Rot-Rot taucht ab
Nach dem Volksentscheid müsste eine Debatte um die Rekommunalisierung der Wasserbetriebe vorangetrieben werden – doch die Landesregierung schweigt
Benedict Ugarte Chacón
Als der Berliner Wassertisch 2007 mit der Unterschriftensammlung für ein Volksbegehren zur Offenlegung der geheimen Teilprivatisierungsverträge der Berliner Wasserbetriebe begann, war das Thema Rekommunalisierung noch etwas für randständige Diskurse. Die Wasserbetriebe waren 1999 zu 49,9% an die privaten Unternehmen RWE und Vivendi (heute Veolia) verkauft worden. Das Vertragswerk enthält eine Renditegarantie für die Privaten. Von 2004 bis 2010 stiegen die Wasserpreise um über 30%. Zwar beteuerten SPD und Die Linke immer wieder, gegen Privatisierungen zu sein, unternahmen aber keine ernsthaften Anstrengungen, die Teilprivatisierung rückgängig zu machen. Jetzt steht eine Debatte über die Zukunft der Wasserbetriebe an, doch Rot-Rot hat offenbar nichts beizutragen.
Das über 666.000 Stimmen starke Votum des Volksentscheids zeigt, dass viele Berliner/innen dem Senat nicht über den Weg trauen, was die Verträge zu den Wasserbetrieben betrifft. Und das Misstrauen ist berechtigt. Denn man muss die Regierungsparteien vehement daran erinnern, dass sie bereits vor fünf Jahren hehre Versprechungen machten, wie mit den Wasserbetrieben umzugehen sei. Im Wahlprogramm der SPD heißt es: „Vielmehr prüfen wir Möglichkeiten, die Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe rückgängig zu machen.“ Und Die Linke versprach „nach strategischen Varianten für eine Rekommunalisierung der Berliner Wasserbetriebe“ suchen zu wollen. Geschehen ist seither nichts dergleichen, und entsprechend widerwillig ließen sich beide Parteien erst in jüngster Zeit überhaupt auf eine Diskussion über die Wasserbetriebe ein. Erst als der Erfolg des Volksbegehrens absehbar war und der Volksentscheid bevorstand, kam Bewegung in die Szenerie. In diesem Zusammenhang ist die Änderung des Informationsfreiheitsgesetzes (MieterEcho Nr. 341/Juli 2010) zu sehen, die zwar erst auf Druck des Wassertischs zustande kam, heute aber als Beweis für seine Fortschrittlichkeit vom rot-roten Senat angeführt wird. Beide Parteien unternahmen vorher nicht die Spur einer Anstrengung, das bis zum Volksentscheid geheime Vertragswerk anzugehen. Vielmehr betonten sie gebetsmühlenartig die schwerwiegenden Folgen einer Offenlegung. Die Unternehmen würden das Land verklagen, und überhaupt sei ein Vertrag nun mal ein Vertrag – daran müsse man sich halten. Als sich dann der Erfolg des Volksentscheids abzeichnete, war das alles plötzlich kein Problem mehr, und der Senat veröffentlichte die Verträge im Internet. Gerade weil sich Rot-Rot jahrelang gegen die Offenlegung sträubte und erst unter dem Druck nachgab, ist den neuen Rekommunalisierungsversprechungen mit Skepsis zu begegnen. Die im Hinterzimmer erfolgten, aber pressetauglich ausgeschlachteten Verhandlungen des Senats mit RWE über den Anteilsrückkauf sind aus diesem Grund eher als Wahlkampfgetöse abzutun. Denn einerseits verteidigt der Senat Geheimverhandlungen als „übliches Vorgehen“, andererseits posaunte Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) die angebliche Forderung von RWE über 800 Millionen Euro in die Welt. Diese Summe sei Berlin allerdings nicht bereit zu zahlen. Über dieses dürftige Ergebnis ist die Koalition bislang nicht hinausgekommen.
Rekommunalisierung ist mehr als Rückkauf
Wenn Rekommunalisierung nicht als bloßer Rückkauf verstanden werden soll, sondern als Gelegenheit, ein möglichst transparentes und bürgerfreundliches öffentliches Unternehmen zu schaffen, wäre ernsthaft über die Struktur eines solchen Unternehmens nachzudenken. Eine dementsprechende öffentliche Debatte anzustoßen, sollte man von vorgeblich linken Parteien erwarten können. Doch ist bisher nichts von den 2006 versprochenen Prüfungen und „strategischen Varianten“ zu vernehmen. Ähnlich wie bei der Frage nach der Offenlegung der Teilprivatisierungsverträge sind es auch hier wieder zivilgesellschaftliche Akteure, die Vorstellungen und Vorschläge präsentieren.
