Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 359 / April 2013

Es geht auch anders

Anders als Berlin nutzen Städte wie Hamburg und München die
Möglichkeiten sozialer Erhaltungssatzungen zur Einschränkung von Verdrängung

Von Rainer Balcerowiak

Wenn es in Berlin um die Verdrängung von Mieter/innen durch Umwandlung in Eigentumswohnungen und durch Luxusmodernisierungen geht, zucken Landes- und Bezirkspolitiker in der Regel bedauernd mit den Schultern. Dabei bietet das Baugesetzbuch durchaus Grundlagen, um in diese Prozesse einzugreifen. Sowohl in offiziell ausgewiesenen Sanierungsgebieten als auch in anderen unter Aufwertungsdruck stehenden Quartieren gibt es die Möglichkeiten, Mieter/innen mit Erhaltungssatzungen und Umwandlungsverordnungen zur Seite zu stehen.        


Laut § 172 Baugesetzbuch (BauGB) kann eine Gemeinde durch eine Satzung Gebiete ausweisen, in denen zur Erhaltung der städtebaulichen Eigenart des Gebiets, zur Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung oder bei städtebaulichen Umstrukturierungen der Rückbau, die Änderung oder die Nutzungsänderung baulicher Anlagen der Genehmigung bedürfen. Zwar ist die soziale Wirkung einer solchen Erhaltungssatzung begrenzt – eine Milieuschutzsatzung wird häufig als „zahnloser Tiger“ bezeichnet –, doch kann ihre Effektivität auf einfache Weise erhöht werden. Denn das Baugesetzbuch ermächtigt die Landesregierungen, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, dass die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen in Gebieten mit Erhaltungssatzung nicht ohne Genehmigung erfolgen darf.



Milieuschutz als Mieterschutz

Eine soziale Erhaltungssatzung (Milieuschutzsatzung) führt dazu, dass „der Rückbau, die Änderung oder die Nutzungsänderung baulicher Anlagen der Genehmigung bedürfen, (...) wenn die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung aus besonderen städtebaulichen Gründen erhalten werden soll“ (§ 172 BauGB). Unter diesen Genehmigungsvorbehalt fallen auch Änderungen, die nach der Berliner Bauordnung nicht genehmigungspflichtig sind, wie der Einbau von Heizungsanlagen, die Erneuerung von Fenstern oder Versorgungsleitungen, Badmodernisierungen, das Anbringen von Wärmedämmung und Grundrissänderungen. Da der Milieuschutz im Baugesetz verankert ist, greift er ausschließlich im Zusammenhang mit Baumaßnahmen. Auf Mieterhöhungen nach dem Mietspiegel sowie auf Mietsteigerungen bei Neuvermietungen hat das Instrument Milieuschutz keinen Einfluss. Ohne Auflagen müssen Modernisierungen genehmigt werden, wenn  damit  der  “zeitgemäße  Ausstattungszustand einer durchschnittlichen Wohnung“ hergestellt wird. Somit kann der Einbau einer Zentralheizung oder eines Bads nicht durch eine Milieuschutzsatzung verhindert werden. In Berlin gilt der Milieuschutz als stumpfes Schwert. In Hamburg dagegen hat er sich zum Schutz von Mieter/innen vor Verdrängung bewährt, insbesondere durch die zusammen mit den Milieuschutzverordnungen erlassenen Umwandlungsverordnungen. In Berlin jedoch wird die Umwandlungsverordnung – zumindest bisher – gar nicht angewandt.

 


Verhinderung von Umwandlungen

Anders als in Berlin wurden Erhaltungssatzungen und Umwandlungsverordnungen in Hamburg und München zum Teil erfolgreich eingesetzt. So führte die 1998 erlassene und 2008 um fünf Jahre verlängerte Verordnung in der zu Hamburg-Mitte gehörenden Südlichen Vorstadt dazu, dass in diesem Zeitraum keine einzige Wohnung im Stadtteil in Eigentum umgewandelt wurde. In anderen Bezirken sorgte die zeitweilig regierende Koalition aus CDU und Schill-Partei allerdings dafür, dass die Satzungen nicht verlängert wurden, was anschließend beispielsweise in St. Georg zu einer regelrechten Umwandlungswelle führte.

Erhaltungssatzung und Umwandlungsverordnung sind baurechtliche Instrumente, die die Regeln des Marktes nicht außer Kraft setzen können. Sie allein können das Ansteigen der Mieten nicht verhindern. Das haben auch die Auswertungen in Hamburg gezeigt. Dennoch bleibt als Aufgabe für die Politik, jede kleine Möglichkeit zu nutzen, die eine Verdrängung weniger zahlungskräftiger Schichten aus gentrifizierungsbedrohten Gebieten behindern kann.

