Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 352 / Januar 2012

Wohnen am Bellevue – schöne Aussicht nicht für alle!

Umstrukturierung und Mietervertreibung im südlichen Moabit

Susanne Torka

 

Im Gebiet zwischen Paul- und Thomasiusstraße, Alt-Moabit und S-Bahn befinden sich neben gut erhaltenen Altbauten auch zahlreiche Wohngebäude aus den 60er Jahren. Durch die Nähe zum Regierungsviertel und zur Spree ist dort der Veränderungsdruck besonders hoch. Ein krasses Beispiel dafür bietet die Ecke Melanchthon- und Calvinstraße.

Das Eckgrundstück selbst war nach dem Zweiten Weltkrieg lange unbebaut geblieben. In der Calvin- und in der Melanchthonstraße schlossen sich Sozialwohnungen des Wiederaufbauprogramms an. Die Häuser gehörten zuletzt einer kirchlichen Stiftung, bis sie an die Team2 GmbH des Günter Stach verkauft wurden (über die Team2 GmbH berichtete das MieterEcho im Zusammenhang mit dem lange umkämpften Haus Brunnenstraße 183, siehe MieterEcho Nr. 288/ November 2001 und MieterEcho Nr. 314/ Februar 2006). Nach der Insolvenz der Team2 GmbH ist Stach nun mit der Terrial GmbH im Geschäft.

Knacken in den Wänden

Die Bauarbeiten in der Melanchthonstraße 17-18 begannen bereits Ende 2006. Eine Wärmedämmung und neue Fenster waren als Modernisierung angekündigt. Die Modernisierungsmaßnahmen zogen sich hin. 2008 wurden die Häuser um zwei Geschosse aufgestockt. Seitdem klagen einige Mieter/innen über ständiges Knacken in den Wänden. Sie hatten während der Bauarbeiten viel Ärger, ständigen Lärm und Dreck, gerichtliche Auseinandersetzungen über Mietminderungen und die Höhen der Modernisierungsumlagen. Einzelne Mieter/innen, die seit Jahrzehnten dort wohnen, wurden vom Eigentümer sogar auf der Straße angesprochen und eingeschüchtert.

Gehobenes Wohnen

Auf das Eckgrundstück baute die Terrial GmbH ein modernes Energiesparhaus mit gehobener Ausstattung: Parkett, Fußbodenheizung, hochwertige Armaturen, Balkone. Das Penthouse ist mit „allen Vorrichtungen für das outdoor cooking“ ausgestattet. Die Wohnungen sind direkt aus der Tiefgarage mit einem Aufzug zu erreichen. Kaufpreise zwischen 3.500 und 5.000 Euro/qm, Mietpreis 14 Euro/qm kalt. Bei diesen Renditeerwartungen stören die langjährigen Mieter/innen der angrenzenden Häuser. Aufgeschreckt durch den Ärger, den ihre Nachbar/innen in der Melanchthonstraße durchzustehen hatten, verließen alle Mieter/innen die Calvinstraße 20. So hatte die Terrial GmbH freie Bahn, dieses Haus komplett umzubauen, zu modernisieren und nach Verstärkung des Fundaments ebenfalls um zwei Geschosse aufzustocken. Es ist kaum noch von einem Neubau zu unterscheiden.

Betonwand statt Fenster

Als Nachkriegshaus zu erkennen ist lediglich noch das Gebäude dazwischen: Calvinstraße 21. Doch auch das ist längst nicht mehr im alten Zustand. Der Hauseingang ging ursprünglich zum Garten nach hinten raus. Hier wurden für den Bau der Tiefgarage alle Bäume abgeholzt und der Garten zerstört. Ins Treppenhaus kommt man nur noch über eine metallene Nottreppe, die in den letzten beiden Wintern sehr glatt war. Der Weg führt durch eine frühere Hochparterre-Wohnung, in der, ständig offen, die Toilette für die Bauarbeiter liegt. Von den ursprünglich 15 Mietparteien sind nur noch sechs übrig. Sie sind entschlossen zu bleiben und wehren sich gemeinsam gegen die Modernisierung, nach der die Miete um fast 5 Euro/qm steigen soll. In den Wohnungen, die an das Eckgrundstück angrenzen, sind die Küchen- und Badfenster wie zugemauert, denn die Mieter/innen haben die Betonwand des Neubaus vor den Fenstern. Das wurde zwar angekündigt, zugestimmt hat dem aber niemand. Helga Brandenburger berichtet, wie sie im April 2010 aus der Klinik kam und plötzlich kein Tageslicht mehr in Küche und Bad hatte – und abends hätte Stach vor ihrer Tür gestanden und gesagt: „Sehen Sie, so schnell kann das gehen! Wo sollen wir jetzt die Entlüftung legen?“ Sie hat weder ihn noch die Bauarbeiter in ihre Wohnung gelassen. Die Familie Czapara hatte jahrelang geklagt, damit die maroden Fenster instandgesetzt werden. Vor drei Jahren hat das Gericht das Urteil gesprochen, doch passiert ist bis jetzt immer noch nichts.


Bereits im September 2011 gingen die Mieter/innen auf die Straße. Als sie kurz vor Weihnachten fristlose Kündigungen wegen angeblicher Mietrückstände erhielten, luden sie die Abendschau ein. Sie hatten aus verschiedenen Gründen die Mieten gemindert, natürlich auch wegen Baulärm und Dreck. Und das völlig zu Recht. Bei der langen Bauzeit kommt da natürlich einiges zusammen.

 

 


MieterEcho 352 / Januar 2012

Schlüsselbegriffe: Bellevue, Umstrukturierung, Mietervertreibung, Moabit, Melanchthonstraße, Calvinstraße, Team2 GmbH des Günter Stach, Brunnenstraße 183, Modernisierungsumlagen, Bauarbeiten

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