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MieterEcho 345 / Januar 2011

„Auf Steuerparadies-Niveau“

Interview mit dem DGB-Vorstandsmitglied Claus Matecki

Claus Matecki ist beim DGB Bundesvorstand für die Bereiche Wirtschafts- und Steuerpolitik, Struktur- und Regionalpolitik, Tarifpolitik und Finanzen zuständig. Seit 2006 gehört er dem Geschäftsführenden Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes an.

Foto: DGB

MieterEcho (ME): In der öffentlichen Diskussion ist häufig von den nicht mehr finanzierbaren Kosten des Sozialstaats die Rede. Explodieren die Kosten tatsächlich?

Von einer Explosion kann keine Rede sein. Richtig ist aber, dass insbesondere in den Kommunen die Sozialausgaben gestiegen sind, zum Beispiel die Unterkunftskosten für Langzeitarbeitslose und für Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen, weil letztere wegen unwürdiger Armutslöhne trotz Arbeit auf ergänzende staatliche Leistungen angewiesen sind. Hier wäre die Einführung von existenzsichernden Mindestlöhnen die richtige Antwort und nicht Leistungskürzungen. Der Bund will nun den Ländern und Kommunen eine Pauschalierung der Unterkunftskosten ermöglichen. Das hätte dramatische Auswirkungen für die Betroffenen, denn Leistungskürzungen und einem Unterbietungswettbewerb der Kommunen würden so Tür und Tor geöffnet. Das wollen wir auf jeden Fall verhindern.
 

ME: Ein weiteres Argument für den angeblichen Sparzwang ist die demografische Entwicklung. Welche Perspektive entwirft der DGB zur Finanzierbarkeit einer immer älter werdenden Gesellschaft?

Wir haben konkrete Vorschläge für die sozialen Sicherungssysteme, beispielsweise die Bürgerversicherung. Es ist keineswegs so, dass die Sicherungssysteme nicht mehr finanzierbar wären. Allein die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenzen für Menschen mit höheren Einkommen würde die Finanzlage der Kranken- und Rentenkassen deutlich verbessern. Denn es kann nicht angehen, dass man mit steigendem Einkommen proportional immer weniger zum Gemeinwesen beiträgt.
 

ME: Kommen wir zu der Einnahmenseite des Staates – den Steuern. Haben wir es bei den Problemen der öffentlichen Haushalte nicht viel mehr mit einem Einnahmen- als mit einem Ausgabenproblem zu tun? Und sollte dem Argument der „leeren Haushaltskassen“ nicht die Forderung nach höheren Steuern entgegengesetzt werden?

Ein ganz klares doppeltes Ja. Allein durch die Steuersenkungsgesetze der letzten 10 Jahre sind dem Bund mittlerweile rund 300 Milliarden Euro an Steuereinnahmen weggebrochen. Sowohl die deutsche Steuer- als auch die Abgabenquote liegen im internationalen Vergleich im unteren Mittelfeld. Im Bereich der Kapitalertrags- und Vermögensbesteuerung hat Deutschland international mittlerweile den zweifelhaften Ruf einer Steueroase und heizt den Steuerunterbietungswettbewerb an. Der DGB hat konkrete und realistische Vorschläge gemacht, wie Bund, Länder und Kommunen ihre Einnahmen wieder deutlich steigern können. Dazu gehört eine Finanztransaktionssteuer, die allein in Deutschland jährlich mindestens 12 Milliarden Euro in die Kasse brächte. Der DGB fordert hierfür einen Steuersatz von 0,1%. Eine Finanztransaktionssteuer würde darüber hinaus durch die Eindämmung von schädlichen Finanzmarktspekulationen regulierend wirken. Eine Wiederbelebung der Vermögensteuer brächte 16 Milliarden Euro pro Jahr und eine gerechtere Erbschaftsteuer rund 6 Milliarden zusätzlich. Die Besteuerung von Kapitalerträgen nach persönlicher Leistungsfähigkeit schlüge ebenfalls mit plus 6 Milliarden Euro im Jahr zu Buche. Ein höherer Spitzensteuersatz von beispielsweise 50% für wirklich große Einkommen ab 70.000 Euro würde zusätzlich 8 Milliarden bringen, ein offensiverer Steuervollzug rund 22 Milliarden. Käme dann noch die Gemeindewirtschaftsteuer zugunsten der Kommunen und würden einige der unsinnigsten Steuerentlastungen für Hoteliers und Unternehmen zurückgenommen, hätten Bund, Länder und Kommunen rund 70 Milliarden Euro mehr im Jahr.
 

