Erobert Luxemburg Berlin?
Warum aus einer Aktiengesellschaft eine Société Anonyme wird
Joachim Oellerich
Die große Zahl der Immobilieninvestoren mit luxemburgischer Firmenbezeichnung lässt den Eindruck entstehen, Berlin würde von diesem kleinen Land gänzlich aufgekauft. Eine Vermutung, die zwar angesichts der Privatisierungsfreude des rot-roten Senats plausibel ist, aber dennoch nicht stimmt.
Im MieterEcho wird seit Jahren darauf hingewiesen, dass die neuen Hauseigentümer nicht aus der Wohnungswirtschaft, sondern aus der Finanzwirtschaft kommen. Wohnungen verlieren daher gänzlich ihren Charakter als Gebrauchswerte, und sie dienen nur noch als Quelle für den Cashflow und als Sicherheiten für Transaktionen auf dem Finanzmarkt.
Der Cashflow, die liquiden Mittel aus der Geschäftstätigkeit der Wohnungsunternehmen, speist sich aus den Mieten und wurde bislang mit ca. 5% eingeschätzt. Er dürfte sich aber dank der Mietsteigerungen inzwischen erhöht haben. Er ist vergleichbar mit den Zinsen festverzinslicher Wertpapiere. Doch er hat noch eine andere Funktion: Er ist nicht nur ein dem Kapitalanleger zufließender Ertrag, er kann, gewissermaßen um 180 Grad gedreht, das Kapital erst entstehen lassen. Die Logik ist dabei folgende: Wenn ein Anteil einer dreiprozentigen Anleihe von beispielsweise 100 Euro 3 Euro Zinsen erbringt, kann eine feste und solide Einnahme von 3 Euro auch umgekehrt in eine Verschuldung von 100 Euro umgewandelt werden.
Warum nicht? Schließlich entspricht das der Theorie über die Grundrente, die von vielen Ökonomen, darunter auch von Karl Marx, dargestellt wurde.
Verbriefung der Hypotheken
Damit die Sache aber ein einigermaßen festes Fundament bekommt, bedarf sie einer Sicherheit. Und dazu dienen die Wohnungen. Aus Wohnungen werden Hypotheken und zusammen mit dem ständigen Strom der Mieten verwandeln sie sich in Schuldverschreibungen, den sogenannten Mortgage Backed Securities (MBS)*, die sich auf dem Finanzmarkt handeln lassen. Den besonderen Kniff, in Form der Mieten eine ständige Einnahmequelle zu erschließen, die üppiger sprudelt als der Abfluss an Zinsen für die MBS, beherrschen die Immobilieninvestoren brillant.
Die praktische Abwicklung dieser Verbriefung genannten Transaktion übernimmt eine eigens zu diesem Zweck gegründete Gesellschaft (SPV: Special Purpose Vehicle). Sie bezieht von dem Immobilieninvestor die Sicherheiten, veranlasst das Rating, das heißt eine Bewertung durch eine Agentur, und lanciert die Papiere auf den Finanzmarkt.
Tor zum Finanzmarkt
Weil die gesamte Operation nicht im transnationalen und daher gesetzesfreien Raum stattfindet, ist sie an die Regelungen des Landes gebunden, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat, die durch den Erwerb der Immobilien das Zauberkunststück in Gang setzt. Von Land zu Land zeigen sich feine, aber sehr bedeutsame Unterschiede. Und weil für alle Immobilienkäufer, die an der Verbriefung interessiert sind, die günstigsten Bedingungen interessant sind, errichten sie in dem Land, das solche bietet, ihren Firmensitz. Gleichgültig, welchen Ursprungs das Kapital ist und bezüglich der Gewinnverteilung auch bleibt, von Luxemburg aus lässt sich am reibungslosesten der Finanzmarkt erobern. Und deshalb wird zum Beispiel aus einer von der deutschen Angestelltengewerkschaft gegründeten Gagfah AG nach ihrem Verkauf an die amerikanischen Investoren von Fortress das luxemburgische Unternehmen Gagfah S.A. (MieterEcho 342/August 2010). Aus Luxemburg ist dabei aber nur die Bezeichnung „Société Anonyme“.
*Mortgage Backed Securities = dt.: hypothekengesicherte Wertpapiere
Weitere Infos:
Zu Luxemburger Investoren in der Lehrter Straße siehe auch MieterEcho Nr. 346/März 2011.
MieterEcho 349 / September 2011
MieterEcho 349 /
Schlüsselbegriffe: Luxemburg, Aktiengesellschaft, Société Anonyme, Wohnungswirtschaft, Finanzwirtschaft, Cashflow, Kapitalanleger, Grundrente, Hypotheken, Mortgage Backed Securities, Immobilieninvestoren, SPV, Gagfah AG