„Wohnungsmarktprobleme treffen ökonomisch benachteiligte Gruppen“
Wenn von Diskriminierung die Rede ist, wird zu wenig über Armut gesprochen
Interview mit der Sozialwissenschaftlerin Emsal Kilic
„Tut mir leid, die Wohnung ist schon vergeben“ heißt es oft. Wer nicht dem Wunschbild der Vermieter entspricht, hat es schwer. Nicht selten genügt die Nennung eines nicht deutschen Namens am Telefon oder in der E-Mail-Adresse, um die Bewerbung enden zu lassen. Auch wirtschaftlich Schwache, Ältere, kinderreiche Familien und Menschen mit Behinderungen haben oft größere Schwierigkeiten, eine Wohnung zu bekommen, als ein heterosexuelles kinderloses Doppelverdiener-Paar deutscher Herkunft. Je mehr Faktoren zusammenkommen, desto schwieriger wird es.
Die zur Benachteiligung auf dem Wohnungsmarkt führenden Mechanismen sind vielfältig. Ihre Auswirkungen betreffen den Zugang zu den angebotenen Wohnungen, die Mietkonditionen sowie die Qualität, das Umfeld und die Lage der Wohnung. Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt findet oft verdeckt statt und führt häufig zur Konzentration der Benachteiligten in bestimmten Gebieten.
Zwar ist seit 2006 das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Kraft, jedoch zeichnet es sich eher durch Ausnahmeregelungen als durch strikte Vorgaben zur Gleichbehandlung aus. Auf dem Wohnungsmarkt gilt es nur eingeschränkt, denn ein großer Teil des Wohnungsbestands bleibt ausgenommen. Außerdem sind Ausnahmen vom Gebot der Gleichbehandlung zum „Erhalt und Aufbau sozial stabiler Bewohnerstrukturen sowie ausgewogener Siedlungsstrukturen“ zugelassen. Diese Ausnahmeregelungen wurden auf Betreiben der Immobilienlobby in das AGG aufgenommen und bieten Vermietern geradezu Freifahrtscheine für Diskriminierungen.
Emsal Kilic ist Sozialwissenschaftlerin und arbeitet bei der Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen e.V. als Koordinatorin. Dort leitet sie die Hotline für die telefonische Erstberatung. Im Jahr 2008 führte sie eine Studie zur Diskriminierung von Migrant/innen auf dem Berliner Wohnungsmarkt durch (MieterEcho Nr. 332/ Februar 2009). |
MieterEcho: Von Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt hört man häufig, aber wer genau ist davon betroffen?
Emsal Kilic: Durch meine Arbeit, aber auch aus privaten Kreisen, bekomme ich immer wieder mit, dass vor allem Menschen mit Migrationshintergrund auf dem Wohnungsmarkt diskriminiert werden. Aber ich möchte betonen, dass das kein „Migrantenproblem“ ist. Auch viele Menschen aus der sogenannten Mehrheitsgesellschaft sind mit ähnlichen Problemen konfrontiert. Vor allem die soziale Lage spielt dabei eine Rolle. Wohnungsmarktprobleme treffen insbesondere Menschen aus ökonomisch benachteiligten Gruppen.
Wen genau meinen Sie damit?
Mit ökonomisch benachteiligten Gruppen meine ich Menschen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, sowie ältere Menschen, die ihr ganzes Leben in schlecht bezahlten Jobs gearbeitet haben und deren kleine Rente kaum für den Lebensunterhalt reicht. Dazu kommen kinderreiche Familien und vor allem alleinerziehende Mütter – ich sage bewusst Mütter, denn es gibt in Berlin sehr wenige alleinerziehende Väter –, die in nicht qualifizierten Stellen arbeiten und ihr Einkommen mit ALG II aufstocken müssen. Auch Studierende, die keine reichen Eltern haben, kommen hinzu. Es ist ein Problem des Diskriminierungsdiskurses, dass viel zu wenig über Armut gesprochen wird.
Aber ist es nicht etwas anderes, ob sich jemand eine Wohnung nicht leisten kann oder ob sie oder er die Wohnung wegen eines ausländisch klingenden Namens nicht bekommt?
Das Spannende ist, dass oft verschiedene Mechanismen zusammenwirken. Sowohl die strukturelle Benachteiligung als auch Vorurteile und Rassismus spielen hier eine Rolle. Im Endeffekt trifft es Migrant/innen in besonders hohem Maß. Das liegt auch, aber eben nicht nur, an Vorurteilen. Denn besonders Migrant/innen sind beispielsweise oft von Arbeitslosigkeit bedroht, haben niedrig bezahlte Jobs und insgesamt schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Umgekehrt kann man festhalten, dass Menschen mit gutem Einkommen und hohem sozialen Status wenig Probleme bei der Wohnungssuche haben.
Hat das auch mit Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt zu tun?
