Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 347 / Mai 2011

Wem gehört Kreuzberg?

Im Chamissokiez wehren sich Mieter/innen gegen Verdrängung

Peter Nowak
 

„Leerstand verhindern“ und „Spekulanten raus“, solche Parolen prangten mehrere Wochen an der Fassade eines Wohnhauses in der Kopischstraße im Chamissokiez in Kreuzberg. Das hätte man in einer Gegend nicht erwartet, die mit charakteristischem Kopfsteinpflaster und altmodischen Laternen den Eindruck erweckt, als befinde man sich in einem Freilichtmuseum für das gründerzeitliche Berlin. Doch genau durch diese historische Kulisse sind die Probleme im Kiez gewachsen, denn immer mehr Immobilienfirmen zeigen Interesse an den Stuckaltbauten.

 
Die von Mieterhöhungen und Verdrängung betroffenen Mieter/innen beginnen sich zu organisieren. Anwohnertreffen sind überfüllt, und alle haben ähnliche Geschichten zu erzählen. „In der Arndtstraße 38 stehen von 9 Wohnungen 4 leer“, berichtet eine Mieterin aus diesem Gebäude. Die ALW-Immobilien GmbH aus Baden-Baden, die das Haus gekauft hatte, kündigte ihr wegen der verspäteten Zahlung der Kaution. Die gerichtliche Entscheidung steht noch aus. Auch die 27 Mieterparteien in der Katzbachstraße 17 sind nach einem Eigentümerwechsel zur Goldenzeil Immobilien GmbH verunsichert. Weil sich Alt- und Neueigentümer um die Ölrechnungen stritten und deswegen offenbar Rechnungen nicht beglichen wurden, fiel im letzten Winter mehrmals die Heizung aus, berichtet ein Mieter. Trotz der Größe des Hauses und der Unterschiedlichkeit der Mieter/innen habe es mittlerweile erste gemeinsame Treffen gegeben, berichtet er.
 

Wohnungen dem Spekulationsmarkt entziehen

Die Mieter/innen der Willibald-Alexis-Straße 34 (Wax34) sind da schon weiter. Nachdem ihr Haus im Herbst 2010 an die Willibald Alexis GmbH & Co. KG verkauft worden war, setzten sie sich zusammen und formulierten ihre Ziele. In einem offenen Brief an Politiker aller Parteien und den Senat heißt es: „Wir wollen das Haus mithilfe passender Projekt- und Finanzierungsstrukturen dem Spekulationsmarkt entziehen und gemeinschaftliches, kieznahes Wohnen organisieren. Wir sind im Gespräch mit Stiftungen, Genossenschaften und Mietshäuser Syndikat, die das Haus erwerben würden.“

Den Mieter/innen geht es dabei nicht nur um den Erhalt von bezahlbarem Wohnraum in ihrem Haus, sondern sie haben auch ein erstes Mietertreffen im Chamissokiez mitorganisiert, bei dem die Initiative „Wem gehört Kreuzberg?“ gegründet wurde. „Dort treffen sich Menschen, die sich gegen den Verkauf von Wohnungen und die Verdrängung aus ihren Wohnquartieren in Berlin wehren“, beschreibt Wax34-Bewohner Stephan Thiele das Ziel der von ihm mitbegründeten Initiative.
 

Problem Ferienwohnung

In fünf Arbeitsgruppen recherchieren die Mieter/innen die Eigentumsverhältnisse von Häusern im Kiez und bereiten Veranstaltungen, juristische Beratungen und Stadtspaziergänge vor. Eine Arbeitsgruppe befasst sich mit Ferienwohnungen. Nicht nur Mieter/innen sehen in der wachsenden Zahl von Ferienwohnungen eine Ursache für die Probleme im Stadtteil. „Da Touristen bereit sind, im beliebten Kiez in der Nähe der Bergmannstraße 50 Euro pro Nacht und mehr zu zahlen, werden schnell Gelddruckmaschinen aus Räumen, in denen sich aufgrund der hohen Miete keine Kneipe mehr wirtschaftlich betreiben lässt“, klagt ein Autor im Lokalblatt „Kiez und Kneipe“, in dem auch gleich zum „Kampf gegen die Touri-Monster“ aufgerufen wird. Doch Mitglieder der Kiezinitiative warnen davor, in den Ruf „Hilfe, die Touristen kommen“ einzustimmen. „Nicht die Touristen sind das Problem, sondern die Verwertung von Wohnraum, egal ob für teure Eigentums- oder Ferienwohnungen“, betont eine Stadtteilaktivistin. Im Frühsommer soll mit einem Kiezspaziergang die Forderung nach dem Erhalt bezahlbarer Wohnungen in Kreuzberg bekräftigt werden. An eine im Stadtteil altbewährte Protestform wurde im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung erinnert. Der Vorschlag „Wir können ja auch wieder Häuser besetzten“ erhielt spontan Beifall, und die Adressen von leer stehenden Gebäuden im Kiez wurden umgehend genannt.
 

Weitere Infos:

Initiative "Wem gehört Kreuzberg?"
www.wemgehoertkreuzberg.de

Mietergemeinschaft Willibald-Alexis-Str. 34
www.willibald-alexis-strasse34.blogspot.com

Mietshäuser-Syndikat
www.syndikat.org


MieterEcho 347 / Mai 2011

Schlüsselbegriffe: Chamissokiez, Kreuzberg, Mieterhöhungen, Verdrängung, Arndtstraße 38, ALW-Immobilien GmbH, Katzbachstraße 17, Goldenzeil Immobilien GmbH, Willibald-Alexis-Straße 34, Wax34, Mietertreffen, Wem gehört Kreuzberg?, Ferienwohnungen, Touristen, Kiezspaziergang

Teaserspalte

Berliner MieterGemeinschaft e.V.
Möckernstraße 92
10963 Berlin

Tel.: 030 - 21 00 25 84
Fax: 030 - 216 85 15

Email: me(at)bmgev.de

Ferienwohnungen

Unsere Umfrage

Falls sich eine oder mehrere Ferienwohnung(en) in Ihrem Haus befinden, berichten Sie uns davon und schildern Sie Ihre Erfahrungen in unserer Online-Umfrage.