ME: Mit dem eingängigen Slogan „mehr Netto vom Brutto“ ist die FDP 2009 in den Wahlkampf gezogen. Gegen mehr Netto werden die Beschäftigten und ihre Gewerkschaften nichts einzuwenden haben – welche Position vertritt der DGB gegenüber dem Westerwelle-Dauerbrenner?

Mehr Netto vom Brutto gibt es ja schon seit Jahren – für diejenigen mit hohen Einkommen. Die Spitzensteuersätze wurden von 56 auf 42% gesenkt. Für Kapitalerträge werden nur noch pauschal 25% Steuern bezahlt. Das ist so ungefähr die Richtung, die der FDP auch weiter vorschwebt: Oben entlasten, unten belasten. Das ist mit uns nicht zu machen.
 

ME: Es heißt immer wieder, dass zu hohe Steuerbelastungen die Unternehmen ins Ausland treiben. Findet diese Steuerflucht tatsächlich statt oder hat sie vor den Steuerreformen 2001 und 2008 in bedeutsamem Umfang stattgefunden?

Nein, das hat sie nicht. Steuern sind nämlich nur ein Faktor unter vielen. Es ist in der wissenschaftlichen Literatur nahezu unbestritten, dass der Marktzugang, die Infrastruktur und das Ausbildungsniveau vor Ort die Standortwahl weit stärker beeinflussen. Allein wegen einer höheren Steuerbelastung wandert ein Betrieb nicht ins Ausland ab. Umso ärgerlicher ist es, wenn solche Drohungen immer wieder funktionieren. Fakt ist, dass deutsche wie ausländische Investoren den deutschen Wirtschaftsstandort positiv bewerten. Ein wichtiger Grund für den starken Wettbewerbsdruck in der Unternehmensbesteuerung besteht darin, dass multinational integrierte Unternehmen legal Steuerflucht mittels der Verlagerung von Buchgewinnen betreiben können. So können sie gleichzeitig von der guten Infrastruktur und anderen Standortvorteilen in den Hochsteuerländern profitieren sowie von den niedrigen Steuern andernorts. Wir sagen, dem muss Einhalt geboten werden. Die Unternehmenssteuern in Europa müssen harmonisiert werden. Und es muss dringend einen Mindeststeuersatz in der EU geben in Höhe von rund 30%. Nur so kann dem ruinösen Steuerwettbewerb in Europa etwas entgegengesetzt werden.
 

ME: Wie ist die Steuerbelastung für Unternehmen in Deutschland im globalen und im EU-weiten Vergleich einzuordnen? Ist Deutschland wirklich unattraktiv für die Unternehmen oder eher schon ein Steuerparadies?

Mit 15% Körperschaftsteuer liegt Deutschland sowohl im internationalen wie im europäischen Vergleich auf dem untersten Steuerparadies-Niveau. Rechnet man die kommunale Gewerbesteuer hinzu, bewegen wir uns mit rund 29% im Mittelfeld. Deutlich mehr Unternehmenssteuern erheben zum Beispiel die USA mit rund 40% und Japan, Malta, Frankreich und Kanada. Am unteren Ende der Skala finden sich Bulgarien und Zypern mit 10%, gefolgt von Irland mit 12,5%. Irland zeigt, wie der europäische Steuerwettbewerb funktioniert, denn Irland ist die Oase der Briefkastenfirmen, was dort einen Teil des Booms der vergangenen Jahre ausmachte. Für Irland hat sich das zulasten vieler anderer europäischer Länder gerechnet. Obwohl Irland die Unternehmenssteuern laufend senkte, stiegen die Einnahmen, „dank“ der wachsenden Zahl an Briefkastenfirmen.
 

