Kurskorrektur unter Haushaltsvorbehalt
Der neue Senat spricht vom Umsteuern in der Liegenschaftspolitik – Skepsis ist angebracht
Christian Linde und Jutta Blume
Zehn Jahre lang verscherbelten SPD und Die Linke ungehemmt öffentliches Eigentum. Die neue SPD-CDU-Koalition hat mit der Regierungsübernahme ein Umsteuern in der Liegenschaftspolitik angekündigt. Doch während Schwarz-Rot den behaupteten Kurswechsel unter ein Fiskal-Diktat stellen will, fordern Kritiker/innen eine sozialorientierte Boden- und Immobilienpolitik unter direkter Bürgerbeteiligung. Ein Volksbegehren könnte der Forderung Nachdruck verleihen.
Politische Entscheidungen wurden in der Zeit der rot-roten Koalition nahezu ausschließlich mit dem Hinweis auf die finanzielle Situation der Stadt getroffen. Zur Haushaltskonsolidierung setzten SPD und Die Linke auf Kürzungen, Investitionszurückhaltung und Einnahmeverbesserung. Als eines der Instrumente zur Auffüllung der klammen Kassen diente der Liegenschaftsfonds Berlin. Der Auftrag des im Jahr 2000 gegründeten Liegenschaftsfonds ist die treuhänderische Übernahme von Grundstücken und Beteiligungen des Landes und deren Verwertung.
Verkauf an Meistbietende
Die systematische Veräußerung von Grundstücken und Immobilien an kapitalstarke Investoren spülte dem Haushalt bereits rund 1,7 Milliarden Euro in die Kasse. In zehn Jahren Geschäftstätigkeit schloss der Liegenschaftsfonds 5.500 Kaufverträge über insgesamt 1.400 Hektar ab. Dennoch stieg in der gleichen Zeit der Schuldenberg Berlins. Nachdem die Politik durch die Vergabepraxis des Liegenschaftsfonds die Stadtentwicklung praktisch bedingungslos dem Markt überließ, soll mit der schwarz-roten Koalition ein Paradigmenwechsel stattfinden. „Wir brauchen eine neue Liegenschaftspolitik. Eine solche Politik darf nicht nur auf den höchsten Verkaufserlös schielen, man muss auch darauf achten, welche Konzeptionen die Käufer haben“, sagte Kulturstaatssekretär André Schmitz im Tagesspiegel vom 16. Januar 2012. Der neue Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Ephraim Gothe (SPD) fordert sogar, landeseigene Grundstücke nur noch in Erbbaurecht zu vergeben. Allerdings sind solche Töne nicht ganz neu. Bereits seit 2010 debattiert das Berliner Abgeordnetenhaus über eine Neuausrichtung der Liegenschaftspolitik. Nur passiert ist bislang wenig.
Nutzungskonzepte kein Auswahlkriterium
Derzeit ist der Erwerb von Flächen und Gebäuden aus dem Portfolio des Liegenschaftsfonds noch nahezu ohne soziale oder bauliche Auflagen möglich. „In der Regel werden die Grundstücke im Bieterverfahren vergeben. Es handelt sich um ein bedingungsfreies Verfahren. Entscheidungskriterium sind das höchste Gebot und die Bonität des Kunden. Nutzungskonzepte sind nicht Auswahlkriterium“, heißt es grammatikalisch nicht ganz korrekt in den Richtlinien des Liegenschaftsfonds. Anders als beim Bieterverfahren können bei einer Ausschreibung zusätzliche Anforderungen an Interessenten gestellt werden. Bei der ebenfalls praktizierten Direktvergabe gilt: „Das Nutzungskonzept des Investors muss in besonderem hauptstädtischen Interesse des Landes Berlin liegen.“ Worin das besteht, ist seit der Gründung des Liegenschaftsfonds allerdings umstritten – wie auch die Verfahrens- und Vergabepraxis insgesamt. Nach Angaben der Pressesprecherin des Liegenschaftsfonds Irina Dähne erfolgte 2011 ein Viertel der Verkäufe im Bieterverfahren, die Hälfte auf dem Weg der Direktvergabe und der Rest durch kriteriengebundene Ausschreibungen. Beispiele hierfür seien der Verkauf einer alten Schule in der Reichenberger Straße an eine Suchthilfeeinrichtung, die Eisenbahnmarkthalle oder die Flächen um die ehemalige Großmarkthalle am Jüdischen Museum. Gerade um letztere gab es erhebliche Differenzen zwischen dem Liegenschaftsfonds und dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, der sein Entwicklungskonzept bei der Ausschreibung des Liegenschaftsfonds nicht ausreichend berücksichtigt sah.
