Eine Frage des Standorts
Der Untersuchungsausschuss zum Flughafen BER taucht in die Geschichte ein
Von Benedict Ugarte Chacón und Mathias Behnis
Der im September 2012 vom Berliner Abgeordnetenhaus eingesetzte Untersuchungsausschuss „zur Aufklärung der Ursachen, Konsequenzen und Verantwortung für die Kosten- und Terminüberschreitungen des im Bau befindlichen Flughafens Berlin Brandenburg Willy Brandt (BER)“ begann nach einigen Beratungssitzungen und der Sichtung erster Akten im Januar mit der öffentlichen Zeugenvernehmung. Der Untersuchungsauftrag mit insgesamt 79 aufzuklärenden Fragen reicht von der Standortsuche bis hin zu den aktuellen Vorgängen, die zur wiederholten Verschiebung der Inbetriebnahme des neuen Großflughafens führten. Bei der Untersuchung der frühen Phase zeigt sich: Entscheidungsprozesse, die vor rund 20 Jahren abliefen, wirken sich auch heute noch auf die aktuellen Kostensteigerungen aus.
Die erste Frage des Untersuchungsauftrags lautet: „Was waren die Hintergründe der Standortentscheidung (Konsensbeschluss) von 1996 für den Neubau des Flughafens Berlin-Brandenburg und welche Annahmen für Nachtflugbedingungen gingen in diese Entscheidung ein?” Allein zum Vorlauf der Entscheidung für den Standort Schönefeld liegen dem Ausschuss mittlerweile mehrere Dutzend Aktenordner aus Beständen der Senatskanzlei und der Flughafengesellschaft vor. Aus ihnen geht hervor, dass der Entscheidungsprozess vom Ausspielen unterschiedlicher bis gegensätzlicher Interessen der Anteilseigner der Flughafengesellschaft – Berlin und Brandenburg halten je 37%, der Bund 26% – geprägt war. So trat Brandenburg für einen Flughafen im Raum Sperenberg ein, und Berlin hatte ein Interesse am stadtnahen Standort Schönefeld. Der Bund sorgte sich vorgeblich um die Kosten, die für die Verkehrsanbindung des neuen Flughafens anfallen würden, hatte aber wohl auch die mit einem Berliner Großflughafen entstehende Konkurrenz für die Flughäfen Frankfurt am Main und München im Blick. Wie das Land Berlin in dieser Frage vorging, kann aus den Akten der Senatskanzlei nach und nach rekonstruiert werden.
Konflikte bei der Standortentscheidung
In einem damals als „streng vertraulich“ eingestuften Vermerk des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen (CDU) vom 29. Mai 1995 ist eine gänzlich andere Lösung der Standortfrage festgehalten als jene, auf die sich ein Jahr später Bund, Berlin und Brandenburg einigten. Der Vermerk gibt den Inhalt eines Gesprächs mit dem damaligen Ministerpräsidenten Brandenburgs Manfred Stolpe (SPD) wieder. So seien „vor dem Hintergrund unterschiedlicher Ausgangspositionen Einigungsmöglichkeiten in der Frage der Standortentscheidung“ erörtert worden. Hierzu sei eine „Ausformulierung einer Vereinbarung“ mit unter anderem folgendem „Kerninhalt“ besprochen worden: „Es soll ein internationaler Flughafen im Raum Sperenberg errichtet werden. Er soll im Jahre 2015 den Betrieb aufnehmen.“ Der letzte Satz liest sich heute unfreiwillig prophetisch. Eine klare Linie der damaligen Berliner Landesregierung in Sachen Standortentscheidung lässt sich damit allerdings noch nicht belegen. Ein ebenfalls vertraulicher Vermerk aus dem „Referat Großinvestitionen“ der Senatskanzlei, der einige Tage vorher, nämlich am 22. Mai 1995, angefertigt wurde, stellt gleich im ersten Satz klar: „Der Flughafen BBI kann bei Betrachtung der Interessen des Landes Berlin nur in Schönefeld errichtet werden.“ Aber auch innerhalb der damals regierenden großen Koalition schien man sich in Sachen Standortfrage nicht einig gewesen zu sein. So sprach sich der damalige SPD-Fraktionsvorsitzende Klaus Böger in einem Papier klar für den Standort Sperenberg aus. Der Untersuchungsausschuss hat nun also herauszufinden, wie diese teilweise unterschiedlichen Auffassungen innerhalb von Senatskanzlei und großer Koalition schließlich in die Entscheidung für Schönefeld mündeten und als „Konsensbeschluss“ zwischen den Ländern Berlin und Brandenburg sowie der Bundesrepublik Deutschland vom 28. Mai 1996 festgeschrieben wurde.
