Das höchste Gebot zählt
Kritik an der Vermarktungsstrategie des Liegenschaftsfonds reißt nicht ab
Jutta Blume
Projekte mit sozialem Anspruch und nachbarschaftliche Initiativen bleiben bei der Verkaufspraxis des Berliner Liegenschaftsfonds regelmäßig außen vor. Darauf machte zuletzt die Projektgruppe Orphs mit der Besetzung einer ehemaligen Musikschule im Stadtteil Weißensee aufmerksam. Nach ihren Vorstellungen soll im Haus sowohl bezahlbarer Wohnraum als auch ein Kunst- und Aktionsraum für die Nachbarschaft entstehen.
Rund 30 Kaufinteressierte besichtigten Mitte Mai das Gebäude in der Falkenberger Straße 183, als eine Gruppe junger Leute Transparente entrollte und vor dem Haus ein Klavier aufstellte. Die Orphs, wie sich die Gruppe nennt, zog symbolisch in das leer stehende Gebäude ein. „Wir werden einen 6-stelligen Betrag bieten. Wir sind aber nicht bereit, diesen ins Unendliche zu erhöhen“, erklärten die Besetzer/innen. Sie fürchten, durch die Vergabepraxis des Liegenschaftsfonds ohnehin keine Chance zu haben. Die Orphs wollen das Haus nach dem Modell des Mietshäuser Syndikats kaufen (siehe Infokasten) und sind weder willens noch in der Lage, größere Summen auf den Tisch zu legen. Mit einem ähnlichen Konzept war eine Projektgruppe des Mietshäuser Syndikats schon im vergangenen Jahr in Weißensee gescheitert. Der Liegenschaftsfonds veräußerte ein ehemaliges Gefängnis an der Großen Seestraße. Zunächst erhielt die Projektgruppe den Zuschlag, wurde aber dann durch ein höheres Gebot ausgestochen. Ein weiteres Objekt bekam die Projektgruppe nicht angeboten, obwohl sich die Musikschule bereits im Portfolio des Liegenschaftsfonds befand.
Hausprojektgruppen auf Wohnraumsuche
In Berlin sind immer mehr Gruppen auf der Suche nach bezahlbaren Häusern, da sie eine Alternative zu den stetig steigenden Preisen auf dem Mietwohnungsmarkt suchen. Den teilweise im Mietshäuser Syndikat organisierten Hausprojektgruppen geht es nicht um die Bildung von Privateigentum, sondern darum, Häuser der marktwirtschaftlichen Verwertung zu entziehen. „Wir haben uns überlegt, was unser Beitrag zu Städtebau und Stadtentwicklung von unten sein könnte: Bezahlbare Mieten und öffentliche Flächen sind daher Teil unserer Wiederbelebungsidee. Persönliches Baugruppeneigentum liegt uns da eher fern“, erklärt Orphelia Klein, eine der Projektbeteiligten.
Verkauf nur an Meistbietenden
Der Liegenschaftsfonds möchte diesen Sommer den Verkauf abschließen. „Da sich der Steuerungsausschuss für das Bieterverfahren entschieden hat, haben Konzepte keinen Einfluss auf die Vergabe. Ausschlaggebend ist das Höchstgebot und die Bonität des Käufers“, erklärt Pressesprecherin Irina Dähne. Der Steuerungsausschuss, in dem Vertreter/innen der Senatsverwaltungen für Stadtentwicklung, Finanzen und Wirtschaft sowie des Bezirks vertreten sind, hat für dieses Objekt somit das übliche Bieterverfahren festgelegt. Dabei gäbe es andere Möglichkeiten, etwa eine Vergabe, die das Nutzungskonzept der potenziellen Käufer berücksichtigt. In der Regel werden die Immobilien in Berlin aber im Bieterverfahren verkauft. Weiterhin bestünde die Möglichkeit, dass der Bezirk Pankow die Immobilie vom Liegenschaftsfonds zurückfordert und selbst an einen sozialen Träger vermietet. Allerdings würde das den Bezirkshaushalt belasten. Neben dem Gebot der Orphs wurde ein Gebot des Humanistischen Verbands Deutschland (HVD) für die ehemalige Musikschule bekannt. „Solange es keine Entscheidung gibt, wollen wir keine Erwartungen in der Nachbarschaft wecken“, sagt Pressesprecher Thomas Hummitzsch auf die Frage nach dem Nutzungskonzept. Er verrät nur, dass es unter dem Arbeitstitel „Bildung im Quartier“ stünde. Die Orphs forderten den HVD auf, seine Ideen für die Nutzung der Musikschule offen zu legen und gemeinsam die Vergabepolitik des Liegenschaftsfonds zu kritisieren. Doch Hummitzsch möchte in die Kritik nicht einstimmen: „Es entzieht sich unserer Kenntnis, nach welchen Kriterien der Liegenschaftsfonds entscheidet.“ Dabei ist die Vergabepraxis des Liegenschaftsfonds zugunsten der Höchstbietenden kein Geheimnis. Die Orphs haben sich inzwischen als Modellprojekt beim neu ausgeschriebenen Programm „Jugend belebt Leerstand“ des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung beworben und hoffen, so politischen Druck auf den Berliner Liegenschaftsfonds ausüben zu können.
Mietshäuser Syndikat
Das Mietshäuser Syndikat ist eine bundesweite Organisation von Hausprojekten. Die Häuser gehören jeweils einer eigenen GmbH. Die einzelnen GmbHs sind nicht berechtigt, die Häuser ohne Zustimmung der Dachorganisation weiterzuverkaufen, in Einzeleigentum aufzuteilen oder Luxussanierungen durchzuführen. Solche Zustimmungen wurden bisher noch nicht erteilt. Die Bewohner/innen der einzelnen Hausprojekte wohnen zur Miete.
Weitere Infos :
www.orph.blogsport.eu
www.syndikat.org
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