Liberale madig gemacht
Nun ist es amtlich: „Mietnomaden“ sind eine Erfindung der Vermieterlobby und der FDP
Christian Linde
Seit Jahren verlangt eine Interessenkoalition aus Immobilienwirtschaft und Politik eine Verschärfung des Mietrechts. Begründet wird die Forderung u. a. mit einer wachsenden Zahl von Mieter/innen, die vorsätzlich Mietschulden angehäuft haben sollen. Die Verbände der Hausbesitzer klagen im Chor mit der FDP über angeblich 30.000 Fälle pro Jahr, bei denen „Mietnomaden“ Mietausfälle, Gerichts- und Räumungskosten verursachten. Ausgerechnet eine Studie im Auftrag der Bundesregierung hat nun die Mär von den „Mietnomaden“ entzaubert.
Der FDP bleibt zurzeit auch nichts erspart. Die Umfragewerte für die Partei befinden sich seit Wochen im Keller, aus den eigenen Reihen wird der Rücktritt des Vorsitzenden Guido Westerwelle gefordert, und nun erleidet die Partei auch noch bei einem ihrer innenpolitischen Lieblingsthemen, dem Mietrecht, einen peinlichen Rückschlag. Die Freidemokraten, die seit Jahren Front gegen sogenannte „Mietnomaden“ machen und auf eine Gesetzesverschärfung zugunsten der Vermieterlobby pochen, werden nun eines Besseren belehrt. Das Bundesjustizministerium und das Bundesministerium für Verkehr, Bauwesen, Städtebau und Raumordnung beauftragten die Forschungsstelle für Immobilienrecht der Universität Bielefeld mit einer Studie zum Thema Mietnomaden. Das zentrale Ergebnis der Studie mit dem Titel „Mieterschutz und Investitionsbereitschaft im Wohnungsbau – Mietausfälle durch sogenannte Mietnomaden“ lautet: Die behauptete Furcht von Vermietern, einen „Mietnomaden“ einzuquartieren, ist völlig unbegründet.
426 Fälle von „Mietnomadenfälle“ in den letzten Jahren
Als „Mietnomaden“ werden Personen bezeichnet, die von einer Mietwohnung in die nächste ziehen, mit dem Vorsatz, keine Miete zu zahlen. Da Vermieter- und Maklerverbände hierüber kein belastbares Material zur Verfügung stellen konnten, hatten die beiden Ministerien das wissenschaftliche Institut mit der Ermittlung entsprechender Zahlen beauftragt. Der Untersuchung zufolge hat es in den letzten fünf Jahren nachweislich lediglich 200 „Mietnomadenfälle“ in Deutschland gegeben. Dokumentiert sind in der Erhebung insgesamt 400 Vorgänge. Der älteste geht bis in das Jahr 1966 zurück. Neben der Auswertung von Aktenstücken wurden Vermieter befragt. Diese waren über verschiedene Medien aufgefordert worden, Informationen über ihren „Mietnomadenfall“ zur Verfügung zu stellen. Gespräche mit weiteren Personengruppen, etwa Gerichtsvollziehern, sowie Auskunfteien fanden ebenfalls statt. Im Rahmen der Interviews wurden die Vermieter auch befragt, wie sie „Mietnomaden“ vorbeugen. Insgesamt berichteten die Vermieter von rund 1.350 Fällen. Von diesen erwiesen sich laut Studie aber nur 426 als Fälle von „Mietnomadentum“ im Sinne der zugrunde gelegten Definition. So wurden nur Personen erfasst, „die in betrügerischer Absicht Mietverhältnisse begründen, keine Miete zahlen und die Wohnung (verwahrlost) zurücklassen oder sich herausklagen lassen. Nicht erfasst werden indessen solche Fälle, in denen Mieter/innen beispielsweise wegen Verlustes ihres Arbeitsplatzes mit den Mietzahlungen in Rückstand geraten.“
„Mietnomadentum werden wir wirksam begegnen“
Die 426 „Mietnomadenfälle“ verteilen sich auf mehrere Jahre. In den letzten Jahren wurde jeweils von ca. 50 Fällen berichtet. Weil Vermieter- und Maklerverbände von angeblich 15.000 bis 30.000 „Mietnomadenfällen“ pro Jahr sprachen, vereinbarten CDU/CSU und FDP schon eine entsprechende Gesetzesänderung. „Wir wollen das Mietrecht auf seine Ausgewogenheit hin überprüfen (...). Mietnomadentum (...) werden wir wirksam begegnen. Die Kündigungsfristen für Vermieter und Mieter sollen einheitlich sein. Mietrechtliche Ansprüche müssen auch wirksam vollstreckt werden können. Zweckgebundene staatliche Transferleistungen zu den Wohnkosten müssen auch tatsächlich den Vermieter erreichen“, heißt es im Koalitionsvertrag. Mit den von der Universität Bielefeld vorgelegten Zahlen hat die ins Feld geführte Begründung für die beabsichtigte Mietrechtsverschärfung endgültig ihre Grundlage verloren. Zumal ein weiteres Ergebnis aufhorchen lässt: Von den rechtlichen Möglichkeiten, die den Vermietern ohnehin bereits zur Verfügung stehen, machen der Studie zufolge die meisten keinen Gebrauch. Beispielsweise verzichten nach eigenen Angaben zwei Drittel der betroffenen privaten Vermieter vollständig darauf, vorvertraglich Informationen über die Mietinteressent/innen einzuholen.
MieterEcho Nr. 345 / Januar 2011
MieterEcho 345 / Januar 2011
Schlüsselbegriffe: Mietnomaden, FDP, Vermieterlobby, Immobilienwirtschaft, Verschärfung des Mietrechts, Forschungsstelle für Immobilienrecht, Universität Bielefeld, Mietausfälle, betrügerische Absicht