Verkaufsdruck auf die Bezirke
Auch wenn der Senat in der Vergangenheit stets betonte, dass der Liegenschaftsfonds „als Instrument der Stadtentwicklungspolitik verstanden und eingesetzt wird“, wurde tatsächlich nicht nur den Bezirken nach der Übergabe ihrer Grundstücke an das Land jede Einflussmöglichkeit entzogen, sondern auch eine direkte Bürgerbeteiligung ausgeschlossen. Zwar sind die betroffenen Bezirke neben den Senatsverwaltungen für Finanzen, Wirtschaft und Stadtentwicklung im Steuerungsausschuss, der über die Art der Grundstücksvergabe entscheidet, vertreten, jedoch dort mit einer Mehrheit der Senatsvertreter konfrontiert. Seit 2005 sind die Berliner Bezirke gefordert, nicht mehr genutzte Grundstücke und Immobilien an den Liegenschaftsfonds abzutreten, der dann für die Vermarktung zuständig ist. Auf diesem Weg wurden bisher nicht wenige ehemalige Schulen, Kitas und andere ehemals öffentlichen Gebäude privatisiert. Aufgrund ihrer Bedarfsplanung haben die Bezirke theoretisch die Möglichkeit, die Immobilien weiterhin einem Fachvermögen zuzuordnen, wenn sie in näherer Zukunft wieder gebraucht werden, aber die immensen Kosten, die den Bezirken für das Halten eigener Immobilien in Rechnung gestellt werden, führen in der Regel dazu, dass die Bezirke sich dieses vermeintlichen Vermögens so schnell wie möglich entledigen. Denn seit 2005 werden den Bezirken für ihre Immobilien „kalkulatorische Kosten“ in Rechnung gestellt, das heißt Kosten für Zinsen und Abschreibungen. Real sind für die Gebäude keine Zinsen zu zahlen, sondern die kalkulatorischen Zinsen berechnen sich daraus, wie der in der Immobilie gebundene Geldwert auf dem Markt anders genutzt werden könnte. Diese fiktiven Zinsen sind mitunter absurd hoch, weil sie sich nicht am aktuellen Verkehrswert bemessen, sondern am historischen Bauwert (siehe Mieter-Echo Nr. 315/ April 2006 und Nr. 323/ August 2007). Das führt dazu, dass sich die Bezirke lieber früher als später von zeitweilig ungenutzten Gebäuden trennen und so eine langfristige Daseinsvorsorge vernachlässigen. Tatsächlich fehlen in manchen Bezirken schon heute Gebäude für die Kinderbetreuung.
Politische Debatte ohne Konsequenzen
Bereits vor knapp zwei Jahren hatte das Abgeordnetenhaus den Senat zur Änderung seines Kurses aufgefordert. „Künftig soll beim Umgang mit landeseigenen Liegenschaften durch die stärkere Berücksichtigung von wirtschafts-, wohnungs- und stadtentwicklungspolitischen Zielen – neben den fiskalischen Interessen – eine nachhaltige und langfristig-strategische Wertschöpfung für das Land Berlin angestrebt und erzielt werden“, verlangten die Parlamentarier am 3. Juni 2010. Die Voraussetzung dafür, nämlich die Änderung des Gesellschaftervertrags des Liegenschaftsfonds, ist aber bis heute ausgeblieben. So hatte der Beschluss des Abgeordnetenhauses laut Irina Dähne bis heute keinerlei Einfluss auf die Vergabepraxis des Liegenschaftsfonds. Zunächst müssten die entsprechenden Regularien durch den Senat geschaffen werden.
