Das alte Berlin ist wieder da
Die Braun-Affäre zeigt die Gegenwart der Vergangenheit in der Berliner CDU
Benedict Ugarte Chacón
Als sich der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) im vergangenen Herbst dafür entschied, die vollkommen unvorbereitete CDU in die Landesregierung zu hieven, war nicht zu ahnen, dass die neuaufgelegte Große Koalition lediglich zwölf Tage brauchte, um in die erste Affäre zu schlittern. Schnell kam die Rede auf die alte Landowsky-CDU, die gemeinsam mit der SPD Berlin in den 90er Jahren den Ruf als „Hauptstadt von Filz und Korruption“ einbrachte. Zwar gab sich die CDU im Wahljahr 2011 als „rundum erneuerte“ Partei, doch tatsächlich hat sie sich seit dem Bankenskandal nur marginal gewandelt.
Der Niedergang der CDU begann im ersten Halbjahr 2001. Damals war der Skandal um die Bankgesellschaft in vollem Gang. Immer neue Aspekte kamen ans Licht: Das von den Bankvorständen erdachte und grandios gescheiterte In-Sich-Geschäft über die Kaimaninseln, die jahrelange Auflage von Immobilienfonds mit vollkommen unüblichen Garantien für die Fondszeichner, die „Prominentenfonds“ für Bankmanager und ihre politischen Freunde und schließlich die „Parteispende“ der beiden Geschäftsführer der Immobilienfirma Aubis an den Vorstandsvorsitzenden der BerlinHyp und gleichzeitigen Berliner CDU-Fraktionsvorsitzenden Klaus-Rüdiger Landowsky. Die SPD und ihre Machtstrategen Peter Strieder und Klaus Wowereit witterten Morgenluft und begannen, innerhalb der damaligen Großen Koalition gegen die CDU zu manövrieren. Zunächst war mit der Person Landowsky als mächtigster Mann der CDU die perfekte Skandalfigur gefunden.
Propaganda der SPD
Wie einschneidend die damalige SPD-Propaganda wirkte, ist daran zu sehen, dass in weiten Teilen der Öffentlichkeit noch heute der Berliner Bankenskandal fast ausschließlich mit Landowsky und der CDU identifiziert wird. Dabei war die SPD mit Annette Fugmann-Heesing, Ditmar Staffelt oder Norbert Meisner ebenso wie die CDU mit der Bankgesellschaft verbandelt. Der Rücktritt Landowskys als Fraktionschef und Bankdirektor genügte der SPD nicht und so begann sie im Frühsommer des Jahres 2001 die Haushaltskrise des Landes zu skandalisieren. Merkwürdigerweise gelang ihr das, ohne dass allzu laute Fragen über die Mitverantwortung der SPD und ihrer ehemaligen Finanzsenatorin Fugmann-Heesing laut wurden. Zu sehr hatte sich die öffentliche Wahrnehmung auf die CDU, insbesondere Landowsky und den Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen eingeschossen. Im Juni des Jahres beendete die SPD die Koalition und wagte, nach einem kurzen rot-grünen Intermezzo, eine damals noch fast als Tabubruch gesehene Partnerschaft mit der PDS. Im Nachhinein muss man Wowereit allerdings zugestehen, dass er den richtigen Riecher hatte, denn einen bequemeren und pflegeleichteren Koalitionspartner hätte man lange suchen müssen.
Zurück in alte Zeiten
Die Berliner CDU hingegen versank über Jahre in parteiinternen Auseinandersetzungen, Wahlniederlagen und politischer Leichtgewichtigkeit. Zunächst dilettierte Frank Steffel, Landowskys politischer Ziehsohn und brachialer Selbstdarsteller, als „Kennedy von der Spree“ und bescherte der CDU bei den Abgeordnetenhauswahlen 2001 ein miserables Ergebnis. Es folgten Auseinandersetzungen um den Parteivorsitz. Der importierte Friedbert Pflüger und der in der Partei fest verwachsene Ingo Schmitt beharkten sich gegenseitig, bis es 2008 zu einer erneuten Führungskrise kam, aus der Frank Henkel als Parteivorsitzender hervorging. Heute gibt sich die Partei als „rundum erneuert“ und Henkel mimt dabei den großstädtischen Konservativen. Doch dieses selbstgezeichnete Bild einer „modernen“ CDU ist Augenwischerei. Schon die Wahl Henkels war ein Rückschritt in alte Zeiten, die zu heftigem innerparteilichen Protest führte. Der Fraktionsvorsitzende in der Bezirksverordnetenversammlung Steglitz-Zehlendorf Marc Wesser trat von seinem Amt zurück und kritisierte in einem Brief an Parteikollegen, dass die Partei „auch weiterhin von Hinterzimmern geführt“ werde und an der Parteispitze „Eigennutz und Machterhalt um jeden Preis“ vorherrschten. „Nun prägen nur noch Personen wie Frank Henkel, dessen politischer Mentor Frank Steffel (...) und die Herren Landowsky und Diepgen das Bild der Berliner Union. Das alte West-Berlin ist gut sichtbar zurückgekehrt“, heißt es im Brief vom 14. Oktober 2008.
