Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter

Verblüffende Erkenntnisse, bemerkenswerte Strategien

Leerstandskampagne in Hamburg

Tina Fritsche
 

Eine Mietwohnung ist in Hamburg kaum noch unter 10 Euro/qm nettokalt zu bekommen. Bei Wohnungsbesichtungen drängeln sich in den Treppenhäusern die Wohnungssuchenden, um sich in Poleposition zu bringen. Auch Gewerbemieten steigen in angesagten Vierteln in unerwartete Höhen. Nun, man könnte meinen, so ist das eben: Der Markt ist dicht, es gibt zu viele Suchende für zu wenige Wohnungen, und Hamburg als Stadtstaat hat eben nur begrenzt Platz. Aber stimmt das auch?  


Schon lange ist bekannt, dass etwa 1,2 Million qm Bürofläche in Hamburg nicht vermietet sind und dass Investoren trotz des Überangebots weiter auf den Neubau von Büroraum setzen. Neu ist die Erkenntnis, dass auch Wohnraum in sogenannten attraktiven Lagen leer steht. Beide Leerstandsmodelle haben System: Für Investoren ist es aufgrund steuerlicher Abschreibungsmöglichkeiten oft lohnender, ihren Besitz leer stehen zu lassen, als ihn zu vermieten. Und die Eigentümer von Miethäusern müssen in der Regel keine Strafe befürchten, wenn sie ihr Gebäude verfallen lassen, weil sie auf Entmietung, Abriss und Neubau spekulieren. Gegen das dominierende Renditestreben Einzelner und für eine gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung regt sich – zum ersten Mal seit den 80er Jahren – Widerstand in Gestalt des Netzwerks Recht auf Stadt. Nachdem der stetig wachsende Zusammenschluss von fast 30 stadtpolitischen Initiativen im Sommer 2009 vor allem die Privatisierung städtischer Gebäude und des öffentlichen Raums sowie den Mangel an sozialem Wohnungsbau skandalisiert hatte, wendet er sich nun vor allem dagegen, dass kalkulierter Leerstand nicht sanktioniert wird.
 

Wohnungseigentümer sollen vermieten

Über das dürftige und überteuerte Wohnungs- angebot in Hamburg regen sich viele auf. Die Demonstration „Leerstand zu Wohnraum“ am 23. Oktober (MieterEcho Nr. 344/Dezember 2010) zog mehr als 5.000 Menschen auf die Straße. Die Menge nahm bei ihrem Protestmarsch quer durch die Stadt einige Gebäude kurzfristig in Beschlag, forderte die Legalisierung von Besetzungen und versuchte am Ende, in den 11.000 qm großen und zu 70% leer stehenden Astraturm auf St. Pauli zu gelangen. Bereits eine Woche zuvor hatten Aktivist/innen einen nahezu leer stehenden Neubau im Schanzenviertel öffentlichkeitswirksam besetzt. Gleichzeitig veröffentlichte der Mieterverein Mieter helfen Mietern (MHM) Steckbriefe langfristig unvermieteter Wohnungen und zeigte – mit Bezug auf § 9 des Hamburger Wohnungsschutzgesetzes – den Leerstand bzw. die Zweckentfremdung von knapp 60 Wohnungen bei den zuständigen Behörden an. MHM schätzt, dass rund 1.000 Wohnungen in Hamburg über einen längeren Zeitraum hinweg leer stehen, darunter auch schmucke Stadtvillen und Altbauwohnungen in guter Lage. Für Mieteranwalt Marc Meyer ist das ein Skandal: „Viele Menschen suchen in Hamburg dringend eine Wohnung und die Stadt tut nichts, um diese Wohnungen schnell wieder einer Wohnnutzung zuzuführen.“ Dabei wäre es möglich, so Meyer, 200 bis 300 Wohnungen kurzfristig zu vermieten. MHM fordert nun Bußgeldverfahren, Belegungsrecht durch die Stadt, Zwischenvermietungspflicht und mehr Personal in den Wohnraumschutzabteilungen, um vermietungsunwillige Wohnungseigentümer in die Pflicht nehmen zu können.
 

Offiziell keine Wohnungsnot

Den Drang zum Eingreifen verspürt offenbar zumindest einer nicht: Michael Sachs, der Wohnungsbaukoordinator des Senats, ließ Anfang November verlauten, dass es keine Wohnungsnot in Hamburg gebe. An den Mieterhöhungen seien die jungen Leute schuld, die in die Szeneviertel ziehen wollten. Sachs ist seit Mai 2010 im Amt und unter anderem mit der „Steigerung der Wohnungsbauzahlen“ betraut. Angesichts seiner erstaunlichen Aussagen verwundert es kaum, dass das Netzwerk Recht auf Stadt nicht auf eine Regulierung des Wohnungsmarkts warten will. Um auf den ungenutzten Wohn- und Gewerberaum aufmerksam zu machen, werden nun Gebäude, Büros und Wohnungen verhüllt, markiert und bespielt. So ging am 1. Dezember nach dem Vorbild anderer Städte der Hamburger Leerstandsmelder online. Auf der Website können Einträge zu ungenutzten Wohnungen und Gebäuden vorgenommen und andere Einträge kommentiert werden. Ein Ausschnitt aus Google-Maps gibt einen Überblick über alle gemeldeten Leerstände. Bereits nach einer Woche waren weit mehr als 100 Objekte mit Foto und Adresse eingetragen.