 

Vorteile durch Vorkaufsrecht

Mit der Erhaltungssatzung ist eine weitere Interventionsmöglichkeit verbunden. In diesen Gebieten kann die Stadt ein Vorkaufsrecht geltend machen. Vergleichbar mit dem Vorkaufsrecht, das Mieter/innen im Fall der Umwandlung der bisherigen Miet- in eine Eigentumswohnung haben, kann die Stadt in einen abgeschlossenen Kaufvertrag an die Stelle des Käufers treten. Das sollte in Berlin vor allem deswegen geschehen, weil die Aufstockung des Bestands der öffentlichen Wohnungsbauunternehmen von bisher 260.000 auf 300.000 Wohnungen in der Koalitionsvereinbarung zu einem der wohnungspolitischen Ziele erklärt wurde. Wenn die Stadt auf die Ausübung des Vorkaufsrechts verzichtet, kann sie stattdessen Abwendungsvereinbarungen schließen. Wie Hamburg zeigt, kann in einem solchen Vertrag die ungehemmte Verwertung der Immobilie eingeschränkt werden. In einer Abwendungsvereinbarung wird Hauseigentümern unter anderem auferlegt: keine Antragsstellung für eine Abgeschlossenheitserklärung, keine Antragsstellung auf Genehmigung einer Umwandlung von Wohnungen nach § 172 Absatz 1 BauGB, Verzicht auf Nutzungsänderung, keine baulichen Veränderungen und Modernisierungen über den zeitgemäßen Ausstattungsstandard einer durchschnittlichen Wohnung im Quartier hinaus sowie keine Überschreitung der ortsüblichen Vergleichsmiete nach dem Mietspiegel bei Neuvermietung. Besonders intensiv nutzt München die mit der Erhaltungssatzung verbundenen Möglichkeiten. Zwischen 2005 und 2008 wurden 14 Erhaltungsgebiete mit insgesamt 92.000 Wohnungen eingerichtet. Das entsprechende Verfahren wurde stark vereinfacht. Statt umfangreicher und teurer Untersuchungen der Gebiete wurde von der Stadt ein einfacher Kriterienkatalog für die Feststellung eines Aufwertungs- und Verdrängungsdrucks erstellt. Ermittelt werden unter anderem Grunddaten zur Bausubstanz, Bevölkerungsstruktur und Kaufkraft. In den betroffenen Quartieren wurden nicht nur Umwandlungen verhindert, sondern auch Häuser der Spekulation entzogen, indem die Stadt über die von ihr getragene Genossenschaftliche Immobilien-agentur München eG (GIMA) ihr Vorkaufsrecht für Miethäuser wahrnahm. Die 18 gemeinwirtschaftlich orientierten Mitgliedsunternehmen der GIMA verfügen mittlerweile über einen Bestand von 27.500 Wohnungen. Gefördert wird auch die Gründung neuer Genossenschaften, um den Bewohner/innen einzelner Häuser dauerhaft gesicherte Mietverhältnisse zu ermöglichen.     

 

Berlins Politik bleibt untätig

Beim Berliner Senat ist bisher kein ernsthafter politischer Wille erkennbar, die Möglichkeiten der Erhaltungssatzung zu nutzen. Eine Umwandlungsverordnung, die den Bezirken entsprechende Schritte gestatten würde, ist ebenso wenig in Sicht wie die Anwendung des Vorkaufsrechts. Fast noch gravierender ist allerdings die personelle und finanzielle Minderausstattung der Bezirksämter. Sie dürfte es ihnen kaum erlauben, die für den Erlass von sozialen Erhaltungssatzungen notwendigen umfangreichen Erhebungen überhaupt durchführen zu können. Die jahrelangen Stellenstreichungen flankieren die politische Untätigkeit ganz besonders nachhaltig. Der Verzicht auf politisches Handeln wird als technische Notwendigkeit gerechtfertigt. In vielen Bezirken dürfte dennoch keine Bereitschaft bestehen, sich mit dem Problem des Austauschs der Bewohnerschaft zu beschäftigen. So hat das Bezirksamt Mitte vor einigen Wochen allen Ernstes per Beschluss „festgestellt“, dass es in den unter hohem Aufwertungsdruck stehenden Teilen Moabits keinerlei erkennbare Verdrängungsgefahren gebe. Keine guten Zeiten für die Mieter/innen in den betroffenen Quartieren. Auf Unterstützung der Politik können sie in ihrem Widerstand gegen Gentrifizierung jedenfalls nicht bauen.

 

 


MieterEcho 359 / April 2013

Schlüsselbegriffe: Hamburg, München, Erhaltungssatzungen, Umwandlungsverordnungen, § 172 Baugesetzbuch, Milieuschutzsatzung, Abwendungsvereinbarungen, Berliner Senat, Mieterschutz

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