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Wohnen nähe Hauptbahnhof

Luxemburger Investoren in der Lehrter Straße

Susanne Torka, Initiative „Wem gehört Moabit?“
 

Dass der Berliner Hauptbahnhof an einer Stelle entstand, wo etliche Hektar Grund und Boden für ein neues Stadtviertel vermarktet werden können, hatte neben verkehrstechnischen Überlegungen genau diesen Grund. Ein Großteil der Flächen gehört der privatisierten ehemaligen Bahntochter Vivico, die 2008 an den österreichischen Immobilienfonds CA Immo verkauft wurde (MieterEcho Nr. 328/Juni 2008). Wegen ihrer Nähe zum Hauptbahnhof wurde die ehemals beschauliche Lehrter Straße für internationale Investoren interessant. Den bisher größten Coup landeten im Abstand von einigen Jahren zwei Immobilienfonds aus Luxemburg, einer Drehscheibe für das internationale Kapital.

 

Im Oktober 2005 übernahm die J. P. Residential V SARL* die Häuser Lehrter Straße 1 bis 4 und 70 bis 75 mit 283 Wohnungen. Zuvor gehörten die Gebäude der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Bewoge/WBM. Seinerzeit wurden viele Bestände landeseigener Wohnungsbaugesellschaften privatisiert und in großen Paketen an internationale Fonds verkauft. Die hohen Wohnblöcke entlang der Lehrter und der Invalidenstraße waren Anfang der 70er Jahre als Sozialer Wohnungsbau errichtet worden. Etwa ein Drittel der Mieter/innen lebt schon sehr lange dort, manche sind sogar noch Erstmieter. Als die ersten Gerüchte über einen beabsichtigten Verkauf an eine Hotelkette aufkamen, versuchten die Mieter/innen den Verkauf zu verhindern. Die Angst vor hohen Mietsteigerungen ging um, und viele befürchteten sogar den Abriss ihrer Häuser. Durch die Arbeit des aktiven Mieterbeirats wurde zumindest erreicht, dass den Käufern für 10 Jahre weder Luxusmodernisierungen noch die Aufteilung in Wohneigentum gestattet wurde. Die entsprechende Anlage zu ihren Mietverträgen erhielten die Mieter/innen jedoch erst kurz vor dem Verkauf – und auch nur dank der Beharrlichkeit des Mieterbeirats.
 

Eckgrundstück für ein Hotel

Es scheint den Investoren weniger um die Wohngebäude gegangen zu sein als um das Eckgrundstück Invalidenstraße/Lehrter Straße, das mit einem Parkhaus bebaut war und im Bebauungsplan als sogenanntes Kerngebiet ausgewiesen ist. Das bedeutet, dass auf dem Grundstück sehr hoch und dicht gebaut werden kann und keine Nutzungsbeschränkungen bestehen. Zurzeit wird dort ein Motel One errichtet, 46 Meter hoch und mit 505 Zimmern. Vor dem Abriss des Parkhauses wurde das zukünftige Hotelgrundstück an die J. P. Commercial III SARL verkauft. Sowohl die J. P. Residential V SARL als auch die J. P. Commercial III SARL gehören zu Jargonnant Partners, einem Private-Equity-Fonds mit Sitz in Luxemburg, Genf und München, der auf der ganzen Welt investiert, den Anlegern auf seiner Website hohe Renditen verspricht und für jedes Objekt eigene Firmen gründet. Ihre Namen werden mit römischen Ziffern durchnummeriert. Laut luxemburgischem Amtsblatt wurde die Firma 2008 in MO Berlin HBF SARL umbenannt und verlegte ihren Sitz in die 46A avenue John F. Kennedy in L-1855 Luxembourg.
 

