Wer muss draußen bleiben?
Wie landeseigene Wohnungsunternehmen bei der Vergabe von Wohnungen selektieren
Christine Barwick
Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt ist immer wieder Thema in den Medien und im politischen Diskurs. Doch worin besteht das Spezifische dieser Diskriminierung? Wie kommt es, dass bestimmte Gruppen schlechtere Chancen bei der Wohnungssuche haben? Zur Beantwortung dieser Fragen müssen vor allem die politischen Rahmenbedingungen in Rechnung gestellt werden. Es zeigt sich schnell, dass der ethnische oder kulturelle Hintergrund migrantischer Wohnungsbewerber/innen eine große Rolle spielt. Aber die Chancen, bei den landeseigenen Berliner Wohnungsunternehmen eine Wohnung zu bekommen, werden ebenso durch die soziale Lage bestimmt.
Christine Barwick ist Stadtsoziologin und arbeitet beim Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung in Dortmund. Sie veröffentlichte im vergangenen Jahr eine Studie zu Ungleichheit auf dem Wohnungsmarkt, die wir hier auszugsweise abdrucken. |
Der Beitrag basiert auf Interviews mit sieben Mitarbeiter/innen dreier städtischer Wohnungsbaugesellschaften in Berlin. Die Interviewpartner/innen waren zuständig für die Vergabe und für die Verwaltung der Wohnungen. Die Mitarbeiter von Institutionen wie den Wohnungsunternehmen werden als „Gatekeeper“, also Torwächter, bezeichnet, da sie den Zugang zum (knappen) Wohnraum kontrollieren. Dadurch haben sie Einfluss auf die sozialräumliche Struktur der Stadt. So können beispielsweise bestimmte Vergabepraktiken die Bildung von ethnisch oder sozial segregierten Gebieten begünstigen.
Mietnachlass nur in unattraktiven Lagen
Zu den wichtigen politischen Bedingungen gehören die hohen Mieten des sozialen Wohnungsbaus. Sie resultieren aus der jährlichen auf die Mieter/innen umgelegten Kürzung der Förderung von 0,13 Euro/qm Wohnfläche. Eine alleinerziehende Person mit 2 Kindern erhält zum Beispiel vom Jobcenter 542 Euro pro Monat für die Wohnkosten. In dieser Preisklasse gibt es aber kaum (passende) Wohnungen und so gestaltet sich die Suche nach bezahlbarem Wohnraum, gerade in der Innenstadt, sehr schwierig.
Die Wohnungsbaugesellschaften könnten zwar auf einen Teil der Miete verzichten, doch daran hindert sie ihre – von der Politik vorgegebene – betriebswirtschaftliche Ausrichtung. Allenfalls in sehr unattraktiven Lagen werden Mietnachlässe wegen der einseitigen Nachfrage erwogen. Die Mietreduktion ist dann eine ökonomische Notwendigkeit und nicht Ausdruck sozialer Verpflichtung
Ausschlusskriterium: „soziale Mischung“
Problematisch ist auch die vom Land Berlin 2002 einführte sogenannte Gebietsfreistellung. Seitdem benötigen Mieter/innen in gewissen Bezirken und Siedlungen keinen Wohnberechtigungsschein (WBS) mehr. Zudem fällt die Fehlbelegungsabgabe für Besserverdienende weg. In Gegenden wie beispielsweise Kreuzberg hat das eine Verengung des verfügbaren Wohnraums für Geringverdiener/innen und Hartz-IV-Beziehende zur Folge. Um die soziale Mischung herzustellen, werden erwerbstätige Personen mit geregeltem und sicherem Einkommen als Mieter/innen bevorzugt. Für Geringverdiener/innen und Hartz-IV-Beziehende bedeutet das eine Verdrängung in wenig nachgefragte Quartiere oder Siedlungen.
