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MieterEcho 354 / Mai 2012

Inmitten einer neuen Wohnungsnot

Experten fordern Neubau von Sozialwohnungen

Christian Linde


Die Untätigkeit der Politik und die wachsende soziale Spaltung verschärfen die Versorgungslage auf dem Wohnungsmarkt. Der Anteil der Haushalte, deren Mietbelastung mehr als 40% des verfügbaren Haushaltseinkommens beträgt, hat sich in den letzten Jahren bundesweit verdoppelt und beträgt inzwischen 24%. Während sich der Bund aus der Wohnungsbauförderung zurückgezogen hat, wachsen die Wohnkosten immer weiter. Verfügen andere europäische Länder noch über einen Sozialwohnungsanteil von 15%, liegt die Quote in Deutschland bereits bei nur 4%. Das sind Ergebnisse gleich mehrerer aktueller Studien. Vor allem in Großstädten und Ballungsgebieten sei die Errichtung von Sozialwohnungen erforderlich.



Wohnraum im preisgünstigen Segment ist in Berlin Mangelware.    Foto: nmp



Was von der Politik über Jahre hartnäckig ignoriert oder bestritten wurde, in einzelnen Großstädten aber aufgrund der Arbeit von Initiativen in die öffentliche Diskussion gelangte, liegt nun wissenschaftlich fundiert vor: Deutschland steckt inmitten einer neuen Wohnungsnot. Das ist das Ergebnis von zwei Studien, die Anfang März vorgelegt wurden. Erstellt haben die Untersuchungen das Pestel-Institut in Hannover und der Bochumer Wohnungsbau-Experte Prof. Dr. Volker Eichener im Auftrag der Kampagne „Impulse für den Wohnungsbau“. Insbesondere in Großstädten, Ballungszentren und Universitätsstädten hat sich demnach die Situation auf dem Wohnungsmarkt deutlich zugespitzt. Dort gibt es einen enormen Mangel an bezahlbaren Mietwohnungen. Aktuell fehlen in den zehn deutschen Großstädten mit dem stärksten Wohnungsmangel mehr als 100.000 Mietwohnungen.Wird der Mietwohnungsbau mit derzeit rund 70.000 neu errichteten Wohnungen pro Jahr nicht mindestens verdoppelt, entstehe eine eklatante Bedarfslücke, warnen die Wissenschaftler/innen. In fünf Jahren werden dann bundesweit 400.000 Mietwohnungen fehlen. Unterm Strich bedeutet dies, dass bis 2017 insgesamt 825.000 Wohneinheiten neu gebaut werden müssten. „Der Leerstand dürfte sich, auf Deutschland insgesamt bezogen – unter Berücksichtigung von Wohnungsbestands-, Bevölkerungs- und Haushaltsentwicklung – bis 2011 nur wenig verändert haben“, so die Verfasser/innen der Studien. Allerdings sei „von einer weiteren Verschiebung zu mehr Leerständen im ländlichen Raum und einem Abschmelzen der Fluktuationsreserven in den Städten auszugehen“.

„Einkommen und Wohnkosten laufen immer weiter auseinander“

„Die Studien belegen, dass der schrittweise Rückzug des Bundes aus der Wohnungsbauförderung in den vergangenen 15 Jahren zu der neuen Wohnungsnot geführt hat. Zudem zeigen die Berechnungen der Wissenschaftler, dass die Bundesländer die soziale Wohnraumförderung im vergangenen Jahrzehnt um nahezu 80% reduziert haben“, heißt es weiter. Für einen Großteil der Haushalte in Deutschland werde das Wohnen zur immer größeren finanziellen Belastung. „Einkommen und Wohnkosten laufen immer weiter auseinander“, so Matthias Günther vom Pestel-Institut. Einerseits seien Mieten und Nebenkosten deutlich gestiegen, andererseits habe die Zahl einkommensschwacher Haushalte zugenommen. „Ein Ende dieser Entwicklung ist gegenwärtig nicht erkennbar.“ In Zahlen ausgedrückt: Der Anteil der Haushalte, deren Mietbelastung mehr als 40% des verfügbaren Haushaltseinkommen beträgt, hat sich in den letzten Jahren verdoppelt. Ihr Umfang beträgt inzwischen 24% aller Mieterhaushalte. Während andere europäische Länder noch über einen Sozialwohnungsanteil von 15% verfügen, liegt die Quote in Deutschland gerade einmal bei noch 4%.

