Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 350 / Oktober 2011

Keine Gespensterdebatte

Die Zweckentfremdung durch Ferienwohnungsnutzung nimmt weiter zu – Studie zeigt Umfang und Verteilung von Ferienwohnungen in Berlin

Laura Berner und Julian Wickert

Im vergangenen Sommer wurde intensiv über das zunehmende Angebot von Ferienwohnungen diskutiert. Durch die zahlreichen Zeitungsberichte über einen sprunghaften Anstieg der Zahl von Ferienwohnungen in Berlin wurden die mit dieser Form von Zweckentfremdung einhergehenden Probleme öffentlich. Über Art und Umfang der Ausbreitung von Ferienwohnungen war abseits von Vermutungen bislang allerdings wenig bekannt. Die Zahlen, mit denen in der öffentlichen Auseinandersetzung hantiert wird, stammen in aller Regel vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverbund (Dehoga), der mittlerweile von bis zu 15.000 Ferienwohnungen in ganz Berlin ausgeht. Das diesen Zahlen zugrunde liegende Gutachten stammt jedoch aus dem Jahr 2007. Um gesicherte Kenntnisse sowohl zu Typ und Gesamtzahl der in Berlin angebotenen Ferienwohnungen als auch über ihre Verteilung auf das Stadtgebiet zu erlangen, hat die Berliner MieterGemeinschaft umfassend recherchiert.

 

 

Die Studie der Berliner MieterGemeinschaft hat ergeben, dass in Berlin gegenwärtig ca. 12.000 Ferienwohnungen angeboten werden. Das Angebot reicht von günstigen, einfach ausgestatteten Wohnungen über schicke Altbauwohnungen in den Szenebezirken bis zu hochpreisigen Apartments im Zentrum.    Foto: Laura Berner

 

Vorgehen

Während der Studie wurden über einen Zeitraum von 8 Wochen vor allem die im Internet angebotenen Ferienwohnungen untersucht. Dazu wurden in einem zweistufigen Verfahren sämtliche Wohnungen der drei größten Ferienwohnungsportale erfasst, um anschließend das Angebot der anderen größeren Portale – darunter auch der senatseigene Internetauftritt „Visit Berlin“ – hinzuzuzählen. Durch weitere Untersuchungen wurden Mehrfacherfassungen von Wohnungen, die auf verschiedenen Portalen vermarktet werden, ausgeschlossen. So lassen sich ca. 8.500 Ferienwohnungen in Berlin ermitteln. Da aber die Ferienwohnungsanbieter immer stärker auf den Markt der Reisebüros drängen und darüber hinaus ihre Wohnungen unter anderem über soziale Netzwerke wie Facebook vermieten, gibt es einen nicht über die Portale erfassbaren Graubereich. Mithilfe von Stichproben auf Grundlage der Ergebnisse der Online-Umfrage der Berliner MieterGemeinschaft wurde die Zahl daher auf insgesamt 12.000 Wohnungen nach oben korrigiert.



Die Wohnungen

Dieses Angebot von 12.000 Apartments deckt die ganze Bandbreite von eher günstigen, spartanisch ausgestatteten Wohnungen am Stadtrand über schick hergerichtete Altbauwohnungen in Trendbezirken bis zu hochklassigen Apartments in der historischen Mitte Berlins ab.



 


Drei Viertel der im Internet angebotenen Ferienwohnungen sind 1- oder 2-Zimmer-Wohnungen und mehr als die Hälfte der Apartments ist kleiner als 60 qm. Durchschnittlich sind die Ferienwohnungen mit über vier Betten ausgestattet, sodass auch in kleinen Wohnungen viele Touristen Platz finden. In Berlin stehen demnach insgesamt rund 50.000 Übernachtungsmöglichkeiten in Ferienwohnungen zur Verfügung.


Zahl der Ferienwohnungen pro Lebensweltlich Orientiertem Raum (LOR) Creative-Commons-Lizenz der Grafik: CC-BY-SA (Kartengrundlage: Open Street Map; Daten: MieterEcho)

LOR

Die „Lebensweltlich orientierten Räume“ (LOR) wurden 2006 vom Senat als neue räumliche Grundlage für Planung, Prognose und Beobachtung demografischer und sozialer Entwicklungen in Berlin festgelegt. So sollten statistische Einheiten geschaffen werden, die beispielsweise bezüglich der Baustruktur, der Milieubildung und der Einwohnerzahl vergleichbar sind. Die großen Verkehrstraßen bilden in den LOR nicht wie im vorherigen Planungsverständnis den Mittelpunkt, sondern die Begrenzung der Gebiete. Dadurch werden die Berliner Kieze realistischer abgebildet und sozialräumliche Untersuchungen sind auf dieser Grundlage aussagekräftiger.