Schlecht ausgestattete, teure oder sich in „schlechten Lagen“ befindende Wohnungen werden meist nur Migrant/innen angeboten. Der „gute Mieter“, den ja auch die Wohnungsbaugesellschaften suchen, würde laut einem ihrer Mitarbeiter solche Wohnungen nicht mieten. Migrant/innen werden also für die Wohnungen, die sonst niemand haben möchte, als Lückenfüller genommen.
Nur die Schnellsten bekommen die Wohnung
Neben den politischen Rahmenbedingungen und dem Wohnungsmarkt beeinflussen die Funktionsweisen öffentlicher Institutionen sowie die Arbeitsmethoden der Mitarbeiter/innen die Wohnungsvergabe. Die landeseigenen Berliner Wohnungsunternehmen haben mehr Mietinteressent/innen als Wohnungen. Das führt zu Mechanismen, die eine schnelle Auswahl ermöglichen. Zum Beispiel müssen Mietschuldenfreiheitsbescheinigung, Einkommensnachweis und Personalausweis vorgezeigt werden (siehe MieterEcho Nr. 354/ Mai 2012). Hartz-IV-Beziehende und Migrant/innen, für die es oft schwieriger ist, diese Unterlagen sofort vorzuweisen, sind im Nachteil, denn die Person, die am schnellsten alle Dokumente beisammen hat, bekommt die Wohnung. Hartz-IV-Beziehende benötigen zudem eine Bescheinigung zur Mietübernahme vom Jobcenter – ein Prozess, der mehrere Tage, wenn nicht sogar Wochen, dauern kann. Eine nachgefragte Wohnung ist dann bereits vermietet. Hannes Weber*, Mitarbeiter einer Berliner Wohnungsbaugesellschaft und für Kreuzberg zuständig, beschreibt das so: „Oft ist es auch so, dass viele Probleme haben, auch die Unterlagen teilweise zusammenzustellen. Also manche brauchen vier Wochen, manche brauchen fünf Wochen. Solange warten wir natürlich nicht auf den, dass er die Wohnung bekommt, weil dann gibt’s ja auch noch andere.“
Benachteiligung durch Schubladendenken
Um Arbeitsabläufe zu erleichtern, teilen die Mitarbeiter/innen ihre Kundschaft oft in Kategorien ein. Werden Mietinteressent/innen als Hartz-IV-Beziehende oder Migrant/innen eingeordnet, unterstellen die Mitarbeiter/innen bestimmte Wohnungswünsche. So wird zum Beispiel oft angenommen, dass Migrant/innen gerne unter sich bleiben und folglich werden nur Wohnungen in bestimmten Gebieten angeboten. Der von den Wohnungsbewerber/innen geäußerte Wunsch nach einer Wohnung in einem Gebiet mit geringem Migrantenanteil wird dabei gar nicht wahrgenommen.
Die genannten Mechanismen führen dazu, dass Migrant/innen und Hartz-IV-Beziehende auch bei der Vergabe der landeseigenen Wohnungen benachteiligt sind. Letztendlich werden sie mehr und mehr in unbeliebte Siedlungen oder Randbezirke gedrängt. Vor allem durch die politischen Rahmenbedingungen kommt es zur Verdrängung von Hartz-IV-Beziehenden, und das, obwohl der öffentliche Wohnungsbau das Ziel haben sollte, gerade die wirtschaftlich schwächeren Mitglieder der Gesellschaft mit gutem Wohnraum zu versorgen.
*) Namen geändert.
