Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 351 / Dezember 2011

Dorn im Auge

Die SPD in Treptow-Köpenick macht Front gegen eine Mieterinitiative

Christian Linde

Stadtteilinitiativen haben wesentlich zur Repolitisierung der Wohnungsfrage im rot-rot regierten Berlin beigetragen. Zu ihnen gehört „Karla Pappel“, die „Initiative gegen Mietpreiserhöhungen und Verdrängung Alt-Treptow“. Seit drei Jahren leistet die Initiative Aufklärungsarbeit, veranstaltet Mieterversammlungen und beteiligt sich an der stadtweiten Vernetzung von Stadtteil- und Mieterinitiativen. Im Zuge des Wahlkampfs geriet Karla Pappel ins Visier der selbsternannten Mieterpartei SPD. Die Initiative reagierte gelassen und will ihre Arbeit fortsetzen.

 

Vor allem eine Frage bereitete den Parteien im zurückliegenden Berliner Wahlkampf Kopfzerbrechen: Wie wird sich die fatale Wohnungs- und Mietenpolitik der letzten zehn Jahre, die mit einer hemmungslosen Privatisierung städtischer Wohnungen einherging und zur Mietpreisexplosion sowohl im Bestand als auch bei Neuvermietungen führte, auf das Wahlverhalten auswirken? Nachdem zunächst noch von einem Koalitionswahlkampf der seit 2002 ununterbrochen amtierenden rot-roten Landesregierung ausgegangen werden konnte, gingen SPD und Die Linke mit dem Heranrücken des Urnengangs spürbar auf Distanz. Während Die Linke ihren mangelnden Einfluss auf das Regierungshandeln insbesondere in der Wohnungspolitik beklagte, kündigte ausgerechnet der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) im Fall seiner Wiederwahl ein wohnungspolitisches Umsteuern an. Obwohl Wowereit bis zuletzt den Wohnungsmarkt als „entspannt“ und Mietpreiserhöhungen als „normal“ sowie als Indikator für „wirtschaftlichen Aufschwung“ bezeichnete, buhlte er im Wahlkampf angesichts der medialen Aufmerksamkeit für die Sorgen der Mieter/innen mit der Ankündigung des Baus von 30.000 „preisgünstigen“ Wohnungen.

 

Aufwertung in Alt-Treptow

Besonders in den Innenstadtbereichen werden die Regierungsparteien seit einigen Jahren mit den Ergebnissen ihrer wohnungspolitischen Untätigkeit und den von ihnen durchgeführten Privatisierungen konfrontiert. Steigende Mieten, Gentrifizierung und Verdrängung sind in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Zahlreiche Stadtteil- und Mieterinitiativen haben sich gegründet, die in ihren Kiezen durch Aufklärungsarbeit und Informationsveranstaltungen die Bevölkerung sensibilisieren und wesentliche Impulse für Mieterproteste geben. Zu den Pionieren gehört die seit nunmehr drei Jahren existierende Initiative gegen Mietpreiserhöhungen und Verdrängung Alt-Treptow „Karla Pappel“, die Kiezspaziergänge, Mieterversammlungen und zusammen mit der Berliner MieterGemeinschaft eine Mieterberatungsstelle organisiert. „Wir haben uns im Herbst 2008 zusammengefunden, um die Fällung der zum Teil sechzig Jahre alten Pappeln in der Karl-Kunger-Straße und den damit verbundenen Bau von Eigentumswohnungen zu verhindern. Die Pappeln sind für uns zum Symbol für Verdrängung geworden. Seitdem kämpfen wir gegen die Verdrängung einkommensschwacher Bevölkerungsgruppen“, so die Initiative. Ausschlaggebend waren sogenannte Baugruppenprojekte im Kunger-Kiez, die nach Einschätzung von „Karla Pappel“ stellvertretend für die Begünstigung einer mittelschichtorientierten Stadtteilpolitik und die Benachteiligung von Menschen mit geringem Einkommen stehen. Die Initiative richtet sich auch gegen den Verkauf von Miethäusern an Finanzinvestoren, gegen die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen sowie gegen exorbitante Mietsteigerungen, die dazu führen, dass alteingesessene Mieter/innen aus ihren angestammten Wohnungen verdrängt werden.  „Die Gegend ist im Kommen“, bestätigte Andreas Habath vom Berliner Landesverband des Maklerverbands IVD im vergangenen Jahr gegenüber dem Tagesspiegel. Wem allerdings das gehobene Wohnen in Alt-Treptow vorbehalten bleibt, verdeutlichen Kaufpreise von über 2000 Euro/qm. Gleichzeitig dreht die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land im Kiez an der Preisschraube, anstatt einkommensschwache Haushalte mit preiswertem Wohnraum zu versorgen. So hatte das städtische Unternehmen im letzten Jahr mit Verweis auf den Mietspiegel Steigerungsraten von bis zu 20% der Nettokaltmiete geltend gemacht.

