Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 356 / September 2012

Neues Zweckentfremdungsverbot nur ein Papiertiger

Entwurf zum Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum dürfte gerichtlich kaum Bestand haben

 Otola Hoffmann

Der Senator für Stadtentwicklung Michael Müller (SPD) hat ein Gesetz zum Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum entworfen. Bei der Verabschiedung dieses Gesetzes werden Berlins Abgeordnete möglicherweise den Eindruck haben, endlich etwas gegen die Zweckentfremdung zu bewirken. Doch dieses Gefühl trügt. Der Gesetzentwurf beinhaltet nur die Grundlage für ein Verbot, welches bei Wohnraummangel gilt, und ermächtigt die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zur Schaffung einer Rechtsverordnung, mit welcher für einzelne Stadtteile unter bestimmten Indikatoren der Wohnraummangel festgestellt werden soll.

 

 

Der Gesetzentwurf und die künftige Rechtsverordnung ziehen die gleichen Probleme nach sich, die bereits aus der bisherigen Rechtslage bekannt sind. Die frühere Rechtsverordnung basierte auf Wohnraummangel. Im Jahr 2002 erfolgte die Aufhebung der Zweckentfremdungsverbotsverordnung durch das Oberverwaltungsgericht Berlin, das keinen Wohnraummangel mehr erkennen konnte, unter anderem aufgrund der hohen Anzahl leer stehender Wohnungen im gesamten Stadtgebiet. Faktisch jedoch ist es der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in den Folgejahren nicht gelungen, die Zahl leer stehender Wohnungen zu ermitteln. Man übernahm einfach die von Vattenfall gemeldete Menge ungenutzter Stromzähler und gab diese Anzahl als Leerstandszahlen für Wohnungen heraus. Seit dem Jahr 2011 liefert Vattenfall keine Zahlen mehr. Der letzte Kenntnisstand des Landes Berlin basiert auf dem Jahr 2010, denn als Stichtagsleerstand zum 1. Juli 2010 wurde die Zahl von 133.000 leer stehender Wohnungen bekannt gegeben.

 

Senat unfähig zur Ermittlung von Wohnungsmangel

Der Senat ist nicht in der Lage, den Wohnungsleerstand zu ermitteln, will aber mittels Rechtsverordnung Stadtteile benennen, in welchen ein Wohnraummangel vorliegt. Wie soll diese Rechtsverordnung einer gerichtlichen Prüfung standhalten, wenn die zuständige Senatsverwaltung den Wohnraummangel nicht beweisen kann? Es werden zwar die Stadtteile nach bestimmten Indikatoren ausgesucht, jedoch musste die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung bereits für die Erarbeitung dieser Indikatoren die Leistung des Beratungs- und Forschungsinstituts Gewos in Anspruch nehmen. Gewos kommt in seinem Gutachten für die Senatsverwaltung zum Schluss, dass es in den Bezirken Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg und Charlottenburg-Wilmersdorf einen stark angespannten Wohnungsmarkt gibt. Der Anteil der freien Wohnungen liegt in diesen Bezirken teilweise unter 1%, obwohl für einen funktionierenden Wohnungsmarkt 3% leer stehende Wohnungen benötigt werden. Aber auch Gewos arbeitet mit unbekannten Größen. Beispielsweise hält das Institut die in einer Studie der Investitionsbank Berlin-Brandenburg (IBB) als „nicht marktaktiv“ und somit als leer stehend geltenden Wohnungen für „belegt“. Tatsächlich konnte die IBB aber nur Daten aus 141 Gebäuden auswerten. Diese Datenmenge ist ungenügend und führt nicht zur Validität der Studie. In Ermangelung belegbarer Informationen behilft sich Gewos bei fast allen Indikatoren mit unbeweisbaren Sachverhalten. Es bleibt auch unerklärt, welchem Ratschlag Gewos folgte, als das Institut die Zahl der wohnungsmarktrelevanten Haushalte mit der Menge der bewohnten Wohnungen gleichgesetzte. Andererseits wird das imposante Wachstum der Einwohnerzahl Berlins als Indikator für bedeutungslos gehalten.

 

Datengrundlage fragwürdig

Immerhin recherchierte Gewos die Angebotsmieten aus Internetangeboten der Jahre 2010 und 2011. Hierbei boten 130.000 Daten eine Messgröße. Auch die Ferienwohnungen wurden aus Internetplattformen ermittelt. Allerdings ist es fraglich, ob die von Oktober 2011 bis Februar 2012 gefundenen Plattformen tatsächlich die Gesamtmenge der Ferienwohnungen beinhalten. Gewos ermittelte nur 8.918 Ferienwohnungen. Die Berliner MieterGemeinschaft hatte im Jahr 2011 bereits 12.000 Ferienwohnungen ermittelt. (MieterEcho Nr. 350/Oktober 2011).

