteuerten Preis weitervermietet.                                                 

 

Unzureichender Mieterschutz                

Innerhalb des letzten Jahres stiegen die Mieten in Großbritannien im Schnitt um 3,5%. Eine durchschnittliche, private Mietwohnung kostet mit umgerechnet 865 Euro etwa doppelt so viel wie eine Sozialwohnung. In London stiegen die Mieten sogar um 7,2%, die Durchschnittsmiete beträgt dort heute über 1.300 Euro. Mieterschutz gibt es kaum. Der private Mietwohnungsmarkt expandiert, ohne dass damit eine Regulierung einhergeht, wie man sie etwa hierzulande kennt. Ein mit Deutschland vergleichbares Mietrecht gibt es nicht. Langfristig abgesicherte und regulierte Mietverhältnisse finden sich einzig im heute randständigen Council Housing. Die meisten privaten Mietverhältnisse sind befristet und bieten den Mieter/innen nur für wenige Jahre Sicherheit. Privatmieter/innen ziehen zehnmal so oft um wie Eigentumsbewohner/innen und über dreimal so oft wie Sozialmieter/innen. Etwa ein Drittel von ihnen hat im vergangenen Jahr die Wohnung gewechselt und nur knapp ein Zehntel wohnt länger als zehn Jahre in derselben Wohnung. Wohlfahrtsverbände warnen vor den Folgen, vor allem für Kinder, die häufig die Schule wechseln müssen.                                    

 

Wohnungslosigkeit steigt                

Jeder Wohnungswechsel stellt Mieter/innen vor die Herausforderung, auf dem ungebändigten und teurer werdenden Markt eine neue Bleibe zu finden. Das gelingt nicht immer auf Anhieb. Allein im zweiten Quartal dieses Jahres wurden somit knapp 3.600 Haushalte als vorübergehend wohnungslos registriert. Das ist ein Drittel mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahrs. Die neue Wohnungslosigkeit resultiert also weniger aus individuellen Notlagen, sondern ist vielmehr eine direkte Folge der Wohnungskrise und des expandierenden privaten Mietwohnungsmarkts. Viele der Betroffenen schlafen nicht unter Brücken oder auf Bahnhöfen, sondern kommen bei Freunden oder Verwandten unter, mit denen sie sich vorübergehend eine – dann deutlich überbelegte – Wohnung teilen. Andere ziehen für längere Zeit in Hostels, Bed-and-Breakfast-Zimmer oder andere Behelfsunterkünfte. Sie werden gewissermaßen vom privaten Mietwohnungsmarkt in einen privaten Subwohnungsmarkt gedrängt. Und auch dieser entwickelt sich zurzeit zu einem nicht zu unterschätzenden Geschäftszweig. Viele Menschen ohne eigene Wohnung werden folglich statistisch gar nicht zu den rund 50.000 registrierten Obdachlosen gezählt. Eine aktuelle Studie im Auftrag einer Wohltätigkeitsorganisation ergab, dass fast ein Drittel aller Briten schon einmal mit Obdachlosigkeit zu tun hatte. 14% gaben an, selbst Erfahrungen damit zu haben, weitere 20% kennen mindestens eine Person, auf die das zutrifft. Das rasante Anwachsen des privaten Mietwohnungsmarkts und die zunehmende Wohnungslosigkeit sind eng miteinander verbunden. Es sind zwei Symptome einer Wohnungskrise, die sich gegenseitig bedingen.       

 

 


MieterEcho 364 / Dezember 2013

Schlüsselbegriffe: Großbritannien, privater Mietwohnungsmarkt, Mieterschutz, Wohnungslosigkeit, Right to Buy, Wohnraumversorgung, Rent to Rent, Council Housing, Wohnungskrise

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