„Die Verbesserung Neuköllns“
Bürgerplattform Neukölln als religiös motivierte Interessenvertretung
Joachim Oellerich
Zu den Folgen des Neoliberalismus gehört der weltweite Vormarsch religiöser Kräfte. Kein Wunder, denn in dem Maß, in dem öffentliche Güter privatisiert und sozialstaatliche Leistungen abgebaut wurden und damit Armut zunehmend jenseits säkularen staatlichen Schutzes bleibt, traten die Religionsgemeinschaften als Sachwalterinnen des Sozialen wieder in den Vordergrund.
Zwar sind den von der allgemeinen Verschlechterung der Lebensbedingungen betroffenen Mittelschichten in Spanien, Israel, den arabischen Ländern oder auch Stuttgart eindrucksvolle Protestartikulationen gelungen, aber die subalternen Schichten, deren Interessenvertretungen in den letzten Jahrzehnten immer mehr an politischem Einfluss verloren haben, wandten sich weltweit den religiösen Gemeinschaften zu. Der Fundamentalismus hat Konjunktur.
In Europa war diese Entwicklung bisher noch nicht sehr ausgeprägt, aber offenbar sind selbst in Berlin die Voraussetzungen längst herangewachsen. Im Januar 2012 wurde in Neukölln eine Bürgerplattform gegründet, deren Initiator das Deutsche Institut für Community Organizing (Dico) ist. Das Dico ist ein Institut der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin, die Dienstaufsicht übt deren Rektor aus. Aufgabe des Dico ist, „in Kooperation mit dem ICEP* die ethischen, pastoralen und soziopolitischen Dimensionen von Community Organizing zu reflektieren“. Der Institutsleiter, der katholische Theologe Prof. Dr. Leo Penta, scheint dafür bestens geeignet. Er konnte in den USA Erfahrungen im Community Organizing sammeln und hat auch in Berlin bereits praktische Erfolge erzielt. Die erste vom Dico gegründete Plattform entstand in den 90er Jahren in Oberschöneweide. Eine zweite folgte 2008 in Wedding/Moabit.
Kirchliche und islamische Gemeinden
Die Bürgerplattform in Neukölln wird von über 40 fast ausschließlich religiös ausgerichteten Organisationen getragen. Darunter sind die katholischen und evangelischen Gemeinden, eine Vielzahl von islamischen Moscheen, diverse Religionsgemeinschaften anderer Richtungen und Milli Görüs, das islamische, wirtschaftlich-politische Netzwerk, das vornehmlich durch die Gegnerschaft zur laizistisch, demokratisch verfassten politischen Organisation in der Türkei bekannt ist und nicht zuletzt deshalb vom Verfassungsschutz observiert wird. Sie alle verstehen sich als Neuköllner Bürger/innen, was selbstverständlich ist, schießen aber weit über das Ziel hinaus, wenn sie ein Vertretungsmonopol für alle Neuköllner/innen beanspruchen. Das mehrfach artikulierte Anliegen, „die Verbesserung Neuköllns“, teilt die Plattform mit Interessenvertreter/innen aller Richtungen. Wer könnte etwas gegen Verbesserungen haben? Sicher weder der Hausbesitzerverein Haus und Grund, noch die verschiedenen Parteien oder die Berliner MieterGemeinschaft, nur um einige Beispiele zu nennen. Wie diese Verbesserung aussehen soll und vor allem, wem sie nutzt, machen die Unterschiede zwischen gesellschaftlichen Akteuren aus, zu denen nun auch die Plattform gehören möchte. Deren Darstellung blieb allerdings bislang noch ziemlich schwammig, wenn auch ein starker Impuls gegen Rassismus und eine freundliche Bereitschaft zur interkonfessionellen Zusammenarbeit im Sozialbereich zu erkennen sind.
Stiftungen als Geldgeber
Deutlicher artikuliert die Plattform ihre Distanz zum Staat und zu politischen Parteien. Staatliche Förderung wird rigoros abgelehnt, was Steuerzahler/innen erleichtert zur Kenntnis nehmen mögen. Finanzierungssorgen hat die Plattform dennoch nicht. Das wirtschaftliche Fundament stellt zum einen der Versicherungs- und Finanzkonzern Generali, nach der Allianz der zweitgrößte Versicherer. Auch die Quandt-Stiftung von BMW und die Körberstiftung der in der Tabakindustrie engagierten Körber AG gehören zu den Geldgebern. Eine Eigenbeteiligung von 25% kommt von den Plattformmitgliedern (das sind in erster Linie die Gemeinden) selbst. Ein so harmonisch komponierter wirtschaftlich-religiöser Komplex hält die Gefahr in engen Grenzen, dass beispielsweise Fragen der betrieblichen Mitbestimmung oder des Mindestlohns thematisiert werden, Problemen, denen die Beschäftigten und ihre Gewerkschaften in Neukölln besonders in den Callcentern ausgesetzt sind. Sehr gefühlvoll werden dagegen die Missstände in den Jobcentern aufgegriffen. Dass die Neuköllner/innen keine Ursachenbekämpfung zu befürchten haben, machte der zuständige Angestellte des Dico bereits im September auf einer Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung, auf der sich die Plattform vor ihrer Gründung breit präsentieren durfte, deutlich, indem er klar bekannte, dass er „nicht links“ sei und das Schicksal seiner Familie in der DDR schilderte, wie es sonst nur in den Vertriebenenverbänden üblich ist. Die Veranstaltung trug übrigens den Titel, „Revolutionäre Realpolitik“ und das lässt einiges erwarten.
*) ICEP: Das im September 2004 gegründete ICEP ist eine Forschungseinrichtung der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin und versteht sich nach eigener Aussage als politische Ideenagentur und Plattform für christliche Ethik im politischen Raum.
MieterEcho 353 / März 2012
Schlüsselbegriffe: Bürgerplattform Neukölln, Neoliberalismus, religiöse Kräfte, Armut, Religionsgemeinschaften, Community Organizing, Dico, ICEP