Brot und Spiele statt Mieterschutz
Während in Moabit die Verdrängung voranschreitet, feiern Sanierungsträger bunte Stromverteilerkästen
Von Rainer Balcerowiak
Zwar wird die Lage für viele Mieter/innen in Moabit immer prekrärer, aber für Brot und Spiele ist immerhin gesorgt. Beim Straßenfest rund um das Rathaus Tiergarten Ende September wurde vor allem die künstlerische Gestaltung von 18 Stromverteilerkästen im Kiez gefeiert. Die Aktion schlug mit mindestens 30.000 Euro zu Buche. Dabei beteuert der Bezirk bei jeder Gelegenheit, kein Geld für Untersuchungen zum möglichen Erlass von Milieuschutzsatzungen in Gebieten zu haben, wo die Bewohner/innen durch Aufwertung von Verdrängung bedroht sind. Das betrifft nicht nur Teile des Sanierungsgebiets, sondern auch den Beussel- und den Huttenkiez.
Immerhin ist in Sachen Milieuschutz ein wenig Bewegung zu verzeichnen. Noch im vergangenen Jahr lehnte das Bezirksamt Prüfungen zum Erlass von Milieuschutzsatzungen strikt ab (MieterEcho Nr. 358/ Februar 2013). Doch nicht zuletzt auf Druck verschiedener Initiativen und mit öffentlicher Unterstützung des Staatssekretärs für Stadtentwicklung Ephraim Gothe (SPD) beschloss der zuständige Ausschuss der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) mit den Stimmen von SPD, Grünen, Linken und Piraten die Einleitung des Prüfverfahrens. Die CDU enthielt sich. Die Zustimmung der BVV im Dezember gilt als sicher, anschließend muss das Bezirksamt zumindest die Vorprüfung in die Wege leiten.
Mieterinitiative putzt Klinken
Für viele Mieter/innen ist das nur ein schwacher Trost, denn das Umwandlungs- und Aufwertungskarussell läuft auf vollen Touren. Allein im Sanierungsgebiet Turmstraße wurden in den vergangenen zwei Jahren 63 Mietshäuser und weitere 231 Wohneinheiten verkauft. Teilweise wechselten ganze Blöcke den Besitzer, so in der Beussel- und in der Lübecker Straße. Entsprechende Auflistungen erhielt die AG Wohnen der Stadtteilvertretung nach monatelanger Verzögerung von den zuständigen bezirklichen Stellen. Die Mieterinitiative im Sanierungsgebiet Turmstraße (M.I.S.T) versucht nun herauszufinden, was das für die Mieter/innen in diesen Häusern bedeutet. Ein äußerst mühseliges Unterfangen, denn Informationen über die neuen Besitzer gibt es zunächst nicht und in den Hausfluren findet man meist nur die Anschrift der Verwaltungen.
Die Initiative verfasste ein Anschreiben, das in allen betroffenen Häusern in die Briefkästen gesteckt wird. Darin heißt es: „Im Sanierungsgebiet wurden in den vergangenen Jahren viele Mietshäuser verkauft. Auch dieses Haus ist davon betroffen. In vielen Fällen bedeutet ein Besitzerwechsel, dass der neue Eigentümer deutliche Mietsteigerungen durch Modernisierungen anstrebt oder Eigentumswohnungen schaffen will. Wenn Mieter eines Hauses sich zusammenschließen, haben sie durchaus Möglichkeiten, sich gegen Pläne von Hausbesitzern zur Wehr zu setzen. Unsere Mieterinitiative und ihre Vertreter in der Stadtteilvertretung (StV) wollen von Mietwucher und Verdrängung bedrohte Anwohner zum Widerstand ermuntern. Wir unterstützen sie auch bei der Vorbereitung von Hausversammlungen und stellen Kontakt zu erfahrenen Mieterberatern her.“ Zusätzlich recherchieren die Mitglieder der Initiative im Internet und sie wollen auch versuchen, Mieter/innen direkt an der Haustür anzusprechen.
„Kiezspaziergänge“ geplant
Das Problem der Aufwertung und Verdrängung in Moabit ist keineswegs auf das Sanierungsgebiet beschränkt. Andere Initiativen nutzten das „Turmstraßenfest“ im September, um Informationen von Mieter/innen zu erhalten. Das Ergebnis kann kaum verwundern: In Dutzenden von Häusern wurden oder werden Modernisierungen durchgeführt, die zu teilweise exorbitanten Mietsteigerungen führen. Auch die Umwandlungswelle geht weiter. Die Gruppen wollen mit regelmäßigen „Kiezspaziergängen“ auf das Treiben der neuen Vermieter aufmerksam machen.
Die Verdrängung von Mieter/innen aus ihren angestammten Quartieren ist auch längst ein Thema der Medien. So erhielt eine Moabiter Initiative vor Kurzem die Anfrage des rbb: „Wir möchten gerne für unser rbb-Format ‚Himmel und Erde’ eine TV-Reportage drehen, die das Thema Gentrifizierung aufgreift. Dafür suchen wir nach einem oder auch mehreren Protagonisten, die sich ihre Wohnungen im Zentrum Berlins nicht mehr leisten können und kurz vor der Zwangsräumung beziehungsweise einem Umzug stehen.“
Weitere Informationen: http://stv-turmstrasse.de
MieterEcho 363 / Oktober 2013
Schlüsselbegriffe: Moabit, Milieuschutzsatzungen, Stromverteilerkästen, Sanierungsgebiet Turmstraße, Beusselkiez, Huttenkiez, Umwandlung, AG Wohnen, Stadtteilvertretung Turmstraße, Kiezspaziergänge, Gentrifizierung