Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 357 / Dezember 2012

Fluglärm weg, Mieten rauf?

Voraussichtlich nächstes Jahr schließt der Flughafen Tegel – die Aufwertung der bislang stark lärmbelasteten Wohngebiete ist absehbar

Jörn Boewe

Eigentlich sollte Anfang Juni 2012 Schluss sein mit dem Flugbetrieb in Tegel. Nun gibt es einen neuen Termin im Oktober 2013, von dem niemand weiß, ob er realistisch ist. Fest steht aber: Die Konversion des Flughafens Tegel wird eines der zentralen Projekte Berlins im kommenden Jahrzehnt. Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) stellte Ende August den „Masterplan“ für die künftige Nutzung vor: Ein Forschungs- und Industriepark soll hier entstehen – so wünscht es sich zumindest die Landesregierung. Die unmittelbaren Auswirkungen durch die Beendigung des Flugbetriebs auf die heute noch in der Flugschneise liegenden Wohngegenden sind für Politiker und Stadtforscher dagegen bislang kaum ein Thema. Dabei ist klar, dass es für erhebliche Teile der Bezirke Spandau, Reinickendorf, Mitte und Pankow zu deutlichen Lärmentlastungen kommen wird. Ein Zugewinn an Wohnqualität zweifellos, aber ebenso sicher mittelfristig auch ein weiterer mietpreistreibender Faktor.

 

Repräsentative Daten über Mietvertragsabschlüsse in den Jahren 2011 und 2012 sind derzeit zwar noch nicht zu bekommen, eine Entwicklung wird aber bereits erkennbar: „Eine höhere Zahl von Mietinteressenten stellt sich ein“, bestätigt David Eberhart vom Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) für die im Verband zusammengeschlossenen Wohnungsbaugesellschaften auf Nachfrage des MieterEchos. Einschränkend fügt er hinzu, dass das „sicher nicht nur“ an der  Aussicht auf den wegfallenden Fluglärm liege.



Grundstücksnachfrage steigt

In den Bezirksämtern ist man vorsichtig mit Prognosen. „Aussagen zu einer Mietentwicklung können derzeit nicht getätigt werden“, so Martin Lambert (CDU), Baustadtrat von Reinickendorf. Nachfragen beim Quartiersmanagement Letteplatz hätten allerdings ergeben, „dass die derzeitigen Mieter Mietsteigerungen fürchten, diese aber noch nicht eingetreten sind“. Lambert geht davon aus, dass es mit dem Wegfall des Fluglärms insbesondere in Reinickendorf Ost und West „unweigerlich zu einer deutlichen Qualitätssteigerung“ kommen wird. Anzeichen eines künftigen Trends sind bereits nachweisbar. So sei im vergangenen Jahr die Nachfrage nach „Grundstücken, die mit Zwischennutzungen belegt sind“, gestiegen, ebenso die Zahl der entsprechenden Bauanträge. Auch gebe es ein verstärktes Interesse an nachträglichem Dachgeschossausbau. „Es handelt sich hierbei jedoch noch um Einzelfälle“, betont Lambert. Grundsätzlich sei gegenwärtig „ein leichter Anstieg von Grundstücksverkäufen zu verzeichnen“. Eine ähnliche Entwicklung für den nördlichen Wedding sei bislang nicht zu erkennen, heißt es im Vermessungsamt Berlin-Mitte, Abteilung Grundstückswertermittlung. Im Jahr 2011 habe es im Marktsegment Miethäuser „so gut wie keine Verkäufe“ gegeben, meinte ein Mitarbeiter gegenüber dem MieterEcho. Aber: „Die Messen sind mit Sicherheit noch nicht gesungen“ und insbesondere sei „nordwestlich der Seestraße ein Aufwertungstrend nicht auszuschließen“. Das Areal zwischen Müllerstraße, Transvaalstraße, Seestraße, Schillerpark und Lüderitzstraße wurde im März 2011 zum Sanierungsgebiet erklärt.