ME: Gibt es spezifische Branchen, die aus steuerlichen oder anderen Gründen den Standort Deutschland eher meiden oder verlassen?

Es gibt Umfragedaten, die zeigen, dass bei der Wahl des Standorts für ein Finanzdienstleistungszentrum der Augenmerk auf steuerlichen Faktoren liegt. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn Steueroasen sind häufig auch gleichzeitig Regulierungsoasen. Und wie wir nicht erst seit der Finanzkrise wissen: Die Akteure auf den Finanzmärkten scheuen das Licht. Dahin müssen wir sie aber zerren. In diesem Sinne zerren wir auch an der Bundesregierung, leider aber immer noch mit zu geringem Erfolg.
 

ME: Die FDP sowie die Industrie- und Handelskammern fordern die Abschaffung der Gewerbesteuer und zum Ausgleich eine Umgestaltung der Umsatzsteuer. Welche Folgen hätte dieses Szenario für die finanziell klammen Kommunen?

Das Modell der Wirtschaftsverbände will die Wirtschaft aus der Verantwortung nehmen und die kommunalen Steuerausfälle in erster Linie auf die Bürger/innen und Arbeitnehmer/innen verlagern. Der DGB kritisiert, dass das Modell der Wirtschaftsverbände auch zu einer drastischen Umverteilung unter den Kommunen führen würde. „Schlafstädte“ im Umland würden profitieren, während die Kernstädte deutlich verlieren würden. Würde das Modell umgesetzt, stünden noch viel mehr Kommunen als heute am finanziellen Abgrund.
 

ME: Gegenüber den Vorstellungen der FDP schlägt der DGB den Ausbau der Gewerbesteuer zu einer Gemeindewirtschaftsteuer vor. Wie können wir uns dieses Modell vorstellen, und lässt sich die Höhe der Mehreinnahmen abschätzen?

Bei der Gemeindewirtschaftsteuer sollen auch die freien Berufe – Ärzte, Wirtschaftsprüfer, Anwälte etc. – in die Gewerbesteuer einbezogen werden. Das ist vernünftig, denn es ist einem Handwerker nicht zu vermitteln, warum eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft keinen Beitrag zum kommunalen Gemeinwesen leistet. Beide können diese Steuer im Übrigen wiederum bei ihrer Einkommensteuer geltend machen. Der DGB fordert zudem, dass ertragsunabhängige Bestandteile erheblich deutlicher in die Bemessungsgrundlage eingehen müssen. Nur so kann eine Gewinnverlagerung mindestens erschwert werden, und nur so können die kommunalen Finanzen auf dem dringend nötigen höheren Niveau verstetigt werden. Insgesamt führt die Gemeindewirtschaftsteuer zu rund 11,4 Milliarden Mehreinnahmen bei den Kommunen. Für den Gesamtstaat allerdings sind das nur 3,5 Milliarden mehr, denn – siehe oben – die Steuer wird von der Einkommensteuer wieder abgezogen. Es gibt also für die Selbstständigen keinen Grund zu jammern.
 

ME: Vielen Dank für das Gespräch.
 

Das Interview führte Hermann Werle.
 

MieterEcho Nr. 345 / Januar 2011


MieterEcho 345 / Januar 2011

Schlüsselbegriffe: Sozialstaat, Sozialausgaben, Sparzwang, Steuerparadies, Steuern, Haushaltskassen, Steuersenkungsgesetze, Steuerbelastung, Unternehmenssteuern, Körperschaftssteuer, Steuerwettbewerb, Gemeindewirtschaftssteuer