Zwei Käufer, eine Adresse

2009 wurden in der Lehrter Straße weitere Häuser an einen luxemburgischen Investor verkauft: Lehrter Straße 62 bis 65, Lehrter Straße 56 bis 56d und Kruppstraße 1. Verkäufer war diesmal keine landeseigene, sondern eine bundeseigene Wohnungsbaugesellschaft, die Wohnbau GmbH. Neue Eigentümerin der beiden Hauskomplexe an der westlichen Seite der Lehrter Straße wurde die MLAnna Real Estate SECS**, ebenfalls mit Sitz in der 46A avenue John F. Kennedy. Dieser zweite Verkauf an Luxemburger Investoren schreckte die Anwohner/innen noch mehr auf. Einer von ihnen stellte umfangreiche Recherchen im Amtsblatt an und fand die oben bereits erwähnten Übereinstimmungen der Adressen der neuen – scheinbar völlig voneinander unabhängigen – Eigentümer der verschiedenen Grundstücke. Die MLAnna Real Estate SECS ist eine Tochtergesellschaft der amerikanischen Bank Merrill Lynch Luxemburg und der Colonia Real Estate AG mit Sitz in Köln. Nicht nur in Berlin, sondern auch in Mittenwald wurden Häuser der Wohnbau an diese Gesellschaft verkauft. Da auch die Merrill Lynch German Hotel Investment Holdings SARL ihren Firmensitz in der 46A avenue John F. Kennedy hat, befürchten einige Mieter/innen der Lehrter Straße 62 bis 65, dass eine Umwandlung ihres Wohnraums in Ferienwohnungen oder ein Hotel geplant sein könnte. Auf der anderen Straßenseite hat im Sommer 2010 das A&O Hostel am Hauptbahnhof eröffnet, was insbesondere nachts zu erheblichen Lärmbelästigungen geführt hat (MieterEcho Nr. 337/Dezember 2009).

Zurück zu den bereits 2005 verkauften Wohnhäusern Lehrter Straße 1 bis 4 und 70 bis 75: Sie gehören nun, nachdem sie die fünf Einzel-Firmen J.P. Residential I, II, III, V und VI übernahm, der Ersten JP V Germalux Felicity GmbH & Co. KG. Hier taucht eine Berliner Adresse auf: Einsteinufer 63a. An der gleichen Adresse sitzt auch die Projektentwicklungsgesellschaft für das Motel One, Benz Projektmanagement. Doch findet man in den Einsteinhöfen kein Büro und keine Klingel, sondern nur einen Briefkasten mit Erste, Zweite usw. Germalux Felicity GmbH & Co. KG. Eigentumsverhältnisse, wie sie im Immobiliengeschäft keine Seltenheit sind (MieterEcho Nr. 328/Juni 2008).

Lehrter Straße im Wandel

Zwar haben sich die Befürchtungen der Mieter/innen – noch – nicht bewahrheitet, aber die Unsicherheit bleibt. Im Jahr 2015 – 10 Jahre nach dem Verkauf – wird bei den Häusern Lehrter Straße 1 bis 4 und 70 bis 75 der Verwertung Tür und Tor geöffnet: Umwandlung in Eigentum, Ferienappartements oder teure Modernisierungen. Das alles sind Maßnahmen, die die heutigen Mieter/innen vertreiben würden. Moabit wandelt sich, kein Wunder, denn das Gebiet liegt direkt am Hauptbahnhof in der Nähe des Regierungsviertels. Es gibt immer mehr teure Neubauprojekte. Nicht nur in der Lehrter Straße werden Häuser von internationalen Investoren aufgekauft, die oft hohe Mietsteigerungsmöglichkeiten erwarten. Die Mieten steigen wie überall in der Berliner Innenstadt.
 

* SARL = société à responsabilité limitée; entspricht der deutschen GmbH = Gesellschaft mit beschränkter Haftung.

** SECS = société en commandite simple; entspricht der deutschen KG = Kommanditgesellschaft
 

Weitere Infos:

Eine Kurzfassung der Recherche „Lehrter goes Luxemburg“ ist auf der Webseite der Initiative „Wem gehört Moabit?“ erschienen, mit weiterführenden Links.

Die Initiative trifft sich regelmäßig:
kontakt@wem-gehoert-moabit.de

www.wem-gehoert-moabit.de
 

MieterEcho Nr. 346 vom März 2011


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