„Aufwertung ohne Verdrängung wäre wieder möglich.“
Sanierungsgebiete verfolgen das Ziel der Aufwertung – früher zugunsten der Mieter/innen
Interview mit dem Stadtplaner Christian Schmidt-Hermsdorf
Sanierung für und mit den Betroffenen – das war einmal. Die früheren Leitsätze der behutsamen Stadterneuerung sind längst aufgegeben. Den neuen Sanierungsgebieten liegt kein umfassendes Konzept mehr zugrunde. Ihr Ziel ist lediglich die punktuelle Gebietsaufwertung, während die Sanierung von Wohnungen den Eigentümern überlassen bleibt. Eine politische Regulierung der Mietenentwicklung wäre auch heute noch möglich, ist aber kaum zu erwarten, meint der Stadtplaner Christian Schmidt-Hermsdorf.
Christian Schmidt-Hermsdorf war Stadtplaner in ehemaligen Sanierungsgebieten in Kreuzberg und Prenzlauer Berg und ist Mitglied der Bürgerinitiative „Kreuzberger Horn“. |
MieterEcho: In Berlin gibt es 7 neue Sanierungsgebiete. Was haben sie mit ihren Vorgängern gemein?
Christian Schmidt-Hermsdorf: Außer dem Namen leider nicht viel. Im Unterschied zu den Sanierungsgebieten der 80er und 90er Jahre wird keine umfassende städtebauliche Sanierung mehr durchgeführt. Früher ging man in einem Sanierungsgebiet grundstücksweise vor. Die Sanierung orientierte sich an den Missständen der jeweiligen Häuser, mit dem Ziel, die Wohnqualität zu verbessern. Heute beschränken sich die Planungsziele auf punktuelle Maßnahmen in definierten „Aktionsräumen“. Vornehmlich geht es dabei um kleinere Infrastrukturprojekte mit dem Ziel der Gebietsaufwertung. Die Wohnhäuser selbst werden den privaten Eigentümern überlassen. Sie können natürlich sanieren, werden das aber nur tun, wenn es sich für sie lohnt.
Welche Rolle spielen die Mieter/innen in diesem Prozess?
Die Mieter/innen werden kaum mehr als Beteiligte in diesem Prozess wahrgenommen, sondern den Interessen der Hauseigentümer untergeordnet. Es ist bezeichnend, dass im Zusammenhang mit den neuen Sanierungsgebieten kaum noch wie früher von „Betroffenen“ die Rede ist, deren Interessen legitimerweise Gehör finden müssen, sondern vornehmlich von „Gebietsakteuren“, die in die Planung einbezogen werden sollen. Die „Gebietsakteure“ sind in erster Linie nicht Mieter/innen, sondern Geschäftsleute und Investoren, die über Geld und Macht verfügen und deshalb für ein Viertel „wichtig“ sind. Der ursprüngliche Grundsatz der hochgelobten „behutsamen Stadterneuerung“ wird damit zugunsten einseitiger Aufwertung und vorrangiger Förderung von Investoreninteressen faktisch aufgegeben.
Welche Grundsätze gab es früher und wie haben sie sich verändert?
Der spezifische Ansatz der früheren behutsamen Stadtentwicklung in Berlin ging über die Forderungen des Baugesetzbuchs hinaus. Sanierung für und mit den Bewohner/innen, lautete die Devise und an zentraler Stelle stand das Bleibe- und Mitwirkungsgebot. Davon hat man sich verabschiedet. Sehr deutlich wird das anhand des Wandels der „Leitsätze zur Stadterneuerung“ (siehe Seite 14). Die heutigen Sanierungsziele greifen lediglich allgemeine gesetzliche Vorgaben auf, wie die Sozialplanverfahren für Mieter/innen, soweit sie direkt von Sanierungen betroffen sind. Dafür müssen sogenannte Ordnungsmaßnahmengelder bereitgestellt werden, etwa für Umzugsentschädigungen oder zur Beschaffung von Ersatzwohnraum. Darüber hinaus werden die Rechte der Betroffenen heute nicht näher spezifiziert und damit bleibt reichlich unklar, wie sie in der Praxis gewahrt und materiell ausgefüllt werden sollen. Außerdem konzentrieren sich die heutigen Zielsetzungen ja im Wesentlichen auf die Infrastruktur und die Aufwertung des öffentlichen Raums, während die Gebäudesanierung den Eigentümern überlassen bleibt.
Der Senat redet davon, dass über 200 Millionen Euro städtebauliche Mittel für die Sanierungsgebiete bereit stehen sollen.
Das stimmt zwar, aber hier ist eine andere Sache hervorzuheben. Nämlich dass für die neu ausgewiesenen Sanierungsgebiete bereits andere Förderprogramme bestehen. Die Summe, die immer genannt wird, setzt sich aus Bundes-, Landes- und Europamitteln zusammen, die im Rahmen eben jener bestehenden Förderprogramme vermutlich ohnehin in die Gebiete geflossen wären. Durch die Ausrufung der Sanierungsgebiete stellt der Senat keine zusätzlichen Eigenmittel bereit. Somit gibt es auch keine Möglichkeit, die Warmmieten mithilfe öffentlicher Mittel bei einer energetischen Sanierung neutral zu halten, während in früheren Zeiten eine umfassende Förderung mit Mietpreisbindung die Regel war. Und wenn man bedenkt, dass die genannte Summe für 7 Gebiete mit einer Laufzeit von bis zu 15 Jahren gedacht ist, ist das nicht besonders viel Geld. Berlins Haushaltsprobleme sind ja bekannt. Das eigentliche Versäumnis ist, dass keine Strategien entwickelt wurden, um den Schutz der Mieter/innen bei Aufwertungen zu gewährleisten. Im Gegenteil: Schutzrechte wurden immer weiter abgebaut, selbst wenn sie nichts kosteten.