Aber die Kritik am Leerstand bleibt nicht nur im virtuellen Raum: In einer spektakulären Aktion am 1. Dezember verhüllte ein vielköpfiges Baustellenteam der Gruppe Lux und Konsorten einen leer stehenden Gewerbehof in Altona mit weißen Planen. Das nach Art Christos verpackte Gebäude stellte das erste Türchen eines Hamburger Adventskalenders dar. Die Einladung zum Öffnen gibt es seitdem an 24 verschiedenen Orten zu entdecken.
 

Kampf um Gewerbe- und Freiflächen

„Arbeits- und Gewerberäume werden immer teurer und rarer“, kritisiert Lux und Konsorten. Immer mehr günstige Gewerbefläche werde in teuren Wohnraum umgewandelt. „Vom Autoschrauber bis zur Handwerkerin, vom Bildungsträger bis zur Bürogemeinschaft: Wir können und wollen die aktuellen Gewerbemieten nicht zahlen, und wir haben Bedarf an günstigen Flächen in Wohnortnähe.“ Die verwertungsorientierte Strukturveränderung in den Quartieren zeigt sich nicht nur im Mietspiegel, sondern auch darin, welcher Platz für (produzierendes) Kleingewerbe bleibt.

Um den Leerstand von Flächen geht es auch den Bauwagenbewohner/innen der Gruppe Zomia, die am 20. November 2010 südlich der Elbe, in Hamburg-Wilhelmsburg, auftauchte und seither einen Ort mit Bleiberecht sucht. Die fünf – bislang geduldeten – Wagenplätze Hamburgs sind voll und Alternativen wollen die Verantwortlichen in Wilhelmsburg nicht aufzeigen. „Das ist doch irre: Wohnungen stehen leer und Menschen leben auf der Straße. Und die Bauwagen dürfen nirgends bleiben, obwohl es doch den Platz dafür gibt“, meint Lena, eine 31-jährige Wagenbewohnerin.

Brachen und Leerstand in innerstädtischen Gebieten seien vor allem ein Problem der Investoren und Eigentümer, argumentieren die Politiker. Der Politik seien da die Hände gebunden. Umso erstaunlicher, dass die Stadt Hamburg die Kreativgesellschaft mbH gründete, die sich künftig unter anderem um die zeitlich befristete Nutzung von Immobilien kümmern soll. Unter dem Motto „Mach was aus deinem Luftschloss“ tritt die Agentur als Vermittlerin zwischen Vermietern und Suchenden auf und will noch in diesem Jahr mit einer eigenen Datenbank online gehen. Handwerksbetriebe und andere Kleingewerbetreibende werden bei der Agentur allerdings vergeblich nach zentral gelegenen Produktionsstätten fragen. Deren Zielgruppe sind „Akteure der Kreativwirtschaft“ wie Theaterleute, Designer/innen, Architekt/innen oder Dienstleister aus der Werbebranche, also diejenigen, die im Leitbild „Wachsende Stadt“ des Hamburger Senats einen Standortfaktor bilden. Die Strategie des Senats, Kreative als verschiebbare Werte im städtischen Monopoly einzusetzen, ist in der Kunst- und Kreativszene seit Jahren umstritten. Trotz des großen Bedarfs nach Flächen wächst der Unmut, mit der von vornherein befristeten Zwischennutzung leer stehender Flächen für die Aufwertung der Stadt und ihrer Quartiere instrumentalisiert zu werden.
 

Wohnungspolitik im Wahlkampf

Nach dem Bruch der schwarz-grünen Koalition und den für den 20. Februar anstehenden Neuwahlen in Hamburg steht nun die Frage im Raum, welchen Stellenwert die Themen soziale Stadtentwicklung, Wohnungsknappheit, Leerstandspolitik und Verdrängungsmechanismen im Wahlkampf haben werden. Es ist kaum damit zu rechnen, dass der nächste Senat, gleich welcher Couleur, das Leitbild von Hamburg als Unternehmen im internationalen Wettbewerb grundlegend ändern wird. Die Immobilienwirtschaft strebt die gewinnbringende Verwertung innerstädtischer Immobilien an, sozialer Wohnungsbau muss gegen die Interessen von Finanzpolitikern durchgesetzt werden, und staatliche Interventionen gegen spekulativ bedingten Leerstand dürften selten und halbherzig sein. Aber das Thema ist gesetzt: In Hamburg wissen nun viele, wie mit Leerstand Politik gemacht wird. Und Geld.
 

Weitere Infos:

Mieterverein Mieter helfen Mietern: www.mhm-hamburg.de

Leerstandsmelder: www.leerstandsmelder.de

Kreativgesellschaft mbH: www.kreativgesellschaft.org

 
MieterEcho Nr. 345 / Januar 2011


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