„Druck aus Prenzlauer Berg“ auf Pankow

Für Pankows Baustadtrat Jens-Holger Kirchner (Bündnis 90/Die Grünen) ist die Sache längst gelaufen: „Schon mit dem Schließungsbeschluss 1996 ging das los.“ Die Nachfrage nach Baugrundstücken sei aber erst „in den letzten 5 Jahren kulminiert“ und 2011 sowie Anfang 2012 „noch mal heiß gelaufen“. So seien in der Florastraße – die zum im April 2011 aufgehobenen Sanierungsgebiet Wollankstraße gehört – „die Grundstücke wie warme Semmeln über den Tisch gegangen“. Allerdings sei in Pankow die bevorstehende Flughafenschließung nur eine Ursache unter vielen für diesen Trend. „Der Druck aus Prenzlauer Berg ist generell gestiegen. Erst kam die Welle über die Bornholmer Straße, inzwischen treffen sich nördlich vom Anger, in Niederschönhausen zwei Bewegungen: Die klassischen Einfamilienhausbauer aus den Randlagen und die Baugruppen, die im Prenzlauer Berg keine geeigneten Grundstücke mehr finden.“



Aufwertung in Spandau

Weniger spektakulär geht es westlich des Flughafengeländes, in Spandau, zu. Hier werden die Ortsteile Haselhorst, Hakenfelde, Spandau, Falkenhagener Feld und Staaken deutlich aufgewertet. „Natürlich kann man nicht ausschließen, dass  dadurch eine Mietenentwicklung  nach oben stattfinden wird“, meint der SPD-Fraktionschef in der Bezirksverordnetenversammlung, Christian Haß. „Vielleicht bekommen wir durch die Schließung von Tegel auch wieder finanzstarke Bürgerinnen  und Bürger nach Spandau, weil diese Stadtteile an Attraktivität gewonnen haben.“ Tatsächlich hat auch im westlichsten Berliner Bezirk die Entwicklung bereits eingesetzt, wenn auch zaghaft, wie sie aus dem GSW-Wohnmarkt-Report 2012 hervorgeht: „Am stärksten war der Anstieg der  Angebotsmieten 2011 in den nördlichen Gebieten Neustadt und Hakenfelde“, heißt es über die Entwicklung in Spandau, was die GSW-Analysten als „Vorbote der Befreiung vom Fluglärm“ werten. Der Bezirksverordnete Dirk Großeholz von der Partei Die Linke hatte im Juli 2012 vom Bezirksamt wissen wollen, ob in den noch lärmbelasteten Ortslagen „verstärkt Kaufaktivitäten registriert worden“ seien, „insbesondere von institutionellen Anlegern“. Das Bezirksamt konnte darauf keine klare Auskunft geben. „Sicherlich sind periodisch immer wie-der verstärkte Aktivitäten zu verzeichnen“, schreibt Baustadtrat Carsten-Michael Röding (CDU) in seiner Antwort. Diese seien aber „nicht ausschließlich auf die Entwicklung des Betriebs des Flughafens Tegel zurückzuführen“.



Investoren in Wartestellung

Die Immobilienbranche selbst beurteilt die Perspektiven positiv. „Für den Wohnbereich wird das von großem Vorteil sein“, erklärte Marco Mendler, Prokurist  beim Immobilienunternehmen Alt + Kelber, auf Nachfrage bei einem Pressegespräch Ende August. Aber macht sich die Aussicht auf das Ende des Flugbetriebs jetzt schon in einem gesteigerten Kaufinteresse bemerkbar – insbesondere in den stark lärmbelasteten Gebieten östlich des Kurt-Schumacher-Platzes und des Eichborndamms? „Ich habe noch nicht bemerkt, dass sich das positiv entwickelt“, so Jacopo Mingazzini, Geschäftsführer des auf „die Privatisierung großer Wohnungsportfolios“ spezialisierten Unternehmens Accentro. Dass die betreffenden Stadtteile deutlich an Attraktivität gewinnen werden, steht aber außer Zweifel – gerade, weil sie noch zu den preisgünstigen gehören. „Die Nachfrage nach Immobilien mit besonders niedrigem Mietniveau in einfachen Lagen hat stark angezogen“, so Katja Giller vom Wertermittlungsausschuss des IVD (Immobilienverband Deutschland) Berlin-Brandenburg. Entscheidend sei vor allem das „hohe Entwicklungspotenzial“ dieser Quartiere. Fazit: Noch passiert nicht viel in den Flugschneisen zu beiden Seiten des Flugshafens Tegel, aber ist der Betrieb erst einmal eingestellt, kann es sehr fix gehen. „Die Anpassung an den Mietspiegel wird sehr schnell kommen“, ist Sigmar Gude vom Stadtforschungsinstitut Topos überzeugt. Allerdings erwartet der Experte „keine so spektakuläre Entwicklung“ wie in Neukölln. Dort stieg das durchschnittliche Mietniveau nach der Schließung des Flughafens Tempelhof um 13%.

 


MieterEcho 357 / Dezember 2012

Schlüsselbegriffe: Schließung Flughafen Tegel, lärmbelastete Wohngebiete, Pankow, Grundstücksnachfrage, Mietsteigerungen, Reinickendorf Ost, Reinickendorf West, Aufwertung, Mietenentwicklung, Investoren

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