Leerstand zu Wohnraum
Proteste gegen die Wohnungspolitik in Hamburg
Avanti – Projekt undogmatische Linke
Ein Bündnis aus über 100 Initiativen, Gruppen und Organisationen mobilisierte für den 23. Oktober zu einer Demonstration unter dem Motto „Leerstand zu Wohnraum“ in Hamburg. Sie richtete sich gegen die stetig steigenden Mieten bei gleichzeitigem Leerstand von mehr als 1,2 Millionen qm Bürofläche und gegen die Wohnungspolitik des schwarz-grünen Senats. Dem Aufruf folgten über 5.000 Menschen.
Bereits Monate zuvor hatten sich verschiedene Initiativen und Aktive im Netzwerk „Recht auf Stadt“ organisiert und traten seither immer wieder durch spektakuläre Aktionen in Erscheinung, beispielsweise durch Fette-Mieten-Partys bei Wohnungsbesichtigungen (siehe MieterEcho Nr. 342/September 2010).
Einige Tage vor der Demonstration, am 16. Oktober, war im Schanzenviertel ein fast komplett leer stehendes, neu saniertes Haus für mehrere Stunden besetzt worden. Obwohl es sich lediglich um eine eher symbolische Aktion handelte, setzte die Polizei auf der Straße gegen die ca. 300 Unterstützer/innen Wasserwerfer ein. Die Aktion erzeugte eine beachtliche Resonanz in den Medien. Und auch nicht nur die derzeit oppositionelle SPD, sondern paradoxerweise auch die in Hamburg mitregierenden Grünen äußerten Verständnis für die Hausbesetzung.
Am Tag der Demonstration selbst füllte sich der Ort der Auftaktkundgebung auf dem Universitätsgelände bei schönstem Wetter schnell mit mehreren tausend Menschen. Das veranstaltende Bündnis „Leerstand zu Wohnraum“ wies darauf hin, dass in Hamburg bei wachsender Einwohnerzahl immer weniger bezahlbarer Wohnraum zur Verfügung stehe. Während man für Wohnungen bei Neuvermietungen durchschnittlich mehr als 10 Euro/qm zahle, stünden Wohn- und vor allem Büroflächen leer, was die Gebäudeeigentümer auch noch steuerlich als Verlust absetzen könnten. Als Symbol dieser völlig verfehlten Baupolitik stellte das Bündnis den 2007 fertig gestellten Astra-Turm im Stadtteil St. Pauli heraus, dessen Gesamtnutzfläche von 11.300 Quadratmetern zu fast 70% leer steht. Dort endete auch die Demonstration.
Bündnis fordert „Recht auf Wohnraum“
Gegen die unhaltbaren Zustände forderte das Bündnis ein „Recht auf Wohnraum“ und die Legalisierung der Besetzungen leer stehender Gebäude – eine nach deutschem Recht weitgehende Forderung. Entlang der Demonstrationsroute kam es zu einer temporären Hausbesetzung und mehreren spektakulären Transparentaktionen auf Hausdächern, die großen Beifall sowohl bei den Demonstrationsteilnehmer/innen als auch bei den Anwohner/innen ernteten.
Der im Bündnis vertretene Mieterverein „Mieter helfen Mietern“ stellte sein Programm zur sofortigen Umwandlung von geeigneten leer stehenden Büroflächen zu Wohnraum vor. Auf diese Weise könnte kurzfristig bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden. Außerdem forderte „Mieter helfen Mietern“ dazu auf, leer stehenden Wohnraum zu melden, um juristisch dagegen vorgehen zu können.
Bemerkenswert war die Vielfältigkeit der an der Demonstration beteiligten Gruppen. Beispielhaft seien die etwa 50 Flüchtlinge aus dem Lager Horst in Mecklenburg-Vorpommern genannt, die sich gegen ihre menschenunwürdige Unterbringung in Lagern wehren, oder die Gewerkschafter/innen von ver.di, deren Hamburger Vorsitzender Wolfgang Rose ebenfalls zur Demonstration aufgerufen hatte. Auch zur Demonstration gekommen waren etwa 100 Unterstützer/innen des Altonaer Museums, welches den Sparbeschlüssen des schwarz-grünen Senats zum Opfer fallen soll. Sie schlossen sich direkt nach einer Demonstration für den Erhalt des Museums der Demonstration „Leerstand zu Wohnraum“ an.
Weitere Mietsteigerungen befürchtet
Während der Demonstration waren zahlreiche selbst gemachte Sprechblasenschilder und viele Transparente zu sehen. Eine Blaskapelle begleitete den Demonstrationszug und die in Schaumstoff gehüllte Performance-Gruppe Schwabinggrad-Ballett trat am Ende vor dem abgesperrten Vorplatz des Astra-Turms auf.
Diesen privatisierten Vorplatz des Astra-Turms hatte die für Hamburger Verhältnisse zunächst sehr zurückhaltend auftretende Polizei abgesperrt. Dort kam es zu ersten Schubsereien und Übergriffen gegen einige Demonstrant/innen. Einen sehr bitteren Nachgeschmack hinterließ ein Polizeieinsatz auf der Reeperbahn, der im Anschluss an die Demonstration stattfand. Mehrere Personen wurden mit dem Vorwurf, eine Spontandemonstration durchgeführt zu haben, eingekesselt, während die Presse nicht an den Ort des Geschehens durfte. Zumindest die Tageszeitung taz prüft nach eigenen Angaben derzeit, ob sie wegen Behinderung eine Fortsetzungsfeststellungsklage beim Verwaltungsgericht einreicht.
Das Thema Mieten gewinnt durch Vorhaben der Regierung zunehmend Brisanz: Die derzeit diskutierte Umlage der energetischen Sanierung auf Mieter/innen soll laut Hamburger Morgenpost Mietsteigerungen von durchschnittlich 100 Euro in Hamburg mit sich bringen – was sich gerade in den unteren Einkommensschichten kaum jemand leisten kann.
Weitere Infos:
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MieterEcho Nr. 344 / Dezember 2010
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