Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 352 / Januar 2012

Wem gehört Kreuzberg?

Bündnis aus drei Kiezinitiativen wehrt sich gegen Verdrängung und steigende Mieten

Jürgen Enkemann

 

„Kiez wehrt sich“ heißt es auf dem Logo, das die Mieterinitiative „Wem gehört Kreuzberg?“ auf Transparenten, Plakaten und Flyern einsetzt, um Wohnungsprobleme und Widerstandsbereitschaft in den Blick zu rücken. Drei Initiativen im westlichen Teil von Kreuzberg wehren sich so gemeinsam gegen Mietwucher und Verdrängung: der Graefekiez, der Chamissokiez und der Yorck-Großbeeren-Kiez


Dass ein stark motiviertes Initiativenbündnis gerade in diesen Vierteln entstand, ist kein Zufall. Bei Investoren aus dem In- und Ausland stehen die zentral gelegenen Wohnquartiere mit Gründerzeitbauten und Parknähe hoch im Kurs. Viele Mieter/innen sind von steigenden Mieten, Umwandlungen, Verkäufen und der wachsenden Anzahl von Ferienwohnungen betroffen. Zudem haben Abwehrkämpfe gegen Mietwucher und Vertreibung im Gebiet eine lange Tradition. Der Mieterladen und der Mieterrat am Chamissoplatz waren in der Vergangenheit überaus engagierte, auf die Hausbesetzerzeiten zurückgehende Selbstorganisationen. In jüngerer Zeit machte im Chamissokiez eine aufmüpfige Hausgemeinschaft in der Willibald-Alexis-Straße 34 – genannt „Wax 34“ – von sich reden. Rührige Initiativen wie die „Mieten AG“ gibt es seit Längerem im Graefekiez. Im Yorck-Großbeeren-Kiez unterstützte der Verein „Kreuzberger Horn – Kultur im Kiez“ in seiner Kiezzeitschrift unter anderem den Widerstand gegen die Räumung des Wohnprojekts „Yorck 59“ und beteiligt sich bereits seit Ende der 90er Jahre an Veranstaltungen zum Thema Mieten.

Gut besuchte Veranstaltungen

Im Jahr 2010 gab es im westlichen Kreuzberg mehrere gut besuchte Podiumsdiskussionen mit Experten und Parteienvertretern zum Thema Gentrifizierung. Sie wurden als informativ empfunden, führten aber zu keinem neuen Aktionszusammenhang. Der Zündfunke dafür ging im Herbst 2010 von engagierten Mitgliedern des Dreigroschenverein e. V. im Chamissokiez aus. Sie organisierten mit Teilnehmer/innen aus verschiedenen Kiezen am 8. Februar 2011 im Wasserturm in der Fidicinstraße ein „Kiezpalaver“ unter dem Titel „Kreuzberg nur für Reiche?“. Die Organisator/innen luden hierfür nicht vorrangig Parteienvertreter zur Abgabe von Statements ein, sondern adressierten sich an Betroffene und ermöglichten ein Zusammenkommen „von unten“. Auf den Einladungshandzetteln hieß es dann auch „Gespräche unter Nachbarn aus Chamisso-, Großbeeren- und Graefekiez“. Die Organisator/innen hatten eine kleine Versammlung erwartet. Mit etwa 180 Anwesenden wurden am Veranstaltungsabend jedoch die kühnsten Erwartungen übertroffen. Bei dieser Zusammenkunft bildeten Berichte von Betroffenen wichtige Elemente der Debatte. Sie schilderten die Bemühungen von Eigentümern, Mieter/innen herauszukaufen, und andere Maßnahmen, um Häuser zu entmieten und gewinnbringend weiterzuverkaufen. Sehr konkret wurden einzelne Immobilienfirmen genannt, die in großer Zahl Häuser erwerben, um sie gewinnbringend zu veräußern oder zu verwalten, so etwa die skandinavische Immobilienfirma Taekker.



Die drei Initiativen aus dem Graefe-, dem Yorck-Großbeeren- und dem Chamissokiez ergänzen sich gegenseitig. Kiezspaziergänge zu den Häusern von Mieter/innen, die von Mietsteigerung und Spekulation betroffen sind, sowie Podiumsdiskussionen gehören zum festen Bestandteil der vom Bündnis organisierten öffentlichen Aktionen. Foto: Jürgen Enkemann

Aktive Arbeitsgruppen

Auch die nächste Versammlung im Wasserturm war gut besucht. Sie diente auch der Organisierung und im Anschluss gründeten sich Arbeitsgruppen wie die „AG Kommunikation/Öffentlichkeitsarbeit“, die „AG Recht und Politik“, die „AG Recherche“, die „AG Feuerwehr“ (für akute Hilfeleistungen) und die „AG Ziviler Ungehorsam“. In den folgenden Monaten berichteten die Arbeitsgruppen über ihre Arbeit jeweils auf dem monatlichen „Wem gehört Kreuzberg?“-Plenum im Wasserturm. Auch über Kontakte zu Mieter-initiativen in anderen Bezirken sowie über das regelmäßige „Stadtvernetzt-Treffen“ im Bethanien wurde laufend informiert.


