Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter

Zwischen Restitution und Gegenwehr

Eine kurze Geschichte der Privatisierung des Wohnungsmarkts in Polen

Tomasz Konicz

 

Zehn Jahre – diese Gnadenfrist räumte das Parlament in Warschau, der Sejm, Polens Mieter/innen zu Beginn der Systemtransformation ein. Denn nachdem der größte Teil des polnischen Altbaubestands Anfang der 90er Jahre den ehemaligen Besitzern oder deren Nachkommen zugeschanzt wurde, protestierten die Mieter/innen des Landes. Bei kaum einer anderen sozialen Gruppe in Polen stieß die kapitalistische Systemtransformation auf solch massive Ablehnung und – zeitweise äußerst erfolgreiche – Gegenwehr wie bei den Mietern der in Privatbesitz übergehenden Immobilien. Daher beschloss der Sejm 1994, die strikte Mietpreisbindung, die es in der Volksrepublik Polen gegeben hatte, für weitere zehn Jahre beizubehalten.

 

Mit diesem Aufschub bei der Einführung der Marktgesetze im Wohnungssektor hoffte der Gesetzgeber, die unter Mieter/innen höchst unpopuläre Restitution des Altbaubestands zugunsten der Vorkriegsbesitzer zu legitimieren. Dennoch entflammten in den 90er Jahren heftige Auseinandersetzungen um das „Recht aufs Wohnen“ in Polen, die zur Bildung einer schlagkräftigen Mieterbewegung führten. Zum einen brachte die äußerst brutal vollzogene – und zumeist als „Schocktherapie“ bezeichnete – Transformation in Polen enorme soziale Verwerfungen mit sich. Die Arbeitslosenquote kletterte binnen weniger Jahre auf circa 20% und viele mittellose Menschen waren schlicht nicht in der Lage, Miete zu zahlen. Nahezu gleichzeitig mit der Verlängerung der Mietpreisbindung führte die damals regierende sozialdemokratische Vereinigung der Demokratischen Linken (SLD) auch eine umstrittene „Mietrechtsreform“ durch, die es erlaubte, säumige Mieter direkt „auf den Bürgersteig“ hinaus zu werfen, die sogenannte Eksmisja na bruk. Mehrere tausend polnische Familien landeten infolge dieser rabiaten Zwangsräumungen in der Obdachlosigkeit.
 

Widerstand gegen Zwangsräumungen

Ausgehend von sporadischen Widerstandsaktionen einzelner Mieter/innen oder auch ganzer Wohnblocks organisierte sich gegen diese Räumungskampagne der Hauseigentümer schnell eine Oppositionsbewegung. Eine prominente Rolle spielte hierbei der Rechtsanwalt Piotr Ikonowicz, der damals als Abgeordneter der Polnischen Sozialistischen Partei (PPS) auch im Sejm vertreten war (siehe Interview mit Ikonowicz). Ikonowicz vertrat die säumigen Mieter/innen unentgeltlich vor Gericht und war an den sogenannten Räumungsblockaden beteiligt, bei denen die Mieter/innen gemeinsam mit Aktivist/innen die Räumung durch passiven Widerstand zu verhindern suchten, und die schnell zu einer massenhaften Erscheinung wurden. Neben der PPS waren an dieser schnell wachsenden Bewegung auch Aktivisten der Union der Arbeit (Unia Pracy), trotzkistische Gruppierungen und Organisationen aus dem libertären Spektrum, wie die Federacja Anarchistyczna (FA) und die Linke Alternative (LA), beteiligt.

Diese kraftvolle Kampagne führte schließlich 2001 zum Erfolg, als das polnische Verfassungsgericht die brutalen Zwangsräumungen für illegal erklärte. Nach den derzeitigen Regelungen dürfen Mieter/innen nur dann zwangsgeräumt werden, wenn ihnen eine kommunale Ersatzunterkunft angeboten weren kann. Durch diese Gesetzesänderungen ist die Zahl der Zwangsräumungen tatsächlich rapide gesunken. Doch hierdurch ergaben sich auch neue Probleme. So sind in den meisten Regionen Polens schlicht keine Ausweichquartiere vorhanden, weshalb die säumigen Mieter/innen in permanenter Unsicherheit und Angst vor einer plötzlichen Zwangsräumung leben müssen. Zudem befindet sich ein Großteil der tatsächlich vorhandenen Ersatzunterkünfte in einem erbärmlichen baulichen Zustand, der schlicht als gesundheitsgefährdend bezeichnet werden muss.
 

Vermieterfreundliches Mietrecht

Schließlich betreiben die Vermieterverbände Polens permanent eine knallharte Lobbypolitik, mittels derer sie inzwischen den Mieterschutz im polnischen Mietrecht erfolgreich aushöhlen konnten. Die neueste, Mitte 2010 eingeführte Regelung erlaubt es Vermietern beispielsweise, von den Mietern die Benennung von Ausweichquartieren zu fordern, in die diese im Fall einer Kündigung des Mietvertrags abgeschoben werden können. Angesichts des akuten Wohnungsmangels in Polen entwickelt sich diese Vermieterforderung rasch zum Standardprozedere bei jedem Mietvertragsabschluss, bei dem zumeist irgendwelche Familienmitglieder der Mieter erklären, diesen notfalls Ausweichquartiere zur Verfügung zu stellen. Überdies weigern sich viele Vermieter, die Mieter unter ihren Wohnadressen anzumelden, damit diese den Mieterschutz nicht in Anspruch nehmen können. Obwohl zur Miete wohnend, sind viele Menschen in Polen immer noch in ihrem Elternhaus offiziell gemeldet.

Die Herausbildung eines klar die Vermieter begünstigenden Mietrechts, das beispielsweise halbjährliche Anhebungen von 10% des bisherigen Mietpreises zulässt, geht in Polen einher mit der einseitigen Förderung von Privateigentum im Wohnungssektor. Die rasch forcierte und weitgehend abgeschlossene Privatisierung des genossenschaftlichen Wohnungsbestands zielt nach angelsächsischem Vorbild auf die Herausbildung einer sogenannten Ownership Society (Eigentümergesellschaft). Dieses erstmals von der britischen „Eisernen Lady“ Margaret Thatcher umgesetzte Konzept will eine Schicht von lohnabhängigen Kleineigentümern von Wohnraum etablieren, die eher konservativ und marktorientiert agieren – und die entsprechenden politischen Überzeugungen ausbilden.
 

Zersiedlung durch Wohneigentumsförderung

So verwundert es nicht, dass nahezu alle polnischen Regierungen nach der Durchsetzung der Privatisierung den Immobilienmarkt weitgehend der „unsichtbaren Hand des Marktes“ überließen. Das Laisser-faire im Bauwesen und in der Raumplanung geht gar so weit, dass kaum Raumordnungspläne vorhanden sind, was zu einer rasch fortschreitenden Zersiedlung in vielen – auch landschaftlich einstmals reizvollen – Regionen Polens führt. Das einzige nennenswerte staatliche Förderprogramm im Bausektor, das Rodzina na swoim (= „Familie auf ihrem Grund und Boden“) zielte gerade auf die Förderung von Eigenheimen, deren Bau mit steuerfinanzierten Kreditzuschüssen finanziert wurde. Dementsprechend verschwinden gut drei Dekaden nach der Systemtransformation allmählich die Grenzen zwischen Siedlung und Landschaft, da viele Neubauten mitten in der Landschaft errichtet werden, was zu einem regelrechten urbanen Flickenteppich beispielsweise in vielen Teilen der masurischen Seenplatte führte.
 

MieterEcho Nr. 343 / November 2010


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