Standort mitursächlich für Kostenentwicklung
Man mag nun einwenden, dass eine Untersuchung dieses lange zurückliegenden Entscheidungsprozesses nicht mehr viel mit den aktuellen Ereignissen um den BER zu tun hätte. Das ist insofern richtig, da der Flughafen nun mal dort steht, wo er steht und die Standortfrage des BER seit Langem endgültig geklärt ist. Andererseits hat der Untersuchungsausschuss aber auch die Gründe für die aktuelle Kostenexplosion zu untersuchen. Ein nicht unbedeutender Posten beinhaltet dabei die Ausgaben für Lärmschutzmaßnahmen für die Anwohner/innen. Diese Kosten werden zurzeit weder vom Senat noch von der Flughafengesellschaft endgültig beziffert. Laut Aussagen des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD) im Haushaltsausschuss des Abgeordnetenhauses stünden noch Gerichtsurteile zur Frage aus, wie „streng“ die Lärmschutzauflagen schließlich auszulegen sind, also welche Maßnahmen die Flughafengesellschaft den Betroffenen letztlich finanzieren muss. Dass ein Großflughafen in Stadtnähe mit einer enormen Lärmbelastung für die Anwohner/innen einhergeht, ist eine Binsenweisheit, die auch in den 90er Jahren bereits diskutiert wurde. Da die Entscheidung für Stadtnähe aber für die aktuellen Kostensteigerungen mitursächlich ist, bleiben die Hintergründe der Entscheidung Thema des Untersuchungsausschusses, der nach gesetzlicher Lage und seinem parlamentarischen Auftrag nun mal die Vergangenheit zu untersuchen und sich nicht in die Tagespolitik einzumischen hat. Schwer nachzuvollziehen ist deshalb das Agieren einer seltsamen Allianz von Vertretern der Parteien CDU und Die Linke, die nicht müde werden, öffentlich zu betonen, dass die oben genannten Vorgänge ja eigentlich uninteressant seien und man sich lieber auf die Ereignisse der letzten Monate konzentrieren solle. Bei der Beurteilung dieser Haltung gibt es gewisse Interpretationsspielräume. Der CDU könnte daran gelegen sein, die Verantwortlichkeit der Regierung Diepgen, die bis 2001 währte, möglichst undokumentiert zu lassen. Die Partei Die Linke war über ihren Wirtschaftssenator Harald Wolf immerhin bis Dezember 2011 im Aufsichtsrat der Flughafengesellschaft vertreten und hatte sich während ihrer Regierungszeit nach 2002 von einer strikten Gegnerin des Großflughafens zur Unterstützerin des Projekts gewandelt. Auch die 2009 beschlossene hundertprozentige Bürgschaft der Anteilseigner für die von der Flughafengesellschaft zur Errichtung des BER aufgenommenen Kredite in Höhe von 2,4 Milliarden Euro wurde von Jutta Matuschek (Die Linke) im Haushaltsausschusses des Parlaments vehement unterstützt. Von der Bürgschaftssumme entfallen auf Berlin entsprechend seines Anteils von 37% 888 Millionen Euro. Der Bundesrechnungshof kritisierte bei dieser Bürgschaft, dass die Anteilseigner auf einen Zustimmungsvorbehalt bei Investitionen „von wesentlicher Bedeutung“ verzichteten. Im Klartext: Was die Flughafengesellschaft mit ihren Krediten anstellt, wird von den Bürgen nicht kontrolliert und wenn etwas schief geht, kommt die öffentliche Hand für den Schaden auf. Man darf gespannt sein, wie Jutta Matuschek, die nun für Die Linke im Untersuchungsausschuss arbeitet, diese Bürgschaftsentscheidung heute beurteilt.
Erste Zeugenvernehmung
Anfang Januar fand die erste Zeugenvernehmung des Ausschusses statt. Vorgeladen waren neben Klaus Böger der damalige für „Großinvestitionen“ zuständige Referent der Senatskanzlei und heutige Justizstaatssekretär Alexander Straßmeir und der als „Vater des Konsensbeschlusses“ geltende Flughafenberater Herbert Märtin. Erinnern konnten sich die Zeugen an die verschiedenen Interessenlagen rund um die Standortentscheidung. So hätten zum Beispiel nach den Aussagen von Märtin und Böger auch die Grundstücksgeschäfte um den Flughafen Schönefeld, die als „Baufeld-Ost-Skandal“ in die Geschichte eingingen, Einfluss auf die Berliner Haltung gehabt. Laut Böger hätte gegen die damals diskutierten Standorte Sperenberg und Jüterbog die Stadtferne gesprochen. Beim stadtnahen Schönefeld sah man die Lärmbelastung der umliegenden Siedlungsgebiete zwar als Problem, nach Aussage von Straßmeir sei aber über Lärmschutz eher im Zusammenhang mit Nachtflügen diskutiert worden. In welchem Rahmen der Untersuchungsausschuss seinen umfangreichen Auftrag zu erfüllen in der Lage ist, bleibt abzuwarten. Immerhin hat er einen Aktenbestand von rund einer Million Blatt auszuwerten. Um möglichst vielen Interessierten die Möglichkeit zu geben, sich an der Aufarbeitung des BER-Debakels zu beteiligen, hat die Piratenfraktion eine Internetplattform entwickelt, auf der möglichst viele relevante Dokumente eingestellt werden sollen, die per Kommentarfunktion oder der Herstellung von Dokumentenbeziehungen analysiert werden können.
MieterEcho 359 / April 2013
Schlüsselbegriffe: Untersuchungsausschuss, Flughafen BER , Standortentscheidung, Konsensbeschluss, Nachtflugbedingungen, Sperenberg, Kostenentwicklung, Klaus Wowereit