Zu einer noch größeren Veranstaltung als im Februar kam es am 5. April 2011 in der Passionskirche am Marheinekeplatz. Ein für die Berliner MieterGemeinschaft tätiger Rechtsanwalt referierte über die Rechte, Pflichten und Widerstandsmöglichkeiten von Mieter/innen, wenn sie beispielsweise von Umwandlungen in Eigentumswohnungen betroffen sind. Die hervorragend moderierte Diskussion sowie die kompakten Informationen hatten einen neuen Mobilisierungseffekt. Neben anderen öffentlichen Veranstaltungen wie etwa Kiezspaziergängen zu Häusern mit betroffenen Mieter/innen und einer Veranstaltung im BVV-Saal des Rathauses unmittelbar vor der großen Mietenstopp-Demonstration am 3. September 2011 wurde auch die Kleinarbeit in den einzelnen Gruppen zum zentralen Handlungsfeld von „Wem gehört Kreuzberg?“.               


Die einzelnen Kiezinitiativen innerhalb des Dreierbündnisses haben unterschiedliche Schwerpunkte und ergänzen sich hilfreich. Im Graefekiez erfolgte eine sehr umfassende und gründliche Datensammlung zu Ferienwohnungen, Entmietungen und Umwandlungen in Eigentumswohnungen sowohl mittels Internetrecherchen als auch durch direkte Befragungen. Die „Mieten AG“ übernahm diese Arbeiten zum Teil für die anderen Kieze mit. Im Chamissokiez gehörten öffentliche Aufritte zu den herausragenden Aktionen. „Wir werden die Idee zu einer allsonnabendlichen Performanceaktion mit Humor und Kurzweile rund um die Marheineke-Halle entwickeln“, hieß es in einer Ankündigung im März und so geschah es dann auch. Ein Chor fand sich eigens zu diesem Zweck zusammen und gab selbstverfasste Lieder zum Mietenkampf zum Besten. Im Yorck-Großbeeren-Kiez lag der Akzent sowohl auf der kritischen Beschäftigung mit Milieuschutzbestimmungen als auch auf kiezbezogenen Mieterproblemen verbunden mit allgemeineren Themen wie Wohnkultur und Stadt. Die von „Wem gehört Kreuzberg?“ getragenen Veranstaltungen zur Wohnungspolitik wurden Bestandteil der Kulturwoche, die jährlich von der Initiative „Kreuzberger Horn“ organisiert wird und mit dem traditionellen Kiezfest in der Hornstraße endet.

Krise und Neubeginn

Das tatkräftige Bündnis erfuhr indessen, dass euphorische Phasen von Bewegungen selten ungebrochen andauern. Das Tief begann Ende September mit Diskussionen über den Vorschlag einer Arbeitsgruppe, einen „Verdrängungsschutzbeauftragten“ einzusetzen. Von einem Teil des Plenums wurde der Vorschlag, wenn auch mit Vorbehalten gegenüber dem Begriff, begrüßt. Ein anderer Teil des Plenums lehnte ihn vehement ab, da die Selbstorganisation durch eine solche Anbindung an bezirkliche Institutionen unterlaufen würde. Auf das Tief der ansatzhaften Spaltung folgte das Tief des nachlassenden Elans, ablesbar an schwindenden Teilnehmerzahlen. Aber sachliche Diskussionen und eine Neustrukturierung der Organisationsform führten zur Überwindung der Krise. Die Arbeitsgruppen wurden wegen der zu großen Terminhäufung aufgelöst, zumal bestimmte wichtige Recherchen erst einmal geleistet waren. Die Arbeit in den Kiezen wurde gestärkt, indem Gruppentreffen einmal im Monat jeweils vor Ort stattfinden. Das Plenum aller Beteiligten tagt nun an jedem letzten Mittwoch eines Monats. Neue Aktivitäten wurden angestoßen. In der Bergmannstraße 14 wird es eine kontinuierliche Beratung im Stadtteilladen geben. Im Graefekiez versammelten sich am 12. Dezember 2011 rund 100 Bewohner/innen von Taekker-Häusern in der Dieffenbachstraße. Für Januar und Februar 2012 wurden Folgetreffen vereinbart. Die Chamissokiezgruppe initiiert zurzeit eine für den 25. Februar 2012 vorgesehene mietenpolitische Aktion mit Transparenten aus den Fenstern und an anderen öffentlichen Stellen. Am 12. Februar 2012 werden im Rahmen einer allgemein zugänglichen Malaktion im Wasserturm an der Fidicinstraße von mittags bis abends Transparente zu dem Anlass hergestellt. Und im Yorck-Großbeeren-Kiez soll es Ende März eine Veranstaltung mit Grundsatzdiskussionen zum Thema “Wohnung als Ware oder wahres Wohnen im Kiez?“ geben.   


Die Frage „Wem gehört Kreuzberg?“ ist noch keineswegs für die Seite der Immobilienhaie und Spekulanten entschieden, meinen die an der Bewegung Beteiligten. Und sie würden Unterstützung durch noch mehr Engagierte sehr begrüßen.

 

 


MieterEcho 352 / Januar 2012

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