Editorial Mai 2012
MieterEcho Editorial
Liebe LESERINNEN und LESER,
„Berlin ist eine Reise wert“, verkündete das Fremdenverkehrsamt bereits 1955. Warum, wusste zu der Zeit niemand. Rund 50 Jahre später rühmt sich die Berliner Politik der Erfolge der Tourismusbranche und betreibt eine aufwendige Marketingstrategie. Das aufgebaute Image soll nicht nur äußeres Interesse an der Stadt wecken, nach innen dient es der geistig-moralischen Ertüchtigung der Berliner/innen. „Be Berlin“ heißt es, und weil man im Senat die eigene Bildungspolitik kennt, wird die Übersetzung sogleich hinzugefügt: Sei Berlin! Wie man zu sein hat, drückt sich hundertfach in den „Gründen, Berlin zu lieben“ aus, die sich die für die Kampagne zuständige Berlin Partner GmbH mitteilen ließ: schwachsinnig bis zur Selbstverleugnung. Die Gründe, meint man, seien „so vielfältig, wie die Menschen in der Stadt: Ob Salsatanzen an der Spree, Frühstücken im Friedrichshain oder das allgemeine Lebens-Wohlgefühl - alles ist dabei.“ Was nicht dabei ist, ist die alltägliche Realität: die Enge auf dem Wohnungsmarkt, die steigenden Mieten, die Verdrängung der immer ärmer werdenden Bewohner/innen in den Altbaugebieten durch zahlungskräftige Mittelschichten, die Invasion der Immobilienspekulanten aus aller Herren Länder, der Verkauf öffentlicher Wohnungsbestände, die unzureichende Übernahme der Wohnkosten für ALG-II-Beziehende usw. usw. „Be Berlin“ ist der reine Zynismus. Zum Glück hat Berlin damit keine Ähnlichkeit.
Ihr MieterEcho
MieterEcho 354 / Mai 2012
Schlüsselbegriffe: Marketing, Stadtimage, Tourismus, Berlin Partner GmbH, Immobilienspekulanten, „Be Berlin“