Kein Denkmal für Wowereit
Mit einer Kunstausstellung versucht Klaus Wowereit Wahlkampf und Stadtentwicklung zu verbinden – die Kunstszene fühlt sich instrumentalisiert
Philipp Mattern
Es sollte eine „Leistungsschau junger Kunst“ werden. Stattfindend im sommerlichen Wahlkampf. Initiiert von Kunstfreund Klaus Wowereit. Platziert im tristen Areal des Humboldthafens, welchem ein aufpoliertes Image gut täte. Ein ehrgeiziges Vorhaben, das in Form einer ständigen Kunsthalle gar zu einem Denkmal für den vermutlich scheidenden Bürgermeister hätte werden können. Doch statt mit Beifall antwortete die Kunstszene mit ungewöhnlich großem Unmut. Auch vom Standort am Humboldthafen musste man abrücken. Und statt der erhofften Debatten über kulturpolitische Prestigeprojekte ist eine Diskussion über kommunale Kunstförderung und die Verantwortung der Kulturpolitik für die Lebensbedingungen von Künstler/innen entstanden. Zu offensichtlich waren Kalkül und Interesse bei dieser Mischung aus persönlicher und stadtpolitischer Imagekampagne.
Begonnen haben die Pläne für Wowereits Sommermärchen mit einem Rückschlag: Sein viele Jahre gehegter Plan einer 30 Millionen Euro teuren Kunsthalle wurde in den Verhandlungen des Doppelhaushalts 2010/11 unter Beteiligung der eigenen Fraktion auf Eis gelegt. Stattdessen einigte man sich auf die Bereitstellung von 600.000 Euro für die Planung einer mobilen Kunstschau am Humboldthafen. Dieser verhältnismäßig geringe Betrag wurde Ende letzten Jahres um eine weitere Million aus Mitteln der Lottostiftung aufgestockt. Die Bewilligung war nicht unumstritten. Oppositionspolitiker witterten Vorteilsnahme, da Wowereit selbst Vorsitzender des Stiftungsrats ist. Natürlich habe er nicht einfach in die Kasse gelangt, es sei alles mit rechten Dingen zugegangen, aber dass der Beirat schwerlich ein Projekt ablehne, hinter dem der eigene Vorsitzende stehe, liege in der Natur der Sache.
Leistungsschau statt Kunsthalle
Auf dieser finanziellen Grundlage wurde die landeseigene Kulturprojekte Berlin GmbH mit der Erarbeitung einer „Leistungsschau junger Kunst“ beauftragt. Im Winter rief sie junge bildende Künstler/innen, deren Lebens- und Arbeitsschwerpunkt sich in Berlin befindet, dazu auf, Portfolios einzureichen. Aus den besten der über 1.000 eingereichten Arbeiten sollte ein flink zusammengestelltes Kuratorium eine Bestandsaufnahme der Berliner Gegenwartskunst zimmern. Das Ganze in Rekordzeit, denn die Ausstellung sollte bis zum Sommer stehen. Wegen des Wahlkampfs. Und gerade für Wowereit stellt sich die Frage, womit er den bestreiten soll – außer mit seinem Image, dass er irgendwie ganz viel von Berlin verkörpert. Ebenso wie die jungen Künstler/innen, die er so schwungvoll in Szene zu setzen verspricht – beziehungsweise dazu benutzt, dasselbe mit sich zu tun.
„Haben und Brauchen“
Ein Sonderfall ist Wowereits Unterfangen insofern, als dass er den geballten Unmut einer sonst nicht für kollektive Artikulation bekannten Kunstszene auf sich gezogen hat. Die antwortete ihm mit einem offenen Protestbrief, der rund 2.500 Unterzeichner/innen fand. „Haben und Brauchen“ lautet der Titel. Angeprangert werden darin nicht nur die Unausgereiftheit und das fehlende inhaltliche Konzept der Kunstschau, sondern auch die offensichtliche Instrumentalisierung von Kultur für stadtpolitische und wahlkampftaktische Ziele. „Die internationale Anziehungskraft der zeitgenössischen Kunst trägt maßgeblich zur Attraktivität Berlins bei. Doch vom damit verbundenen Profit und Imagegewinn für die Stadt fließt wenig zu den Akteuren zurück, im Gegenteil: Die realen Arbeits- und Lebensbedingungen Berliner Kulturproduzent/innen verschlechtern sich zusehends durch steigende Mieten und den Verlust selbstorganisierter Freiräume“, heißt es in der Künstlerpetition. Kritisch gesehen wird auch die „neoliberale Rhetorik von Effizienz und Leistungsfähigkeit“, derer sich der Aufruf bedient.
