Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 354 / Mai 2012

Konsumrausch in Moabit

Im Sanierungsgebiet Turmstraße entsteht ein Einkaufszentrum auf dem denkmalgeschützten Schultheiss-Areal

Rainer Balcerowiak

Über 60 Shoppingmalls gibt es bereits in Berlin. Jetzt hat die Bezirksverordnetenversammlung Mitte auch ein entsprechendes Vorhaben für Moabit gebilligt. Anwohner/innen setzen sich dagegen zur Wehr. Negative Folgen für die Entwicklung des Einzelhandels in der Turmstraße sind zu befürchten.

Berlin gehört zur Spitze. Zwar nicht bei der Wirtschaftsleistung und den Durchschnittseinkommen, dafür aber bei der Einzelhandelsverkaufsfläche. Trotz vergleichsweise geringer Kaufkraft steht statistisch pro Einwohner/in 1,3 qm zur Verfügung, und stetig wird es mehr. Riesige Einkaufszentren, sogenannte Shoppingmalls, schießen in vielen Teilen der Stadt wie Pilze aus dem Boden. Derzeit sind es bereits über 60. Viele von ihnen verschandeln nicht nur das Stadtbild, wie unter anderem in der Steglitzer Schoßstraße, in der Schönhauser Allee und am Gesundbrunnen zu „bewundern“ ist, sondern die Malls verdrängen auch alteingesessene kleine Einzelhändler und fördern damit nachhaltig den Niedergang der traditionellen Einkaufsstraßen.

Baubeginn im nächsten Jahr geplant

Nach dem Willen der politisch Verantwortlichen soll nun auch Moabit die „Segnungen“ eines derartigen Konsumtempels erfahren. Der Stadtplanungsausschuss der Bezirksverordnetenversammlung billigte Ende März die Pläne des bundesweit tätigen Gewerbeimmobilienentwicklers HLG mit Sitz in Münster. Die noch ausstehende Zustimmung des Plenums der Bezirksverordnetenversammlung  gilt als Formsache. Im Frühjahr 2013 sollen die Um- und Neubauten auf dem denkmalgeschützten Areal der ehemaligen Schultheiss-Brauerei in der Stromstraße beginnen, die Eröffnung ist Ende 2014 vorgesehen. Als sogenannter Ankermieter wird ein SB-Warenhaus der Kaufland-Gruppe 20.000 qm belegen. Dazu sollen 60 weitere Läden, ein Fitnesscenter und ein Hotel mit bis zu 200 Betten angesiedelt werden. Ergänzend sind gastronomische Angebote und Freizeitflächen geplant. Mit dieser öffentlich finanzierten Umfeldverbesserung will man weitere Investoren anlocken. Direkt  gegenüber,  in der Turmstraße, wird ein weiteres Gewerbeobjekt saniert und erweitert. In das ehemalige Hertie-Kaufhaus werden nach dem Abschluss der Bauarbeiten eine Bekleidungs- und eine Drogeriekette einziehen, in die oberen Etagen möglicher-weise ein weiteres Hotel. Auf diese Weise soll im Sanierungsgebiet „Aktives Zentrum Turmstraße“ ein „funktionsfähiges und attraktives Einkaufs- und Versorgungszentrum“ entwickelt werden, heißt es dazu in den Planungsunterlagen.        

Für Stadtentwicklungs-Stadtrat Carsten Spallek (CDU) sind derartige Projekte vor allem eine Investition in die Zukunft. Er ist – wie auch die Investoren – davon überzeugt, dass Moabit durch seine zentrale Lage einen großen Aufschwung erleben wird, auch in Bezug auf die Kaufkraft. Spallek verweist auf die entstehenden Neubauten rund um die nahe gelegene Heidestraße. Zudem wird die neue Shoppingmall vom Hauptbahnhof fußläufig in zehn Minuten zu erreichen sein.

Voranschreitende Gentrifizierung in Moabit

Allerdings erscheint es einigermaßen absurd, dass im Sanierungsgebiet einerseits ein professionelles Geschäftsstraßenmanagement dafür sorgen soll, dass sich die kleinteilige Gewerbestruktur in der Turmstraße verbessert, und andererseits riesige Konsumtempel errichtet werden, die erfahrungsgemäß genau das verhindern. Rudolf Blais von der Stadtteilvertretung Turmstraße kritisiert daher das Vorhaben, das er als Teil der Gentrifizierungsstrategie im Bezirk sieht. Auch verweist er auf den „Moa-Bogen“ ein bereits existierendes, etwas kleineres Einkaufszentrum in unmittelbarer Nähe, das erheblichen Leerstand aufweist.

Widerstand gegen die Shoppingmall

In der BVV haben sich die Fraktionen von B90/Die Grünen und Die Linke gegen das Projekt ausgesprochen, doch dank SPD und CDU gibt es eine sichere Mehrheit für die Pläne. Widerstand regt sich dagegen bei Anrainern. So befürchten die Bewohner/innen einiger Häuser an der Rückfront der Shoppingmall in der Lübecker Straße, dass ihre Wohnungen durch den Neubau stark verschattet werden und zudem durch das geplante Parkhaus unzu-mutbare Lärm- und Abgasbelastungen entstehen. Auch beklagen die Anwohner/innen, dass sie nicht ausreichend in die Planungen einbezogen und ihre Einwände vom Bezirk und vom Investor weggewischt wurden. Sobald der Bebauungsplan rechtskräftig ist, soll eine Normenkontrollklage auf den Weg gebracht werden, um das Projekt doch noch zu stoppen.

Dieses Vorgehen unterstützt auch David Kircher, der für die Piraten-Partei im Stadtplanungsausschuss der BVV Mitte sitzt. Moabit würde durch die neue Shoppingmall „weder schöner noch lebenswerter“, so Kircher gegenüber dem MieterEcho. Er sehe sich als „Ansprechpartner für alle, die Ideen haben, wie man das Projekt noch verhindern kann“.

 


MieterEcho 354 / Mai 2012

Schlüsselbegriffe: Moabit, Sanierungsgebiet, Turmstraße, Einkaufszentrum, Schultheiss-Areal, Shoppingmalls, Gentrifizierung, Stadtteilvertretung Turmstraße, Normenkontrollklage

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