Nun mag es sein, dass das noch ausstehende Ergebnis der Wohnungszählung vom Frühjahr 2011 besseres Zahlenmaterial bieten kann. Aber dieses Zahlenmaterial ist auch nur eine Momentaufnahme und beim möglichen Inkrafttreten einer Rechtsverordnung im Jahr 2013 bereits veraltet. Es müsste eine fortlaufende Datenerhebung durchgeführt werden. Dazu ist die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung aber offenbar nicht in der Lage. Das Gesetz ist ein Papiertiger, weil die für das Gesetz erforderliche Rechtsverordnung kaum eine gerichtliche Prüfung überstehen kann. Abgesehen vom Fehlen des erforderlichen Zahlenmaterials ist es in Berlin extrem kompliziert, Gebiete mit Wohnraummangel von Gebieten mit leicht angespanntem Wohnungsmarkt abzugrenzen. Zwischen den einzelnen Bezirken oder Stadtteilen liegt keine unüberwindbare Strecke. Der Nachbarbezirk fängt oft genug an der anderen Straßenseite an.

 

Warum Zweckentfremdung nur bei Wohnungsnot verbieten?

Bereits der Denkansatz, in bestimmten Stadtteilen die Zweckentfremdung immer bis zum Erreichen der Wohnungsnot zuzulassen, ist grober Unfug. Es ist nicht verständlich, weshalb sich der Senat nicht einfach an die Verpflichtung der Berliner Verfassung hält. Artikel 28 gebietet: „Das Land fördert die Schaffung und Erhaltung von angemessenem Wohnraum, insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen, sowie die Bildung von Wohnungseigentum.“ Das Verfassungsgebot gilt nicht etwa eingeschränkt für den Fall, dass Wohnungsmangel besteht. Das Verfassungsgebot gilt immer und nicht nur unter bestimmten Voraussetzungen. Der SPD-Fraktion des Abgeordnetenhauses liegt bereits ein anderer Gesetzentwurf zum Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum vor, welcher das vorgenannte Verfassungsgebot zur Grundlage hat. Hegen wir die Hoffnung, dass die Abgeordneten diesen Gesetzentwurf zur Beschlussvorlage nehmen und sich nicht auf den untauglichen Lösungsweg des Senators Müller begeben.


Zweckentfremdungsverbot

Eine Zweckentfremdungsverbotsverordnung soll die Zweckentfremdung von Mietwohnungen und spekulativen Leerstand bekämpfen. Mit einer solchen Verordnung dürfen in Stadtgebieten, in denen „die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist“, Wohnungen nur noch mit Genehmigung durch die Bezirksämter als Ferienwohnungen oder als Gewerbe genutzt werden oder länger als sechs Monate leer stehen. Der Gesetzentwurf sieht für Vermieter, die sich nicht an die neuen Vorgaben halten, Geldbußen bis zu 50.000 Euro vor. Auch sollen die Berliner Bezirksämter ermächtigt werden, Treuhänder für die Häuser einzusetzen, bei denen die Eigentümer die zweckfremde Nutzung des Wohnraums nicht unterlassen. Das Gesetz soll angeblich so schnell wie möglich in Kraft treten. Für Wohnungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung bereits zweckentfremdetet sind, gilt jedoch Bestandsschutz. Das neue Zweckentfremdungsverbot schließt an eine Verordnung an, die das Oberverwaltungsgericht Berlin im Jahr 2002 rückwirkend zum 1. September 2000 außer Kraft gesetzt hatte, weil das Gericht die Lage auf dem Wohnungsmarkt der Hauptstadt als entspannt eingestuft hatte. Die Leerstandsquote im Jahr 2002 wurde von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung im Wohnungsmarktbericht 2003 mit 5,3% beziffert. Als Fluktuationsre-serve, also das Mindestmaß für einen funktionierenden Wohnungsmarkt, gilt 3%.

MieterEcho 356 / September 2012

Schlüsselbegriffe: Zweckentfremdungsverbot, Gesetzentwurf, Zweckentfremdungsverbotsverordnung, Wohnungsleerstand, Wohnungsnot, Gewos

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