Landowskys langer Arm
In der Tat erfolgte die Wahl Henkels nicht aus heiterem Himmel. An einem entscheidenden Gespräch nahm auch Klaus-Rüdiger Landowsky teil. Hinzugebeten hatte ihn Monika Grütters, die als Vertraute Landowskys gilt. Landowsky – so war es der in solchen Sachen stets gut informierten Berliner Morgenpost zu entnehmen – soll bei der Suche nach dem neuen Vorsitzenden „beratend“ tätig gewesen sein und die Lösung „im Hintergrund“ herbeigeführt haben. Dass Landowsky sich für Henkel aussprach, mag daran liegen, dass Henkel den alten Seilschaften der Berliner CDU entstammt und sich zuvor auf einigen Posten bewährt hatte. Ab 1996 war er Referent im Leitungsstab der Reinickendorfer Bezirksbürgermeisterin Marlies Wanjura. Reinickendorf wiederum war immer schon die politische Basis Frank Steffels. Von Januar bis Juni 2001 war Henkel Leiter des persönlichen Büros von Eberhard Diepgen. Und auch an anderer Stelle ist Henkel tief im konservativen Morast verwurzelt: Er ist, genauso wie Landowsky, Mitglied der schlagenden Verbindung „Sängerschaft Borussia“. Ein anderes Mitglied dieser Verbindung war der 2003 verstorbene CDU-Politiker Peter Kittelmann, der in den 70er Jahren die „K-Gruppe“ ins Leben rief, einen Kreis von CDU-Nachwuchskräften, zu dem neben Landowsky und Diepgen auch der spätere stramm rechte Innensenator Heinrich Lummer gehörten.
Neue Koalition
Als Landesvorsitzender und Spitzenkandidat war Henkel selbstverständlich im vergangenen Herbst an den Koalitionsverhandlungen mit der SPD beteiligt. Am Verhandlungstisch saßen auch Monika Grütters und Frank Steffel, sodass Landowskys Nachwuchs bei der Aushandlung des Koalitionsvertrags gut vertreten war. Unter den Verhandlungsteilnehmern war auch einer, dem die CDU ihren ersten Skandal in der neuen Legislaturperiode zu verdanken hat: Michael Braun. Dieser ist ebenfalls ein West-Berliner Gewächs, doch gehörte er in früheren Zeiten nicht zum eigentlichen Klüngel um Landowsky, sondern zusammen mit Uwe Lehmann-Brauns zum „liberalen“ Flügel der Berliner CDU. In die Geschichte ging er als der Senator mit der kürzesten Amtszeit ein. Am 1. Dezember war er von Wowereit zum Justiz- und Verbraucherschutzsenator ernannt worden, am 12. Dezember bat er um seine Entlassung. Zeitgleich zu seiner Ernennung hatten Verbraucherschutzanwälte Vorwürfe gegen ihn erhoben. Er habe als Notar der mit Lehmann-Brauns gemeinsam geführten Kanzlei Verkäufe von sogenannten Schrottimmobilien beurkundet und damit Kleinanleger enorm geschädigt.
Skandal um Michael Braun
Verkäufe von mangelhaften Immobilien zu überhöhten Preisen, wie sie auch Braun beurkundet haben soll, laufen normalerweise so ab: Immobilienfirmen, die preisgünstig an Objekte gekommen sind, bauen einen „Strukturvertrieb“ auf, um Wohnungen einzeln und überteuert weiterzuverkaufen. Hierzu werden per Telefon oder Hausbesuch Interessenten angeworben, denen man angeblich ausgeklügelte Steuersparmodelle verspricht. Beißt jemand an, ziehen die Profiverkäufer alle Register. Die potenziellen Kunden werden gezielt überrumpelt. Angeblich gibt es noch andere Interessierte und, um diesen zuvorzukommen, müsse schnell ein Vertrag beim Notar unterzeichnet werden. Am Ende stehen die Kunden mit einer minderwertigen Wohnung und einem Bankkredit da, den sie jahrelang abbezahlen müssen. Laut Berliner Zeitung gibt es unter den 900 Berliner Notaren nur ein Dutzend, die zu solchen Beurkundungen bereit sind. Braun wies die Vorwürfe stets zurück. Er habe als Notar nur die rechtlichen Risiken zu prüfen und sei kein wirtschaftlicher Berater, sagte er vor dem Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses, der sich mit den Vorwürfen gegen ihn befasste.
Der damalige Generalsekretär der Berliner CDU und heutige Staatssekretär Bernd Krömer sprang Braun in einer Erklärung bei. Die öffentlich erhobenen Vorwürfe gegen ihn seien eine Kampagne, der er aufgrund seiner notariellen Schweigepflicht nur schwer begegnen könne. Die Anlegerschützer würden mit ihren Vorwürfen lediglich die Schweigepflicht Brauns ausnutzen. Braun selbst zeigte sich bis zum Schluss uneinsichtig. Er habe „im Interesse meiner Stadt, des Senats und meiner Partei“ um seine Entlassung gebeten, wie es auf seiner Internetseite heißt.
Lohnende Entlassung
Doch selbst in seinem Abgang zeigt Braun, dass er nichts aus der Vergangenheit gelernt hat. Der Unterschied zwischen einer Entlassung und einem Rücktritt zahlt sich für ihn finanziell aus: Er hat als entlassener Senator einen sechsmonatigen Anspruch auf ein Übergangsgeld, das sich laut Medienberichten auf 50.000 Euro summieren soll. Die Stadt als Beute – das war das Motto der alten CDU und ist anscheinend auch das der „erneuerten“.
MieterEcho 352 / Januar 2012
Schlüsselbegriffe: Braun-Affäre, Berliner CDU, Landowsky, Berliner Bankenskandal, Finanzsenatorin Fugmann-Heesing, Frank Henkel, Große Koalition