Die angesprochenen Probleme sind weder neu noch unbekannt. „Die Leistungsschau ist symbolisch für die Unverhältnismäßigkeit zwischen der Lebensrealität vieler Künstler/innen und dem kreativen Image, das sich die Stadt gibt und das hier instrumentalisiert wird“, meint Florian Wüst, einer der Initiatoren des Protestschreibens. Die große Resonanz des offenen Briefs erklärt er mit dem spektakulären Charakter der geplanten Schau. Das habe viele wachgerüttelt, die sich sonst nicht so schnell zu Wort melden.
Tatsächlich ist die Schau symptomatisch für eine Politik, die an den Interessen der Bevölkerung vorbeigeht und die Potenziale, die diese Stadt bietet, für private Interessen abschöpft. Öffentliche Mitbestimmung und Teilhabe finden nicht statt. Das kennt man aus vielen Bereichen, sei es die öffentliche Infrastruktur oder der Wohnungsmarkt. In diesem Fall ist es das kreative Potenzial Berliner Kulturschaffender. Richtig makaber wird es, wenn der Allgemeinheit der Verlust noch als Gewinn verkauft wird, der „der Stadt“ – also irgendwie „uns allen“ – zugute komme. Was bei genauerem Hinsehen natürlich nicht der Fall ist. Künstler dürfen sich über die imaginäre Teilhabe am Kunstbetrieb der Kulturmetropole erfreuen. Genervten Mietern erklärt man, dass Touristenströme richtig toll seien, weil es zeige, dass man in einer total attraktiven Stadt lebt.
„Immobilienspekulation am Humboldthafen“
Die Wahl des Orts fiel nicht zufällig ursprünglich auf den Humboldthafen. Seit Längerem wird in Senatskonzepten der strategische Einsatz von Kulturbauten als „Flaggschiffen“ bei der Verwirklichung von Großprojekten der Stadtentwicklung diskutiert. Das Gebiet zwischen Heidestraße und Hauptbahnhof ist solch ein Projekt, das aufgrund seiner zentralen Lage ein großes Potenzial verspricht, aber bisher nicht wirklich in Gang kommt. Seit Jahren wird vergebens versucht, das Brachgelände zu „entwickeln“, sprich für Investoren attraktiv zu machen (MieterEcho Nr. 336/Oktober 2009). Der gescheiterte Kunsthallenversuch Wowereits kann als weiterer Anlauf gesehen werden, aus der trostlosen Gegend einen „kulturellen Leuchtturm“ zu machen. Für das Abrücken vom Standort am Humboldthafen musste in der offiziellen Begründung übrigens die baufällige Uferböschung herhalten, die nicht zeitnah repariert werden könne.
„Based in Berlin“
Die durch den offenen Brief angeregte Debatte zeigt derweil Wirkung. Die Kunstschau nennt sich nun weniger umfassend „Based in Berlin“. Auch die Ansprüche an Format und Ort der Veranstaltung wurden heruntergefahren: Statt in einer Bierzeltlandschaft am Humboldthafen soll die Ausstellung nun vom 8. bis 24. Juli 2011 in einer Atelierbaracke am Monbijoupark und einigen dezentralen Orten stattfinden. Umstritten bleibt sie weiterhin. So sei die Auswahl der lediglich rund 80 Künstler/innen alles andere als transparent und fair gewesen, und auch die Regelungen der Ausstellungshonorare seien unklar, kritisiert der Berufsverband Bildender Künstler Berlin (bbk). Der Interessenverband der Kunstschaffenden stand dem Konzept von vornherein skeptisch gegenüber. Eine einmalige Ausstellung bringe die notwendige Auseinandersetzung mit der sozialen Lage der Kulturschaffenden nicht voran. Dass die Debatte über die zukünftige Orientierung und Verantwortung der Kulturpolitik an Fahrt gewonnen hat, ist eine große – wenn auch nicht intendierte – Leistung Wowereits, die ihn den Wahlkampf über sicher begleiten wird. „Die Kunsthalle als innovationsloses Prestige-Projekt, als Immobilienspekulation am Humboldthafen ist tot. Lebendig ist die Diskussion darüber, wie die Infrastruktur der Bildenden Kunst in Berlin nachhaltig verbessert werden kann“, resümiert der bbk. So hat sich das Wowereit sicher nicht vorgestellt.
Weitere Infos:
www.habenundbrauchen.kuenstler-petition.de
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MieterEcho 347 / Mai 2011
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