 

Attacken auf Initiative

Unmittelbar nach der von „Karla Pappel“ mitinitiierten Mieter-Demonstration, die am 3. September 2011 mit mehr als 6.000 Menschen unter dem Motto „Jetzt reicht's – gegen Mieterhöhung, Verdrängung und Armut!“ auch durch den Treptower Kunger-Kiez führte und knapp zwei Wochen vor den Wah-len den politischen Druck erhöhen sollte, geriet die Initiative ins Visier der Bezirks-SPD. Unter der Überschrift „Wer wohnen will, soll wohnen bleiben und dürfen“ machten die Treptower Sozialdemokraten Front gegen die Initiative: „Im Ortsteil Alt-Treptow wird ‚gehasst’. Junge Familien, die sich mit anderen den Traum von der eigenen Wohnung erfüllten, sogenannte Baugruppen, Menschen, die aus anderen Bezirken nach Alt-Treptow ziehen, Schwaben, die zu bürgerliche Kunger-Kiez-Initiative, die Kirchen, Jugendfreizeiteinrichtungen, natürlich auch die Cafés und Vertreter der SPD stehen im Fokus dieses Hasses.“ So heißt es, an die Adresse von „Karla Pappel“ gerichtet, in einem Beitrag auf der Website der Bezirks-SPD vom 5. September 2011. „Die Strategie vieler Menschen rund um diese Gruppe besteht darin, Menschen einzuschüchtern, sie mit körperlicher Gewalt zu bedrohen und Sachbeschädigung zu begehen“, behauptet die Partei. Obwohl Belege nicht geliefert werden, setzen die Autor/innen noch eins drauf: „Wir haben in Berlin und im Bezirk eine ‚Willkommenskultur’ und keine ‚Hasskultur’. Wir zeigen Solidarität mit den Menschen, die von extremistischen Gruppen bedroht werden. Wer Autos anzündet, Menschen bedroht, verlässt den demokratischen Konsens und verdient eine gesellschaftliche Verachtung. Im Mittelpunkt steht der Schutz der Bürger. Wir werden alle rechtsstaatlichen Mittel nutzen, um extremistische Gruppierungen zu zerstören!“ So lässt sich Tom Schreiber, direkt gewähltes Mitglied des Abgeordnetenhauses aus Treptow-Köpenick und verfassungsschutzpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, abschließend zitieren.

 

„Wir werden Alternativen aufzeigen“

Schützenhilfe in der Angelegenheit leistete das Springer-Anzeigenperiodikum Berliner Woche, das die SPD-Vorwürfe an prominenter Stelle  platzierte. Die mit 33 lokalen Ausgaben und 1,53 Millionen Exemplaren auflagen-stärkste kostenlose Wochenzeitung Berlins titelte vier Tage vor der Wahl in der Treptower Ausgabe mit der Schlagzeile „Hetze gegen Kiezbewohner – Baugruppen werden von Autonomen bedrängt und diffamiert“. Positive Auswirkungen auf das Wahlergebnis hatte der Versuch, die Initiative zu isolieren, übrigens nicht. Wie auf Landesebene mussten auch im Bezirk sowohl SPD (-2,8%) als auch Die Linke (-4,5%) Federn lassen. Wohl nicht zuletzt aufgrund ihrer Wohnungspolitik.Vergleichsweise gelassen reagierten die Leute von „Karla Pappel“ „Unsere Stadtteilinitiative ist eine bunte Mischung aus Menschen, die davon überzeugt ist, dass die derzeitige Entwicklung insgesamt für die ganze Stadt sehr negativ ist. Wir werden das immer wieder kritisieren und Alternativen aufzeigen.“ Anlass dafür dürfte es ausreichend geben. Denn was die SPD in Treptow-Köpenick, die mit Oliver Igel den Bezirksbürgermeister stellen wird, in ihrem Wahlkampfprogramm unter dem Titel „Treptow-Köpenick gemeinsam gestalten“ zum Thema Wohnen schrieb, deutet in die hinlänglich bekannte Richtung. „Die Wohnraumversorgung in Treptow-Köpenick ist gut, weitere neue Wohnungen werden als Lückenschluss bei bestehender Bebauung entstehen.“ Eine soziale Initiative wie „Karla Pappel“, die das für pure Heuchelei hält, wird mit allen Mitteln bekämpft oder, um es mit den Worten des Innenpolitikers Tom Schreiber zu sagen, „zerstört“.

 

Weitere Infos und Kontakt:

www.karlapappel.wordpress.com

 


MieterEcho 351 / Dezember 2011

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