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MieterEcho 354 / Mai 2012

Hauptsache billig

Berliner Senat hält am Ballermann-Tourismus-Konzept fest – Klimaschutz und Interessen der Bewohner/innen bleiben auf der Strecke

Hermann Werle

Einmal mehr sind die Gästezahlen in Berlin rasant gestiegen – im Februar 2012 um 13% gegenüber dem Vorjahresmonat, wie das Amt für Statistik meldet. Sind Paris, Rom oder London Anziehungspunkte für romantisch, kulturhistorisch oder geschäftlich orientierte Reisende, strahlt Berlin mit Ballermannqualitäten weit über die Landesgrenzen hinaus und hat für pubertierende Jugendliche Mallorca längst den Rang abgelaufen.

 

In seiner Erklärung zu den „Richtlinien der Regierungspolitik“ bestätigte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) im Januar, dass  diese Entwicklung weiterverfolgt werden soll: „Der Senat wird die Tourismusförderung fortsetzen und die ambitionierte Zahl von 30 Millionen Übernachtungen pro Jahr in den nächsten Jahren auch erreichen.“ Die Grundlage der Tourismusförderung stellt das „Tourismuskonzept 2011“ dar, das vom Vorgängersenat unter der Leitung des  ehemaligen Wirtschaftssenators Harald  Wolf (Die Linke) erarbeitet wurde. Laut diesem Konzept sind die Wachstumstreiber der Tourismusbranche Billigflieger und Billigunterkünfte. Der neue Flughafen, der in wenigen Wochen feierlich eingeweiht werden wird, ist auf 45 Millionen Passagiere jährlich ausgelegt. Bei knapp unter 8 Millionen Passagieren 1991 und 24 Millionen in 2011 zeigt sich, mit welcher  Rasanz der Flugverkehr von und nach Berlin wächst. Dabei soll insbesondere das Segment der Billigflieger – sogenannter Low Cost Carrier (LCC) – ausgebaut werden. Dabei ist Berlin bereits heute innerhalb Kontinentaleuropas „mit Abstand der wichtigste LCC-Standort“, wie uns das Tourismuskonzept mitteilt. „Zu zusätzlicher Nachfrage“ tragen zudem die „im Metropolenvergleich sehr günstigen Zimmerpreise“ bei.

„Klimaschutz in Bodennähe”

Somit sorgt der Berliner Senat für ein konkurrenzlos billiges Angebot für Touristen, übergeht dabei allerdings die Interessen der Berliner Bevölkerung. Der Slogan „Leben, wo andere Urlaub machen“ klingt nett, verliert angesichts der Begleiterscheinungen des wachsenden Tourismus aber schnell seinen Charme. So benötigt insbesondere das Geschäftsfeld der LCC-Billigflieger möglichst ausgedehnte Flughafenbetriebszeiten, „um das Ziel von drei bis vier Umläufen pro Tag realisieren zu können“, wie es in einem Gutachten des Instituts für Verkehrswissenschaft heißt. Besteht die „Möglichkeit von Landungen nach 22 Uhr hingegen nicht mehr, wird nicht nur das Wachstum dieses Marktsegments am Standort deutlich eingeschränkt, sondern es besteht auch die Gefahr der Abwanderung einzelner Carrier an Standorte ohne  entsprechende zeitliche Restriktionen“.  Ein  Nachtflugverbot  zwischen  22 und  6 Uhr hätte also große Passagiereinbußen und damit eine Beeinträchtigung des Massentourismus nach sich gezogen. Das passt nicht ins Tourismuskonzept und so sollen – bestätigt  vom Bundesverwaltungsgericht – fünf Stunden Schlaf von  Mitternacht bis 5 Uhr für die Fluglärmgeschädigten ausreichend sein.     

Eine Einschränkung des Flugverkehrs wäre indes nicht nur für die Lärmopfer ein Segen. Durch  die politische Förderung und finanzielle  Subventionierung der Vielfliegerei steigen die CO2-Emissionen immens. Dabei sind die Abgase der Flugzeuge besonders aggressive Klimakiller, da sie nach einhelliger Meinung von Umweltverbänden ihre Wirkung in großer Höhe weitaus schädlicher entfalten als in Bodennähe. Von derlei  Warnungen unberührt, bleiben die Klimaschutzbemühungen des Berliner Senats auf dem Niveau von Tieffliegern. In den oben bereits erwähnten „Richtlinien der Regierungspolitik“ betonte Wowereit das Vorhaben, in Bodennähe – nämlich im „energetisch unsanierten Gebäudebestand“ – die CO2-Emissionen verringern zu wollen. Das solle zwar „mit sozialem Augenmaß“ und „möglichst warmmietenneutral“ geschehen, aber viele Mieter/innen dieser Stadt müssen aktuell erleben, dass sich der Klimaschutz ganz empfindlich auf die Miete auswirkt. Mit „sozialem Augenmaß“ würde der Klimaschutz in anderen Höhen beginnen.



