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EDITORIAL

Mieterecho 343 / Oktober 2010

 
Liebe Leserinnen und Leser,
 

welche Rolle spielen nationale Besonderheiten in Zeiten der europäischen Integration? Welche strukturprägenden Einflüsse gehen von Brüssel aus? Derartige Überlegungen bilden den Hintergrund für das Thema in diesem Heft.

Der polnische Wohnungsmarkt ist stark liberalisiert und entspricht den herrschenden Vorstellungen in Brüssel. Einen sozialen Wohnungsbau gibt es in Polen nicht mehr, das Mietrecht bietet nur einen dürftigen Schutz, und Wohneigentum wird zur prägenden Wohnform, gegenüber der sich die Mietwohnung als Wohnen zweiter Klasse abzusetzen beginnt. Soziale Polarisierungen schlagen sich unmittelbar im Stadtbild nieder. Auf der einen Seite „Gated Communities“ für die Besserverdienenden und auf der anderen Seite Ghettoisierungstendenzen für die Opfer der entfesselten Marktwirtschaft.

Zu den Lehren, die uns unsere östlichen Nachbarn erteilen, gehört, dass die Wohnungsversorgung durch Mietwohnungen ein wichtiger sozialer Schatz ist und dass auf eine staatliche Wohnungspolitik nur verzichten kann, wer bewusst soziale Verwerfungen bewirken will.

In Berlin wird die zerstörende Wirkung von zwei Legislaturperioden ohne Wohnungspolitik und ohne öffentliche Förderung des Wohnungsbaus erkennbar.

Das permanente Geträller der Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) vom entspannten Wohnungsmarkt verschafft niemandem ein Dach über dem Kopf und schon gar nicht ein vernünftiges und bezahlbares. Und ihre Hinweise auf die geringen Wohnkosten in unserer Stadt im Vergleich zu Hamburg und München verringern nicht die Wohnkostenbelastungen der vielen weniger verdienenden Berliner/innen.

Aber die Mieten, ja, die Mieten werden sicherlich steigen, verkündete der alternde Partylöwe Klaus Wowereit auf einer Besichtigungstour im Kreuzberger Graefekiez mit gewohnt fröhlicher Miene.

Wie Recht er hat, zeigt eine Studie über den Richardkiez. Dort sind keine Veränderungen der Sozialstruktur im Sinne einer Gentrifizierung festzustellen und dennoch sind die Mieten seit der letzten Untersuchung vor drei Jahren deutlich gestiegen. So erfolgreich kann Politik sein, die sich durch Desinteresse an den Belangen von über 85% der Bevölkerung auszeichnet. Man muss nur einfach nichts tun, der Markt wird es schon richten.
 

Ihr MieterEcho
 

Wir trauern um Kerstin Gebhardt.

Am 13. September 2010 ist Rechtsanwältin Kerstin Gebhardt verstorben.

Sie hat über 15 Jahre in der Beratungsstelle Tiergarten und lange Zeit auch in Wilmersdorf mit Sachkunde und großem persönlichen Engagement unsere Mitglieder beraten.

In mietrechtlichen Auseinandersetzungen war sie eine streitbare Vertreterin der Mieterrechte.

 

MieterEcho Nr. 343 / November 2010