Draußen vor der TürAuszug aus dem Beitrag „Draußen vor der Tür – Exklusion auf dem Berliner Wohnungsmarkt“ von Christine Barwick in den WZB Mitteilungen, Heft 134, Dezember 2011: „Die Interviews machen deutlich, dass die vermeintlichen Interessen der deutschen Mieter die Mieterauswahl der interviewten gatekeeper beeinflussen. In attraktiven Gegenden wie Kreuzberg oder auch der Spandauer Altstadt wird, wie die Mitarbeiter selbst einräumen, darauf geachtet, dass keine weiteren Familien mit Migrationshintergrund in ein Gebäude einziehen. Jürgen Scholz*, der für eine Wohnungsbaugesellschaft im Wedding arbeitet, sagt zur Mieterauswahl für eine attraktive Wohnanlage mit überwiegend deutscher Mieterschaft, „da würde ich zum Beispiel ’ne Dame mit Kopftuch ungern reinsetzen“. Bei der Wohnungsvergabe spielen also die Kategorien Migrant und Einheimischer eine Rolle, wobei die Interessen der deutschen Mieter der Maßstab sind. Wenn Migranten keine oder eine schlechtere Wohnung bekommen, um den Interessen der deutschen Mieter gerecht zu werden, so benachteiligt dies natürlich die Migranten – und verstärkt soziale Ungleichheit. Die Beobachtungen der Arbeit in den Büros zweier Wohnungsbaugesellschaften belegen, dass deutsche Kunden oft türkischen, arabischen oder afrikanischen vorgezogen wurden. Waren die Migranten zugleich Hartz-IV-Empfänger, hatten sie besonders schlechte Karten. Eine Mitarbeiterin sagte beispielsweise, ihrer Meinung nach hätten Hartz-IV-Empfänger kein Recht auf Wohnungen in Innenstadtlage. Sie fügte hinzu, Hartz-IV-Empfänger lebten oft über Generationen hinweg von staatlicher Unterstützung und bemühten sich gar nicht um Arbeit. Der Wunsch von Migranten etwa, in einer Gegend mit geringem Migrantenanteil zu wohnen, wird nicht immer ernst genommen. Wenn aber an Migranten vorzugsweise in Siedlungen oder Quartieren vermietet wird, in denen bereits viele weitere Migranten leben, führt dies letztendlich zu ethnischer Segregation und verstärkt wiederum soziale Ungleichheit. Viele Mitarbeiter von Wohnungsbaugesellschaften schätzen sich als Experten ein, wenn es darum geht, Mietinteressenten von vornherein bestimmten Kategorien wie beispielsweise „arbeitslos“ zuzuordnen. Auf die Frage, wie schnell er seine Kunden einordnen könne, antwortet Jürgen Scholz*, der seit etwa einem Jahr bei seinem Unternehmen arbeitet: „Ja, man muss auch zwei, drei Worte sprechen mit den Leuten, dann kriegt man’s aber relativ schnell raus. Aber ich sag’ mal, der erste Eindruck trifft auf 50% zu oder vielleicht 60, 70% zu, und den Rest machen dann die nächsten zwei Minuten.“ Die Zuordnung zu einer bestimmten Kategorie spiegelt sich im Umgang der Mitarbeiter mit den Kunden wider. Dies wurde bei den Beobachtungen deutlich, bei denen vermeintlich arbeitslose Mietinteressenten in einigen Fällen gar keine oder in anderen Fällen eine weniger ausführliche Beratung bekamen als Erwerbstätige. Die Aussagen und Beobachtungen deuten insgesamt darauf hin, dass bei der Wohnungsvergabe im sozialen Wohnungsbau in Berlin vor allem Kategorien zur Anwendung kommen, die Hartz-IV-Empfänger und Migranten benachteiligen. Dabei zeigt sich aber, dass dies nicht allein auf Vorurteile von Mitarbeitern der Wohnungsbaugesellschaften zurückzuführen ist; auch institutionelle Diskriminierung trägt wesentlich dazu bei. So führen etwa die Rahmenbedingungen durch die städtische Politik und das hohe Arbeitsaufkommen in den Wohnungsbaugesellschaften dazu, dass schnell kategorisiert wird – und bestimmte Gruppen dadurch benachteiligt werden. In letzter Konsequenz droht dies Hartz-IV-Empfänger und Migranten immer weiter in die Großbausiedlungen in den Randbezirken zu drängen, was letztendlich soziale Ungleichheit verstärkt.“ |
Weitere Infos und Download des Beitrags:
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Schlüsselbegriffe: landeseigene Wohnungsunternehmen, Diskriminierung, Wohnungsmarkt, städtische Wohnungsbaugesellschaften, soziale Mischung, Benachteiligung, Migrant/innen