Ein Spaziergang zu den Wünschen für den Kiez
Der erste von drei Kiezspaziergängen führte in Alt-Treptow entlang der Orte der Aufwertung und Verdrängung und endete mit einer Utopie-Werkstatt
Tobias Höpner
Am wunderschönen Herbstnachmittag des 17. Oktober kamen im Karl-Kunger-Kiez in Alt-Treptow an die hundert Anwohner/innen zu einem informativen Spaziergang durch den Stadtteil zusammen. Kiezspaziergänge zum Thema „Aufwertung und steigende Mieten“ hat es hier bereits zuvor gegeben, doch haben bisher nie annähernd so viele Menschen daran teilgenommen.
Der Kungerkiez machte den Anfang in einer Reihe von Kiezspaziergängen, die aus der Vernetzung unterschiedlicher Kiezinitiativen entstanden sind. Auch ist die „Karla Pappel Initiative gegen Mietpreiserhöhungen und Verdrängung Alt-Treptow“ länger aktiv als die anderen beteiligten Gruppen, die „Stadtteilinitiative Schillerkiez“ (Neukölln) und die gerade erst gegründete Initiative „Reichekiez von unten“ (Kreuzberg), die an den beiden folgenden Sonntagen ihre Auftritte haben sollten.
Jugendclub geschlossen
Der gemeinsame Gang durchs Quartier rund um die Karl-Kunger-Straße wurde gelegentlich an einer Straßenecke oder einem Grundstück unterbrochen, damit die Initiative per Megafon über aktuelle Veränderungen berichten konnte. Das erste Thema war die Lage von Kindern und Jugendlichen, die im Gebiet zum großen Teil in Armut aufwachsen. Während immer mehr wohlhabendere Menschen in den Stadtteil ziehen und ihn verändern, wurde mit „Projekt 112“ in der Wildenbruchstraße 37 der einzige Jugendclub im Kiez geschlossen.
Dafür soll Alt-Treptow, wenn es nach der Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) geht, bald einen eigenen Autobahnanschluss bekommen.
Baugruppen im Kungerkiez
Ob es die zukünftig hervorragende Anbindung für Autofahrer ist, die Baugruppenprojekte (siehe MieterEcho Nr. 332/Februar 2009 und Nr. 337/November 2009) im Kiez wie Pilze aus dem Boden schießen lässt?
In der Kiefholzstraße 416-418 berichtete die Stadtteilinitiative von einem neuen Baugruppenprojekt, dem teuersten bisher: 2400 Euro/qm soll dort eine der rund 60 Eigentumswohnungen kosten, Tiefgarage inklusive. Hält Prenzlauer Berg Einzug in Alt-Treptow? Deutlich wird, dass der Kungerkiez baulich aufgewertet wird, denn neben den zahlreichen Baugruppen sind dort mittlerweile auch die ersten klassischen Immobilienentwickler aktiv. Sie investieren in luxuriöse Neubauten (Elsenhöfe) oder schicke Loftwohnungen (Kiefholzstraße 22). Sogar der beliebte Inselmarkt in der Karl-Kunger-Straße 56 muss schließen, da das Grundstück verkauft wurde: Wo bisher Flohmarkt und Fahrradwerkstatt ein soziales Herz des Stadtteils darstellten, soll ein Neubau entstehen.
Utopie-Werkstatt
Auf großes Interesse der Teilnehmer/innen stieß die Ankündigung, dass der Kiezspaziergang am Ende zu einem außerplanmäßigen Ziel führen sollte. Auf dem Gelände des ehemaligen Werkstatthofs in der Krüllstraße 6-10 wurde dazu eingeladen, einen neuen Standort für den Inselmarkt zu diskutieren. Kaffee, Kuchen und Live-Musik überraschten die dort eintreffenden Spaziergänger/innen, und der mit bunten Transparenten geschmückte Hof wurde in Augenschein genommen. Sogleich begannen Gespräche darüber, wofür ein solcher Hof noch dienen könnte. Und plötzlich standen nicht mehr die bedrückenden Zeugnisse der mietpreistreibenden Aufwertung im Vordergrund, sondern die eigenen Wünsche für den Stadtteil.
Weitere Infos und Kontakt:Karla Pappel Initiative gegen Mietpreiserhöhungen und Verdrängung Alt-Treptow |
MieterEcho Nr. 344 / Dezember 2010
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