Keine hundert Tage Schonfrist
Der neue Senat ist in Sachen Mietenpolitik gefordert
Interview mit zwei Mieter/innen, die am mietenpolitischen Dossier mitgewirkt haben
Mit einem „mietenpolitischen Dossier“ wendet sich ein Bündnis von Mieter/innen an die Öffentlichkeit und an den neuen Berliner Senat. An dessen Reaktion soll sich zeigen, wie groß die Bereitschaft der neuen Koalition ist, sich ernsthaft mit der Wohnungs- und Mietenproblematik zu beschäftigen. Im folgenden Interview erläutern Mieter/innen* aus zwei der im Dossier vorgestellten Initiativen die Idee ihrer Publikation.
MieterEcho: Wie entstand das unter dem Titel „Ein Recht auf Stadt für alle“ im November 2011 erschienene Dossier?
Mieter/innen: Am Anfang stand die Frage, wie wir das Mietenthema auch über die Wahlen hinaus in der öffentlichen Diskussion halten können. Außerdem möchten wir mit unserem Papier erreichen, dass sich Mieter/innen auch als solche in die öffentliche Debatte einbringen. Die im Dossier dargestellten Beispiele aus verschiedenen Häusern und Kiezen zeigen Probleme auf, von denen sehr viele Mieter/innen betroffen sind.
Der frühere rot-rote Senat hat alles getan, um den Berliner Wohnungsmarkt derart zu gestalten, dass er den Verwertungsinteressen der Finanzbranche entspricht. Gleichzeitig stellte er sich gegenüber den Nöten der Mieter/innen konsequent taub. Glaubt oder hofft ihr, dass sich die Situation unter dem neuen Senat grundsätzlich ändert?
Die Hoffnung beruht weniger auf der Tatsache des Regierungswechsels als auf dem wachsenden Druck, der mit der Demonstration am 3. September und den vielfältigen und auch erfolgreichen Aktivitäten von Mieter/innen und Kiezinitiativen aufgebaut werden konnte. Das Dossier ist ein weiterer Baustein, um den Druck zu erhöhen. Angesichts der Erfahrungen ist allerdings auch Skepsis gegenüber der Berliner Politik angebracht.
Das Dossier enthält eine Menge Forderungen, die sich aus den verschiedenen Problemlagen in den Häusern und Kiezen ergeben. Welche darüber hinausgehenden Positionen vertretet ihr?
Die Herausgeber/innen des Dossiers bilden keine homogene Gruppe. Gemeinsam fordern wir aber „ein Recht auf Stadt für alle“, wie der Titel schon sagt. Als Problem sehen wir eine wachsende soziale Spaltung und Ausgrenzung und sind der Meinung, dass die Menschen selbst darüber bestimmen sollen, in was für einer Stadt sie leben wollen. Dabei geht es nicht nur darum, bezahlbar wohnen zu können, sondern die Vielfältigkeit der Stadt zu erhalten.
Ihr schlagt im Dossier einen „Mietengipfel aller Beteiligten“ vor. Wie soll ein solcher Gipfel aussehen und wer sollte sich daran beteiligen?
Der Vorschlag richtet sich in erster Linie an die vielen Initiativen und Interessenvertreter/innen der Mieterschaft. Der „Mietengipfel“ soll keine Expertenrunde werden, sondern zum Ausdruck bringen, dass es sich um ein höchst wichtiges Thema handelt, wobei sich die konkrete Umsetzung in einem Diskussionsprozess entwickeln muss. Ziel des Gipfels soll die Stärkung der öffentlichen Diskussion sein, in die die Politik einzubeziehen ist.
Das Dossier enthält die Aufforderung an den neuen Senat, binnen 100 Tagen zu den wohnungspolitischen Problemen Stellung zu beziehen und aktiv zu werden. Welche Aspekte müssten in einer solchen Stellungnahme enthalten sein, um von den Initiativen akzeptiert zu werden?
Wir verlangen von der Politik, sich mit allen einzelnen Aspekten und Problemen, die das Dossier beschreibt, auseinanderzusetzen, ohne dabei verschiedene Punkte oder gesellschaftliche Gruppen gegeneinander auszuspielen. Nach 100 Tagen sollten die wesentlichen Fragen, die das Dossier aufwirft, beantwortet und Lösungsansätze erarbeitet sein. Als vertrauensbildende Maßnahme schlagen wir zudem ein wohnungspolitisches Sofortprogramm vor, welches der neue Berliner Senat direkt und ohne Verzögerung umsetzen soll.
Das Interview führte Hermann Werle.
*Namen auf Wunsch der Interviewten nicht genannt.
MieterEcho 351 / Dezember 2011
Schlüsselbegriffe: mietenpolitisches Dossier, neue Koalition, Mietenproblematik, Berliner Wohnungsmarkt, Demonstration am 3. September, Mietengipfel, Mieterinitiativen, wohnungspolitische Probleme,