Auf Los geht’s endlich los?
Die Große Koalition legt nach zwei Jahren Regierung ein Konzept zum Wohnungsneubau vor
Von Benedict Ugarte Chacón
Die Zukunft der Berliner Wohnungspolitik passt auf drei DIN-A4-Seiten. Diesen Umfang hatte der von den Fraktionen von SPD und CDU am 12. September in das Plenum des Abgeordnetenhauses eingebrachte Antrag. Allen üblichen Formalitäten zum Trotz verzichtete die Koalition darauf, ihren Antrag schriftlich zu begründen. Es blieb bei einer schwammigen Aufzählung künftiger Maßnahmen, die dem Titel des Antrags zufolge Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen möglich machen und zudem die Liegenschaftspolitik neu ausrichten sollen.
Geht es nach dem Willen der Koalition, werden die landeseigenen Wohnungsunternehmen durch den Senat zum Neubau angewiesen. Hierzu sollen 775 Millionen Euro „haushaltsneutral“ eingesetzt werden. Das heißt nichts weiter, als dass sich die Wohnungsbaugesellschaften erneut verschulden müssen. Da sie nach wie vor vom Senat angehalten sind, Gewinne zu erwirtschaften, müssen sie die Schulden über die spätere Miete wieder hereinholen. Wie so „bezahlbares Wohnen“ für Mieter/innen mit wenig Geld geschaffen werden soll, bleibt offen. Weiterhin soll bei der Investitionsbank Berlin ein Wohnungsbaufonds mit 320 Millionen Euro eingerichtet werden. Bedient werden sollen aus dem Fonds sowohl die landeseigenen Wohnungsunternehmen als auch private Bauträger (MieterEcho Nr. 361 Juli 2013). Was die Beteiligung privater Bauträger an den künftigen Wohnungsbaumaßnahmen betrifft, scheint sich die CDU gegen die SPD oder doch zumindest gegen Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) durchgesetzt zu haben. Dieser ließ die Berliner Zeitung am 29. August wissen, dass er sich mit der Beteiligung Privater an einem öffentlich geförderten Wohnungsbau nur schwer anfreunden könne: „Bei den Privaten bin ich sehr zurückhaltend (...). Es hat mir bisher niemand überzeugend erklären können, wie man private Bauherren fördern kann, ohne Mitnahmeeffekte zu riskieren.“ Seine Haltung begründete Nußbaum mit den überwunden gedachten Zuständen des früheren Sozialen Wohnungsbaus: „Diesen Fehler hatten wir schon bei der alten Wohnungsbauförderung in West-Berlin, für die wir immer noch jedes Jahr Hunderte von Millionen Euro Mietzuschüsse zahlen.“
Verdrängung institutionalisiert
Die Erteilung von Baugenehmigungen wollen SPD und CDU beschleunigen, indem hierfür in jedem Bezirksamt bis zu sechs befristete Stellen geschaffen werden, die über den Landeshaushalt finanziert werden. Zudem sollen die Bezirke bei zügiger Genehmigung eine Prämie von 500 Euro pro zu errichtender Wohnung erhalten. Große Bauvorhaben sollen nach dem Willen der Koalition vermehrt in die Zuständigkeit des Senats übergehen. Mit beiden Maßnahmen werden also in Zukunft Neubauprojekte durchgeboxt – auch oder gerade wenn sie im betroffenen Kiez nicht auf Zustimmung stoßen.
Bei der von Rot-Schwarz beabsichtigten Neuausrichtung der Liegenschaftspolitik werden die landeseigenen Grundstücke künftig in vier Kategorien „geclustert“ und – so sie für die Daseinsvorsorge wichtig erscheinen – auch im Landesbesitz gehalten. „Grundstücke mit Entwicklungsperspektive“ sollen aber weiterhin veräußerbar bleiben und bei „Grundstücken mit Verkaufsperspektive“ wird nach wie vor der höchste Erlös angestrebt. In der Vergangenheit hatte Finanzsenator Nußbaum angekündigt, für den Neubau von Wohnungen kostenlos Grundstücke zur Verfügung zu stellen. Wenn nun die Koalition bei bestimmten Grundstücken auf den höchsten Verkaufserlös schielt, bedeutet dies, dass Grundstücke in guter Lage – zum Beispiel in der Innenstadt – für die Neuschaffung von kostengünstigem Wohnraum gar nicht zur Verfügung stehen. Die Gratisgrundstücke werden sich wohl außerhalb des S-Bahn-Rings befinden. Der Neubau findet also wahrscheinlich dort statt, wohin die ärmeren Bevölkerungsschichten bereits jahrelang abdrängt worden sind.
Die Liegenschaften des Landes Berlin sollen zukünftig in vier Kategorien „geclustert“ werden: „Grundstücke des Fachvermögens“ und „Grundstücke zur Daseinsvorsorge“ bleiben als sogenannte Vorratsgrundstücke im Landesbesitz und stehen maximal für Zwischennutzungen zur Verfügung. „Grundstücke mit Entwicklungsperspektive“ sollen im Konzeptverfahren veräußert werden. Neben Verkauf sind auch Erbbaurecht oder Miete/Pacht vorgesehen und bei der Vergabe soll es um mehr als nur den Preis gehen. Bei Grundstücken mit Verkaufsperspektive wird der höchste Verkaufspreis angestrebt.
MieterEcho 363 / Oktober 2013
Schlüsselbegriffe: Wohnungsneubau, Berlin, Wohnungspolitik, landeseigene Wohnungsunternehmen, Wohnungsbaufonds, Finanzsenator Ulrich Nußbaum, Liegenschaftspolitik, Grundstücke zur Daseinsvorsorge, Grundstücke des Fachvermögens, Grundstücke mit Entwicklungsperspektive, Verkaufspreis