Ja, wenn etwa in einigen Bezirken die Mieten so stark steigen, dass die Mietobergrenzen für Sozialleistungsbeziehende flächendeckend überschritten werden. Die Sozialleistungsbeziehenden müssen dann ihren Wohnort wechseln. Beispielsweise ist eine Mutter, die jahrelang in Steglitz gewohnt hat und nach der Scheidung ihr Einkommen mit ALG II aufstocken muss, davon betroffen. Bei einer Obergrenze von 444 Euro findet man dort kaum eine 2-Zimmer-Wohnung. Das Beispiel könnte aber auch auf zwei ältere Menschen mit einer niedrigen Rente aus Schöneberg zutreffen. Auch sie müssen mitunter ihren gewohnten Bezirk verlassen. Auch wenn die Mietobergrenzen in der neuen Wohnaufwendungsverordnung (WAV) etwas erhöht wurden, ist es in einigen Gegenden kaum möglich, angemessenen Wohnraum zu finden.
Wohin kann das führen?
Es ist zu erwarten, dass diese Situation zu einer erzwungenen Segregation führen wird. Dass sich also bestimmte Schichten und Gruppen in einigen Gegenden konzentrieren, während sie in anderen nicht mehr anzutreffen sind. Und das nicht, weil sie das so wollen, sondern weil sie ihren Wohnort nicht frei wählen können. Diese Probleme werden uns dann unter der Frage der „Integration“ erneut zu schaffen machen.
Kann das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) dabei helfen, Diskriminierungen auf dem Wohnungsmarkt zu bekämpfen?
Leider kaum. Die Immobilienlobby hat großen Einfluss auf dieses Gesetz ausgeübt. (Siehe hierzu auch den Beitrag von Bahar Sanli „Durchs Raster gefallen“ .) Deshalb findet es auf dem Wohnungsmarkt nur beschränkte Anwendung. Außerdem sind solche Instrumente vor allem für eine Bildungsschicht interessant, die sich mit dem Rechtssystem auskennt und weiß, wie man sich Unterstützung holt und die eigenen Rechte durchsetzt.
Für sozial benachteiligte Schichten ist es keine große Hilfe. Was sind Ihre Empfehlungen?
Leider gibt es bisher viel zu wenige Anlaufstellen für solche Belange. Mieter-, Frauen- und Migrantenberatungsstellen sind häufig überlaufen und bei diesen Themen auch überfordert. Es braucht mehr adäquate Anlaufstellen, die kompetent und ohne große Hemmschwellen Unterstützung, Beratung und Begleitung anbieten.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Philipp Mattern
Diskriminierung und das AGGDas Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) soll verhindern, dass Personen aufgrund ethnischer Herkunft, Alters, Geschlechts, sexueller Identität, Behinderung, Religion oder Weltanschauung benachteiligt werden. Von „Diskriminierung“ kann gesprochen werden, wenn eine Person aufgrund dieser Merkmale ohne sachlich gerechtfertigten Grund eine weniger günstige Behandlung erfährt. In diesem Fall besteht die Möglichkeit, einen Schadensersatz geltend zu machen. Aber nicht jede Ungleichbehandlung ist verboten: Kann ein „sachlich zu rechtfertigender Grund“ plausibel gemacht werden, liegt keine Diskriminierung nach dem AGG vor. Kritisch zu sehen ist, dass soziale oder ökonomische Ungleichheiten im AGG keine Rolle spielen. Oft liefern sie sogar die „sachlichen Gründe“, die eine faktische Ungleichbehandlung rechtfertigen: Finden Geringverdiener/innen in Gegenden mit steigender Miete keine Wohnung mehr, gilt das nicht als Diskriminierung. Wer bei der Bewerbung um eine Stelle aufgrund der sozialen Herkunft oder wegen nicht exzellenter Sprachkenntnisse nicht berücksichtigt wird, kann sich ebenso wenig auf das AGG berufen. Fordert die Ausschreibung hingegen „deutsch als Muttersprache“, ist das wiederum ein klarer Fall von Diskriminierung nach dem AGG. Das hört sich paradox an, erklärt sich aber aus dem Charakter des AGG. Es wendet sich nicht gegen Ungleichheit als solche, sondern lediglich gegen ungleiche Behandlung. Das passt zum neoliberalen Zeitgeist und stellt ein ihm kompatibles Instrument dar, mit sozialen Widersprüchen umzugehen. Gerechtigkeit ist nach dem AGG als Verfahrensgerechtigkeit zu verstehen, im Sinne eines Fair Play. Die Frage nach sozialer Verteilungsgerechtigkeit und einer auf sie ausgerichteten Politik verschwindet dahinter. Die einseitige Ausrichtung des AGG und des ihm folgenden Diskriminierungsdiskurses machen die Beiträge im Schwerpunkt dieses MieterEchos deutlich. Anhand des Wohnungsmarkts zeigen sie die sozialen Hintergründe und Mechanismen auf, die zu verschiedenen Formen von Benachteiligung führen. Auch widmen sie sich Tendenzen, die eine Verschärfung dieser Probleme mit sich brachten. Den wenigsten davon dürfte mit bloßer Gleichbehandlungspolitik beizukommen sein. (pm) |
Schlüsselbegriffe: Wohnungsmarkt, Diskriminierung, Armut, Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, AGG, Immobilienlobby, Migranten/innen, Segregation,