Was Bürgermeister Wowereit gern als spannende Hauptstadtkultur verkauft, ist für viele Bewohner/innen in den angesagten Kiezen mit einer sinkenden Lebensqualität verbunden: Partylärm und betrunkene Jugendliche werden zur dauerhaften Belästigung.     Foto: Kiko Images/Pixelio


Ballermann oder Kreativmetropole?

Doch „Gäste sind uns willkommen“, wie der Bürgermeister richtig feststellt, „auch wenn es manchmal schon ganz schön eng im Zentrum der Stadt wird und wir uns über manche Dichte auch schon ein wenig aufregen“. Mag sein, dass es Wowereit im Zentrum zu eng wird, aber das ist es vermutlich nicht, was viele Menschen in dieser Stadt aufregt. Etwas näher, allerdings in Verkennung der Tatsachen, kommt der Bürgermeister an die Problemlagen der Bevölkerung heran, wenn er die Meinung vertritt, dass Berlin zu den Regionen in Deutschland gehöre, „die gerade wegen der vielfältigen und  spannenden Kultur  sowie der hohen Lebensqualität wachsen“ und „weltweit als Kreativmetropole“ gelten würde. Die hohe Lebensqualität ist es gerade, die für große Teile der Berliner Bevölkerung arg in Mitleidenschaft gerät. Denn das, was Wowereit stellvertretend für die Berliner Senatspolitik als spannende Kultur bejubelt, stellt sich in vielen  Trendkiezen als enorme Belästigung für die Bewohner/innen dar. Betrunkene  Jugendliche, Partylärm aus nachbarschaftlichen Ferienwohnungen, zersplitterte Bierflaschen und gammelige Pappverpackungen aus Imbissbuden erinnern  eben eher an Ballermann als an Kreativmetropole.

Berlin in Reiseführern

Paris: Stadt der Liebe. Hamburg: Tor zur Welt. Berlin: Arm, aber sexy? Glaubt man dem Reiseratgeber der Süddeutschen, ist das der „heimliche Werbeslogan der Hauptstadt“. Ein Blick in Reiseführer zeigt, was die Stadt für Touristen attraktiv macht. Ein bisschen preußische Hochkultur ist dabei, ebenso der Kudamm und etwas Geschichte: DDR, Mauer, Nazizeit. Das allein reicht aber nicht, um ein vornehmlich junges und konsumorientiertes Publikum in die Stadt zu locken. Da müssen andere Argumente her. „Ein globaler Zustrom an kreativen Köpfen hat für ein Kulturleben gesorgt, das in puncto Coolness dem New York der 1980er Jahre um nichts nachsteht“, verspricht der Reiseführer Lonely Planet. Was die Kreativen nach Berlin lockt: „das legendäre Klima der Toleranz, Offenheit und Experimentierfreude, gepaart mit einer unterschwelligen Rauhheit, die der Stadt ihren Charakter verleiht“. Was mit unterschwelliger Rauheit gemeint ist, steht zwischen den Zeilen: Die Stadt ist pleite, die Einkommen niedrig, die Arbeitslosigkeit hoch. Das gilt nicht als Problem der Stadt, sondern als ihr Kapital. Armut als Exotik. Soziale Ungleichheit als „faszinierende Mischung aus Glanz und Schnoddrigkeit“. Die bewundert auch die Autorin des englischsprachigen Ratgebers Culture Shock Berlin. Sie zeigt sich beeindruckt vom Anblick von Punks und Obdachlosen und schwärmt von der Toleranz gegenüber „pöbelhaftem Verhalten“ wie öffentlichem Trinken. Und sie signalisiert: Hier kann man die Sau raus lassen! Fast einer Safari gleich kommt die Empfehlung von Marco Polo für einen Neukölln-Besuch. Verschrien als „Problembezirk mit hoher Kriminalitätsrate und niedrigem Bildungsstand“ sei es zugleich „ein Paradies für modemutige Individualistinnen“. Und René Gurka, ehemaliger Chef der Berlin Partner GmbH, lässt es sich nicht nehmen, in einem Gastbeitrag in Berlin für junge Leute zu behaupten: „Wer nach Berlin zieht, sucht und findet Lebensgenuss und Geschäftserfolg“. Als Beweis führt er die Klitschen und Start-Ups im Medien- und Kreativbereich an. Dass sich Geschäftserfolg und folglich Lebensstandard bei Beschäftigten und kleinen Selbstständigen in Grenzen hält, dürfte der wahre Grund sein, warum Berlin im Metropolenvergleich der Süddeutschen gewinnt. „Billig, billiger, Berlin“, lautet ihr Fazit. (pm)

MieterEcho 354 / Mai 2012

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