Macht es dann überhaupt einen Unterschied, ob ein Sanierungsgebiet ausgerufen wird oder nicht?
Das macht schon einen Unterschied, denn es ergänzt die Förderung bestehender Programme durch das besondere Städtebaurecht. Wichtig ist dabei vor allem der Genehmigungsvorbehalt nach § 144 und § 145 Baugesetzbuch, wonach jede bauliche Tätigkeit in diesen Gebieten durch die Sanierungsverwaltung genehmigt werden und den Sanierungszielen unterstehen muss. Dieses erweiterte Recht bringt die Möglichkeit zu politischer Steuerung, mit der theoretisch auch soziale Ziele verfolgt werden können.
Wie könnte denn die politische Steuerung aussehen?
Die in Sanierungsgebieten mögliche erhöhte steuerrechtliche Abschreibung bei Modernisierung und Instandsetzung von Wohnungen setzt eine Genehmigung der bezirklichen Sanierungsverwaltungsstelle voraus. Nur dann wird die besondere Abschreibung vom Finanzamt anerkannt. Es wäre also möglich, den Eigentümern für die Erteilung der Genehmigung mit Bezug auf die Sanierungsziele „Gegenleistungen“ abzuverlangen, mit denen negative Auswirkungen wie Mietsteigerungen reguliert werden könnten.
Welche Gegenleistungen wären denkbar?
Als ein Sanierungsziel wird beispielsweise in Neukölln der Klimaschutz durch energetische Sanierung und Hofbegrünung benannt. Aber diese Maßnahmen werden im Wesentlichen den Eigentümern überlassen, mit dem Verweis darauf, dass negative Auswirkungen über das Genehmigungsverfahren abschätzbar und gedämpft werden können. Wie das genau aussehen soll, ist nicht konkret benannt. Es wird zwar noch an ein Sozialplanverfahren in den betroffenen Häusern gedacht, aber die Hilfestellungen für die Betroffenen bleiben offen. Reduzieren sie sich auf öffentlich geförderte Umzugshilfen anstelle der bisher häufig von Eigentümern gezahlten Abfindungen für auszugswillige Mieter/innen? Verkommt das Instrument des Sozialplans zur Abmilderung von Härten zu einer Art staatlich finanzierter Verdrängung? Oder zielen die angedachten Hilfestellungen auf eine Reduzierung der Umlagen der Sanierungskosten, um die Warmmieten neutral zu halten? Nur letzteres wäre ein echtes Mittel gegen Verdrängung.
Was wären konkrete Möglichkeiten, um den Mieterschutz bei Sanierungen zu verbessern?
Ein allgemeines Erneuerungsziel ist die Verbesserung des Stadtklimas. Deshalb gewinnt die energetische Sanierung an Bedeutung. Damit daraus keine bedrohliche Verdrängungskulisse für die Mieter/innen der betroffenen Häuser angesichts der klammen Haushaltslage Berlins wird, wären folgende Forderungen an den Bund zu richten: Die vorgesehene Förderung erhöhter Steuerabschreibungen als Motivationsanreiz für Hauseigentümer sollte umgewandelt werden in Zuschüsse. Die in einem aktuellen Gesetzesvorhaben fokussierten Abschreibungen nach dem Gießkannenprinzip führen zu Steuerausfällen in Millionenhöhe. Dieses Geld sollte lieber vom Staat dazu benutzt werden, die viel zu geringen Fördermittel aufzustocken. Die Förderung könnte dann mit der Vorgabe der Warmmietenneutralität versehen werden, die es verhindert, dass die Sanierungskosten auf die Miete umgelegt werden. Die Mittel dafür sollten in das Ermessen der Länder und Gemeinden gestellt werden, die sie dann nach räumlichen und sozialen Prioritäten ausgeben könnten. Das wäre sinnvoller, als jedem sanierungswilligen Eigentümer ein Steuergeschenk zu bereiten. Die Vergabe der Fördermittel muss zudem an eine „eigentümerunabhängige Mieterberatung“ gebunden sein, die die Interessen der Mieter/innen ernst nimmt. Außerdem muss die in der Gesetzesvorlage der Bundesregierung noch vorgesehene Duldungspflicht von Mieter/innen bei energetischer Sanierung fallengelassen werden. Unter solchen Bedingungen wäre eine Aufwertung ohne Verdrängung wieder möglich.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Philipp Mattern
MieterEcho 356 / September 2012
Schlüsselbegriffe: Sanierungsgebiete, Gebietsaufwertung, Verdrängung, behutsame Stadterneuerung, Christian Schmidt-Hermsdorf, Investoreninteressen, Bleibegebot, Mitwirkungsgebot, Mietpreisbindung, § 144 Baugesetzbuch, § 145 Baugesetzbuch, Mieterschutz