Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 353 / März 2012

Bürgerbeteiligung bizarr

Die Beteiligung von Bürger/innen am Kommunalhaushalt verspricht Mitsprache bei der Verwendung öffentlicher Gelder, aber oft geht es mehr ums Sparen als ums Ausgeben

Philipp Mattern

Wo fängt richtige Teilhabe an, wenn nicht beim Geld? Hoch gepriesen werden von Kommunalpolitikern die sogenannten Bürgerhaushalte, die von immer mehr Städten und Gemeinden praktiziert werden. Auch in Berlin versuchen sich einige Bezirke darin. Die Bürgerhaushalte zeichnet vor allem aus, dass sie den Kern staatlicher Haushaltspolitik nicht berühren: An der Souveränität, über Einnahmen und Ausgaben öffentlicher Gelder zu entscheiden, werden die Bürger/innen keinesfalls direkter beteiligt. Wie sollten sie auch, wenn selbst Verwaltungen und Kommunalparlamente offen eingestehen, dass ihre Aufgaben immer weniger in der politischen Gestaltung als in der Verwaltung des Mangels bestehen? Sie sehen sich vor die Herausforderung gestellt, die knappen Kassen so zu leeren, dass diejenigen, die den Mangel zu spüren bekommen, zumindest zähneknirschend mitspielen. Vielleicht ist es dieser Aspekt, der dazu animiert, Bürger/innen mehr in die Haushaltsplanung einzubeziehen. In die Planung wohlgemerkt, denn die eigentlichen Haushaltsverhandlungen und Beschlussverfahren bleiben unberührt.

 


Die Form der Beteiligung kann variieren. In Friedrichshain-Kreuzberg lädt man seit einigen Jahren zu Versammlungen in den verschiedenen Stadtteilen. In den letzten Jahren durften Vorschläge zur Finanzierung konkreter Projekte abgegeben und von den Anwesenden bewertet werden. Die Versammlungen wurden zum Tummelplatz für soziale Träger, die in stimmgewaltiger Personenzahl aufliefen und versuchten, die nicht mehr durch eine Regelfinanzierung gedeckten Projekte auf informellen Wegen zu realisieren. Was häufig nicht klappte und zu Frustration führte, weil – wie zu erwarten – kein Geld da war. Im diesjährigen Beteiligungsverfahren verzichtete man vorsichtshalber auf konkrete Vorschläge und beschränkte sich auf „grundsätzliche“ Diskussionen. Auch Charlottenburg-Wilmersdorf sammelt auf Kiezkonferenzen und mit Fragebögen Ideen für das finanzielle Engagement des Bezirks. Auch hier bleibt es bei einer lockeren Ideensammlung. Mit dem für den Bezirk positiven Nebeneffekt, dass die Verwaltungsaufgabe der Bedarfsfeststellung von den Bürger/innen selbst erledigt wird.

„Wir rechnen mit Ihnen!“

Die technisch ausgefeiltere Variante bietet Lichtenberg. Mit einer für Behörden beindruckend übersichtlichen und modernen Internetplattform unter dem Slogan „Wir rechnen mit Ihnen!“ werden die Lichtenberger/innen aufgefordert, online Vorschläge einzubringen und anschließend zu bewerten. Zusätzlich werden 50.000 nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Einwohner/innen angeschrieben und zur Votierung gebeten, um ein repräsentatives Bild zu gewinnen. Nach der Einholung von Stellungnahmen der Fachämter werden die bestbewerteten Vorschläge an die Bezirksverordnetenversammlung übergeben. „Die Bezirksverordneten befassen sich eingehend mit allen Vorschlägen. Diejenigen, die im Rahmen der rechtlichen Bestimmungen der Haushaltsplanung realisierbar und finanzierbar sind, sollen in den Haushaltsplan übernommen werden“, heißt es in den Erläuterungen des Bezirks. Für den kommenden Haushalt 2013 kamen 230 Vorschläge zusammen, die sich überwiegend mit kleineren Verkehrs-, Grünflächen- und Freizeitprojekten befassen. Viele davon sind sicher ambitioniert und spiegeln die Wünsche der Einwohner/innen wieder, die sich tatsächlich aktiv mit Fragen der Stadtplanung auseinander setzten. Vor allem die Ablehnungs- und Beschlusspraxis schafft Transparenz und Einblick in die Prioritäten der Bezirkspolitik und die Enge ihres eigenen Gestaltungsspielraums. Eben dieser ist es, der dem ganzen Verfahren den Beigeschmack eines Preisausschreibens verleiht, hinter dem die eigentlich spannenden Fragen von Demokratie und Teilhabe verschwinden: Warum sind die öffentlichen Kassen leer und wo ist das ganze Geld hin – in einem so reichen Land?

„Solingen spart“

Das Lichtenberger Verfahren funktioniert auch anders herum. Das zeigt eindrucksvoll die nordrhein-westfälische Stadt Solingen. Ihr drohte die Zahlungsunfähigkeit, sollte ihr Eigenkapital wie erwartet bis 2013 aufgebraucht sein. Um die Einsetzung eines „Staatskommissars“ durch das Innenministerium zu verhindern und die kommunale Selbstverwaltung zu retten, gebe es nur einen Weg: Sparen – und zwar 45 Millionen Euro jährlich. Nur wo? Und wie verkauft man das den Bürger/innen? Indem man sie selbst entscheiden lässt. Sparvorschläge mit „spürbarer Kundenauswirkung“ durften auf der Internetplattform www.solingen-spart.de bewertet und ergänzt werden: Schwimmbadschließung, Öffnungszeiten der Bücherei, neue Sexsteuer für Bordellbesuche und weiteres. Obwohl nur 2,2% der Einwohner/innen teilnahmen, feiern Kämmerer und Bürgermeister den Erfolg: „So wurde deutlich, dass es Mehrheiten (sic!) auch für unpopuläre Maßnahmen gab und Verständnis vorhanden war. Den Mitgliedern des Stadtrates, die in einem demokratischen Verfahren letztendlich über den Haushalt zu entscheiden hatten, stärkte dies den Rücken.“ Das „Haushaltssicherungskonzept“ ist beschlossen, die Insolvenz abgewendet und Solingen darf wieder investieren – zum Beispiel in eine „Standortoffensive für die Innenstadt“, wie es in derselben Erklärung heißt.