Im Koalitionsvertrag von SPD und CDU kündigen die Parteien erneut eine Kehrtwende an. „Die Liegenschaftspolitik wird neu ausgerichtet. Die Koalition will neben den fiskalischen Zielen die Vermarktung und Entwicklung landeseigener Grundstücke stärker an stadtentwicklungs-, wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Zielen ausrichten und soziale, kulturelle, stadträumliche, ökologische und nachhaltige Ziele, aber auch arbeitsmarktpolitische Aspekte dabei berücksichtigen.“ Weiter heißt es: „Berlin braucht zusätzlichen Wohnungsbau, insbesondere um das Angebot an günstigen Mietwohnungen zu vergrößern. Zur Förderung des Neubaus von Wohnungen wird der Senat auch das Instrument der kostenlosen oder ermäßigten Grundstücksvergabe nutzen.“ Die so entstehenden zusätzlichen Wohnungen sollen dauerhaft günstig vermietet werden. Die neue Landesregierung macht allerdings eine entscheidende Einschränkung: „Dabei werden wir jedoch Belastungen für den Haushalt vermeiden.“
Bedarfsplan unter Bürgerbeteiligung
Außerparlamentarischen Akteur/innen reicht das nicht. So fordert das Bündnis „Initiative Stadt Neudenken“ nicht nur ein „Morato- rium“ für Liegenschaftsverkäufe, sondern eine konsequente Neuausrichtung der Stadtentwicklung. Die Liegenschafts- und Bodenpolitik der letzten Jahre habe zur drastischen Reduzierung öffentlichen Eigentums geführt und den stadtentwicklungspolitischen Gestaltungsspielraum erheblich eingeschränkt. „Das Portfolio der Berliner Liegenschaften soll insgesamt nicht reduziert werden, um den Gestaltungsspielraum der Stadtpolitik insbesondere im Bereich der kommunalen Daseinsvorsorge zu erhalten“, lautet eine der Hauptforderungen der Initiative. Sollte die Koalition dem Verlangen nach mehr Bürgerbeteiligung nicht nachkommen, schließt das Bündnis weitere Schritte nicht aus, unter anderem ist ein Volksbegehren in Diskussion.
Auch Stimmen aus den Reihen der Sozialdemokratie fordern einen grundlegenden Wechsel im Umgang mit den Liegenschaften des Landes. „Der SPD-geführte Senat und die SPD-Fraktion wird aufgefordert, dafür Sorge zu tragen, dass die Veräußerung landeseigener Grundstücke sofort unterbrochen wird. Zunächst werden die Grundstücke bestimmt, welche zum Zweck der Wohnbebauung an landeseigene Wohnungsbaugesellschaften übertragen werden“, verlangt ein Antrag aus dem Bezirksverband Friedrichshain-Kreuzberg der SPD. Gleichzeitig sei nach öffentlicher Bekanntgabe aller Liegenschaften für jeden Bezirk ein Bedarfsplan unter Bürgerbeteiligung aufzustellen, der auf die Erfordernisse der nächsten fünf Jahre für soziale Infrastruktur mit Kindertagesstätten, Bildungs-, Sport- und kulturellen Einrichtungen ausgerichtet sein müsse. „Landeseigene Grundstücke dürfen nur noch veräußert werden, wenn sich aus dem Bedarfsplan ergibt, dass langfristig kein städtischer Bedarf für die Daseinsvorsorge vorhanden ist“, verlangt die SPD-Basis.
Verkäufe gehen weiter
Es ist unwahrscheinlich, dass sich die SPD-Basis mit ihrer Forderung nach einem zeitweiligen Verkaufsstopp durchsetzen wird. Dieses Jahr werden die Verkäufe wahrscheinlich wie gehabt weitergehen. „Der Aufsichtsrat des Liegenschaftsfonds hat den Wirtschaftsplan 2012 beschlossen, der mit dem hohen Ansatz des Haushaltsplanes des Landes Berlin ähnlich hohe Einnahmen aus Grundstücksverkäufen durch den Liegenschaftsfonds vorsieht wie in den vergangenen Jahren. Das heißt, der berücksichtigt die Ziele der neuen Liegenschaftspolitik noch nicht“, erklärt Pressesprecherin Dähne. 2009 wurden für 156 Millionen Euro 676 Grundstücke und 2010 für 189 Millionen Euro 533 Grundstücke verkauft. Es ist also damit zu rechnen, dass auch in diesem Jahr über 500 Grundstücke aus dem landeseigenen Vermögen verschwinden, bevor überhaupt ein Bedarfsplan erstellt ist. Auch diejenigen, die sich für Erbbaurechtsverträge anstelle von Verkäufen einsetzen, sollten sich keine großen Hoffnungen machen. Im Zwischenbericht des Senats an das Abgeordnetenhaus über die geforderte Neuausrichtung der Liegenschaftspolitik vom 16. März 2011 hieß es: „Das Instrument Erbbaurechtsvertrag ist zurzeit aufgrund der Finanzmarktlage zur Flächensicherung ungeeignet.“ Es solle daher wie bisher nur als Ausnahme zum Verkauf eingesetzt werden.
MieterEcho 353 / März 2012
Schlüsselbegriffe: SPD, Die Linke, Liegenschaftsfonds, Bodenpolitik, Immobilienpolitik, Schwarz-Rot, Bürgerbeteiligung, Koalitionsvertrag