Verteilung auf das Stadtgebiet

Die größte Häufung von Ferienwohnungen tritt bezogen auf Lebensweltlich Orientierte Räume (LOR) im Bezirk Mitte auf (siehe Karte Seite 5). Am dichtesten konzentriert sind die Apartments im Gebiet Invalidenstraße. Gefolgt wird dieses bereits seit Jahren touristisch voll erschlossene Areal von nahe gelegenen Gebieten in Mitte und Prenzlauer Berg. Aber auch einige LOR in Friedrichshain-Kreuzberg sind Ballungsräume von Touristenwohnungen und rangieren direkt hinter der „City West“. Die Verteilung von Ferienapartments orientiert sich damit an der Tourismusentwicklung. Sie konzentrieren sich entweder in Gebieten, die bereits seit langer Zeit touristisch geprägt sind, oder dort, wo in den letzten Jahren die „Touristifizierung“ zunahm, also das Interesse der Tourismuswirtschaft eingesetzt hat. Die zuletzt in den Fokus von Touristen gerückten Stadtteile strahlen (noch) ein subkulturelles Image aus, welches insbesondere Reisende, die sich selbst nicht als konventionelle Touristen empfinden, anzieht.

 



Auffällig ist außerdem, dass Ferienwohnungen vor allem dort angeboten werden, wo der Wohnungsmarkt bereits seit langer Zeit verengt ist und hohe Mieten verlangt werden, und in Gebieten, in denen erst vor Kurzem eine Anspannung des Wohnungsmarkts eingesetzt hat.


Ausblick

Mit der Studie der Berliner MieterGemeinschaft liegen erstmals belastbare Zahlen zum Istzustand von Art und Umfang der in Berlin angebotenen Ferienwohnungen vor. Allerdings sind während der achtwöchigen Laufzeit der Studie beim größten Onlineportal  mehr als 70 neue Inserate hinzugekommen. Zudem gibt es aus der qualitativen Umfrage zahlreiche Hinweise zu laufenden Umnutzungsprozessen in Häusern, in denen bereits Ferienwohnungen vermietet werden. Es ist daher davon auszugehen, dass sich das Angebot an Ferienwohnungen auch in Zukunft erweitern wird, wenn dem nicht durch juristische Mittel entgegen gewirkt wird.



Betroffenen-Kommentare aus der Online-Umfrage

Seit Juni 2011 gibt es die Online-Umfrage der Berliner MieterGemeinschaft zu Ferienwohnungen. Viele Betroffene haben bereits Auskünfte und Erfahrungsberichte zu Ferienwohnungen in ihrem Haus oder in ihrer direkten Nachbarschaft gegeben. Dafür möchten wir uns an dieser Stelle ganz herzlich bedanken. Die Erfahrungsberichte beschreiben deutlich, wie Berliner Mieter/innen die Folgen des Ferienwohnungsbooms wahrnehmen. Die Erfahrungen sind zu 95% negativ. Einen Teil der in der Umfrage eingegangenen Kommentare geben wir nachfolgend – natürlich anonym – wieder. Die Berliner MieterGemeinschaft freut sich auch zukünftig über eingehende Beiträge in der Online-Umfrage unter www.bmgev.de/ferienwohnungen.
 

Vermehrte Fluktuation und dadurch nicht mehr das Gefühl eines Wohngebäudes. Der Hof ist sehr hellhörig, was die meisten Ferienwohnungsgäste während ihres Aufenthalts nicht realisieren - der Lärmpegel steigt unregelmäßig an. Es ist eben kein Wohnen, sondern es sind wechselnde Leute im Kurzurlaub, und das wirkt sich auch auf die noch verbliebenen Wohnungen beziehungsweise Nachbarn aus.

 

Ständig lautes Türenschlagen, gerade nachts. Schon tagsüber schwer betrunkene Personen. Massig Zigarettenreste auf den Hof, der auch als Spielplatz genutzt wird. Lärm vom Balkon der Ferienwohnung auch mittags und nachts. Klingelanlage ist besser ständig ausgestellt, weil sonst immer wieder zu hören ist: „Can you open the door, please?“
 

Wir haben sehr gute Erfahrungen gemacht. Im Gegensatz zu den sonstigen Mietern des Hauses sind die Ferienwohnungsmieter freundlich und zugänglich. Sie freuen sich über Tipps und Anregungen, wir freuen uns über einen netten Plausch, oft beim Kaffee. Es wäre schön, wenn es mehr solcher Ferienwohnungen im Haus geben würde.
 

Die Ferienwohnungen erlauben keinerlei Nachbarschaftsgefühl. Im Haus sind ca. 40 Wohnungen, von denen schätzungsweise ca. 30 als Ferienwohnungen genutzt werden. Im alltäglichen Leben sind kaum Auswirkungen zu spüren. Probleme gibt es lediglich mit sehr deutschlandspezifischen Angelegenheiten, wie zum Beispiel der Mülltrennung: Kennen und können einige Touristen einfach nicht.
 


MieterEcho 350 / Oktober 2011

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Fax: 030 - 216 85 15

Email: me(at)bmgev.de

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