Sozialer Wohnungsbau ist erforderlich

Die entstandene Situation ist nach Einschätzung von Volker Eichener, Rektor der Bochumer Immobilien-Hochschule EBZ Business School, vor allem hausgemacht. „Insbesondere der Bund sollte sich seiner Verantwortung für die nationale Wohnungsversorgung wieder bewusst werden. Er muss insbesondere steuerrechtliche Hemmnisse beseitigen und in der Wohnungsbauförderung die Initiative ergreifen, um die neue Wohnungsnot zu lindern“, so Eichener. Kernpunkt einer neuen Wohnungsbaupolitik müsse eine steuerliche Erleichterung des Mietwohnungsbaus sein. Darüber hinaus verlangt der Wohnungsbau-Experte eine Verdoppelung der Kompensationszahlungen vom Bund an die Länder. Diese sollen jedoch eine strenge Zweckbindung an die Neubauförderung enthalten. Priorität habe der Neubau von Sozialwohnungen. „Wir brauchen eine Mietwohnungsbau-Offensive, insbesondere mehr preiswerte Wohnungen in den Großstädten und Ballungszentren, vor allem auch mehr Sozialwohnungen“, verlangt die Kampagne „Impulse für den Wohnungsbau“.
Wohnungsmangel in Berlin
Auch die seit Jahren kontinuierlich steigenden Mieten in Berlin haben zu Forderungen und Empfehlungen in Hinblick auf den Wohnungsneubau geführt. Während der rot-rote Senat in den zurückliegenden zehn Jahren gebetsmühlenartig von einem „entspannten Wohnungsmarkt“ gesprochen hatte, vollzog die neue SPD/CDU-Koalition zumindest rhetorisch eine Wende und kündigte die Zielmarke von jährlich 6.000 zusätzlichen Wohnungen an. Die Umsetzung ist bisher allerdings offen. Unterdessen forderte das Marktforschungs- und Beratungsinstitut empirica bei der Vorstellung des neuen Wohnungsmarktberichts der Investitionsbank Berlin (IBB) den Bau von mindestens 10.000 Wohneinheiten pro Jahr, um der steigenden Nachfrage nachzukommen. Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) hält sogar 12.000 neue Wohnungen pro Jahr bis 2025 im Bereich des Geschosswohnungsbaus für erforderlich, um der Nachfrage nicht zuletzt vor dem Hintergrund der wachsenden Zahl der Haushalte in Berlin Rechnung tragen zu können. Folgt man dem IBB-Bericht, stieg die Zahl der Einwohner/innen in den Jahren zwischen 2001 und 2010 um 72.300 auf 3,46 Millionen. Die Zahl der Haushalte nahm aufgrund der Verkleinerung der Haushaltsgrößen sogar um jährlich 14.200 zu. Neu entstanden sind in den zehn Jahren insgesamt allerdings nur 37.000 Wohnungen. Und das vor allem im hochpreisigen Segment oder in Form von Eigentumswohnungen. Angesichts der hohen Zahl von Transferleistungsbeziehenden und prekär Beschäftigten müsste ein Bauboom an der Spree also vor allem die Nachfrage im preisgünstigen Segment im Auge haben. Eine hinreichende Lösung für die durch Mietpreisexplosion unmittelbar bedrängten Bestandsmieter/innen sind die vorliegenden Zahlenspiele allerdings nicht.

Download der Kurzstudien:

www.impulse-fuer-den-wohnungsbau.de


MieterEcho 354 / Mai 2012

Schlüsselbegriffe: Wohnungsbauförderung, Wohnkosten, Großstädten, Ballungsgebieten, Sozialwohnungen, einkommensschwache Haushalte, IBB-Bericht, Mietpreisexplosion