In Berlin ist es die Bürgerinitiative Wassertisch, die bislang am intensivsten über Alternativen zum Status quo diskutiert. Schon 2006 forderte der Wassertisch von der SPD und der Partei Die Linke, eine unabhängige Prüfung der Teilprivatisierungsverträge zu veranlassen sowie selbige im Internet zu veröffentlichen. Zudem mahnte er eine öffentliche Diskussion über verschiedene Varianten einer Rekommunalisierung an und sprach sich für eine „direktdemokratische Bürgerkontrolle der Wasserbetriebe“ aus. Rainer Heinrich, einer der Gründer des Wassertisches und Kenner der Berliner Wasserwirtschaft, erarbeitete bereits vor Jahren einen detaillierten Forderungskatalog. So sollen die Wasserbetriebe nach einer Rekommunalisierung keine Gewinne mehr ausschütten, um damit Löcher des Landeshaushalts zu stopfen. Vielmehr sollen die Wasser- und Abwassergebühren künftig nur noch zweckgebunden für wasserwirtschaftliche Zwecke verwendet werden. Zudem regte Heinrich an, Bürger/innen als Ombudsfrauen und -männer in die Gremien des Unternehmens einzubinden. In einem Tagungsbeitrag analysierte Heinrich unlängst den Teilprivatisierungsprozess und wies dabei auf zahlreiche Ungereimtheiten hin. So sei davon auszugehen, dass schon das Bieterverfahren fehlerhaft durchgeführt wurde und zahlreiche Interessenkollisionen und „korruptive Vorgänge“ auszumachen seien. Hinzu kommt für Heinrich, dass durch die Holdingkonstruktion des Unternehmens die notwendige demokratische Legitimation nicht gegeben sei. Diese sei aber unabdingbar, wenn, wie im Fall der Wasserbetriebe, staatliche Pflichtaufgaben übernommen werden. Aus diesen Gründen sieht Heinrich die Teilprivatisierungsverträge als ungültig an. Würde dies festgestellt, liefe es auf eine Rückabwicklung der Teilprivatisierung hinaus – ein wirklich alternatives Szenario zu einem Rückkauf der privaten Anteile. Dorothea Härlin, ebenfalls eine Gründerin des Wassertischs, fordert für die zukünftigen Wasserbetriebe eine starke demokratische Kontrolle, Transparenz und Partizipation. Der Senat müsse von einem rein betriebswirtschaftlichen Denken Abstand nehmen, weswegen die Frage der Rekommunalisierung nicht allein auf den Rückkaufpreis verkürzt werden dürfe. Für die künftigen Wasserbetriebe müssten Strukturen geschaffen werden, die eine Mitgestaltung der Wasserwirtschaft durch die Bürger/innen möglich machen.
Partizipativer Eigenbetrieb
Dass solche Vorstellungen nicht einfach als utopisch abgetan werden können, belegt die wissenschaftliche Fachdiskussion zur Gestaltung rekommunalisierter Betriebe. Carsten Herzberg von der Goethe-Universität Frankfurt am Main veröffentlichte vor einiger Zeit gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern ein Konzept für einen partizipativen Eigenbetrieb. Ein solcher Betrieb sei als Alternative zu Unternehmen zu sehen, die sich zwar im Eigentum der öffentlichen Hand befinden, aber in einer privaten Rechtsform wie einer AG oder einer GmbH organisiert sind. Für die Nutzer/-innen ergäben sich nach diesem Konzept umfangreiche Möglichkeiten der Mitbestimmung. So wäre es möglich, ihnen vollen Einblick in die Preiskalkulation zu geben. Bei strategischen Entscheidungen könnten sie per Votum mitbestimmen. Die Geschäftsführung würde über einen „Runden Werkstisch“, der sich aus Beschäftigten, Vertreter/innen der öffentlichen Hand, Nutzer/innen und gesellschaftlichen Gruppen aus dem Sozial-, Umweltschutz- oder Verbraucherschutzbereich zusammensetzt, wirtschaftlich kontrolliert.
Vorbild Paris
Den Beweis, dass mit etwas Mut und Kreativität ein öffentliches Unternehmen derartig strukturiert werden kann, liefert die Stadt Paris. Der Stadtrat beschloss Ende 2009 mit den Stimmen von Sozialisten, Grünen und Kommunisten, die Konzession für die privaten Betreiber Suez und Veolia nicht zu erneuern. Die Pariser Wasserversorgung liegt seit dem 1. Januar 2010 nach 25 Jahren wieder in öffentlicher Hand. Im Dialog mit Beschäftigten und Gewerkschaften gelang es, eine transparentere Struktur durchzusetzen und viele gesellschaftliche Akteure einzubeziehen. So wurde zum Beispiel mit dem Observatoire Parisien de l´Eau ein neuartiges partizipatives Beobachtungs- und Kontrollgremium geschaffen, das sich mit wichtigen Fragen rund um das Unternehmen befasst, darunter auch die Preispolitik. Eingebunden sind hier Verbraucher- und Umweltschutzverbände sowie Wissenschaftler/innen. An den Sitzungen beteiligen kann sich aber jede/r. Auch der erweiterte und neu strukturierte Verwaltungsrat des Unternehmens soll zur demokratischen Kontrolle beitragen.
Er umfasst neben Vertreter/innen aller Stadtratsfraktionen auch die Beschäftigten sowie ebenfalls Verbraucher- und Umweltschutzverbände.
Eine Rekommunalisierung, die sich nicht nur an Kostenstellen orientiert, sondern Transparenz und Mitbestimmung ins Auge fasst, ist also grundsätzlich möglich. Allerdings lässt die rot-rote Politik der letzten Jahre erhebliche Zweifel daran aufkommen, dass der politische Wille dafür in Berlin vorhanden ist.
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