„Heimatinvest“

Ist das Solinger Beispiel von Bürgerbeteiligung bizarr, wird es anderswo geradezu pervertiert: Bei den sogenannten „Bürgerkrediten“ geht es darum, Kommunen zur Realisierung ausgewählter Projekte Geld zu leihen. Eine Vorreiterin war die Stadt Quickborn in der Nähe von Hamburg. Sie warb im Jahr 2009 nach einer öffentlichkeitswirksamen Kampagne innerhalb kurzer Zeit 4 Millionen Euro von ihren Bürger/innen ein. Die Bundesanstalt für Finanzdienstaufsicht und das Innenministerium sahen darin ein unzulässiges Bankgeschäft: Die Kommune werde zum Kreditinstitut, was sie nicht dürfe. Um die rechtlichen Schranken zu umgehen, entwickelte die Stadt mit der „biw – Bank für Investments und Wertpapiere“ das Anlagemodell „Heimatinvest“. Die Bürger/innen eröffnen bei der Bank mit mindestens 5.000 Euro zweckgebundene Konten. Erreicht ihre Summe den von der Kommune gewünschten Darlehensbetrag, bekommt sie das Geld von der Bank geliehen. Diese wiederum gibt die Darlehensforderung gegen die Kommune anteilig und entsprechend ihrer Einlage an die Bürger/innen weiter. Für die Bürger/innen sei das Geschäft besonders sicher. Sie erwerben eine Forderung gegen eine Kommune und nicht gegen eine Privatperson oder eine Firma, die möglicherweise pleitegeht. Ganz im Gegenteil: „Seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland sind alle Kommunen ihren wirtschaftlichen Verpflichtungen nachgekommen“, schwört die biw. Mehr noch, die investitionsfähigen Bürger/innen bekommen neben guten Zinsen auch die Möglichkeit, sich „aktiv an der Stadtentwicklung zu beteiligen“.

Leih deiner Stadt Geld!

Das Solinger Beispiel könnte Schule machen. Weitere Kommunen liebäugeln mit Bürgerkrediten und gewitzte Geschäftsleute entdecken einen neuen Markt. So verspricht das von drei ambitionierten Jungunternehmern gegründete Projekt „Leih deiner Stadt Geld“ eine „rechtlich einwandfreie Abwicklung von Bürgerkrediten“ mittels einer Idee, „bei der es nur Gewinner gibt“.  Die Kommune könne sich billiger Geld leihen als auf dem Kapitalmarkt, während die Bürger/innen mehr Zinsen bekämen als bei herkömmlichen Staatsanleihen. Gewinnen soll aber auch die GmbH. Sie streicht für die Vermittlung eine jährliche Servicegebühr von den Kommunen ein. Auf einer Website sollen Städte und Gemeinden ihre Investitionsprojekte feilbieten. Die Bürger/innen können daraus wie auf einem digitalen Marktplatz auswählen und somit „selbst entscheiden, welche Kommune Ihr Geld erhält und was damit passiert“. Das stärke die Gemeinschaft. Denn „anders als bei konventionellen Bankkrediten ist die Vergabe des Bürgerkredits besonders stark ideell geprägt. Die Entscheidung zur Kreditvergabe wird demokratisiert und von der emotionalen Bindung an die Region und die Gemeinschaft beeinflusst. Der Bürgerkredit wirkt auf diese Weise für eine ganze Region identitätsstiftend“. Fazit: „So sieht eine moderne Umsetzung von Bürgerpartizipation aus.“

Besitzbürgerbeteiligung

Bürgerbeteiligung ist hier keine Mogelpackung, sondern schlicht das falsche Wort. Dabei geht es nicht um die staatsbürgerliche Pflicht, Steuern zu zahlen, und das Recht auf eine funktionierende öffentliche Infrastruktur und wohlfahrtsstaatliche Leistungen samt der Teilhabe an Gestaltungsmöglichkeiten. Es wird einzig an die besitzbürgerliche Rationalität von Käufer/innen appelliert, die ihr Geld nie zum Spaß ausgeben, sondern etwas dafür bekommen wollen. Das ist fatal. Man leiht der Stadt nicht nur Geld, sondern kauft damit immer auch ein Stück Infrastruktur. Und warum sollte man etwas kaufen, was man nicht braucht? Ob eine Obdachlosenunterkunft in einem Armutsviertel genauso viele Anleger/innen findet wie eine Kita in wohlhabender Gegend? Die identitätsstiftenden Slogans sind eine Strategie, die den Regeln der Werbeindustrie folgt. Mit Gemeinwohl und öffentlichem Interesse haben sie nichts zu tun.

 


MieterEcho 353 / März 2012

Schlüsselbegriffe: Kommunalhaushalte, Kommunalpolitik, Bürgerhaushalte, Bürgerkredite, Heimatinvest, Solingen

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