Die Wohnungsverkaufspolitik frisst ihre Kinder
Für ein Bauprojekt in Prenzlauer Berg sollen Wohnungen abgerissen werden
Carola Handwerg
Wenn Wolfgang Thierse (SPD) „seinen“ Kiez besucht und dazu die Presse einlädt, Stefan Liebig (Die Linke), Direktkandidat im Bezirk, Solidaritätsbriefe verteilt und die Fraktionen der Bezirksverordnetenversammlung sich mit Eilanträgen überfordern, dann reibt man sich die Augen und fragt sich: „Ist schon wieder Wahlkampfzeit?“
Prenzlauer Berg ist zum Paradebeispiel für Gentrifizierung geworden und eignet sich für Wahlkämpfer besonders gut, weil der rasche Bevölkerungswandel – mehr als 80% seit 1990 – noch keine festgefügten Wählerstrukturen hat entstehen lassen. Und Angebotsmieten, die mehr als 50% über dem Mietspiegel liegen, und eine Sanierungsquote von 60 bis 80% in den letzten 20 Jahren werden auch in Zukunft zu einer hohen Fluktuation führen.
Die in der Nähe des Kollwitzplatzes und des Wasserturms gelegenen drei Wohnblöcke muten anachronistisch an. Sie wurden 1961 auf einem zerbombten Brauereigelände errichtet, jeweils mit drei bis vier Aufgängen. Im Sommer verstecken sie sich hinter hoch gewachsenen Bäumen der zur Straßburger Straße offenen Innenhöfe. Die Mieter/innen der 110 Wohnungen wohnen dort überwiegend bereits seit der Errichtung der Häuser. Spricht man mit ihnen, erhält man eine genaue Beschreibung der Fundamente und der unter den Häusern und den Grünanlagen noch vorhandenen Kellergewölbe der früheren Brauerei sowie der Art und Weise, wie aus den Trümmersteinen die Baustoffe für den Bau der Häuser gewonnen wurden. Man erfährt auch, wie nach der Wende die Wohnungen endlich mit modernen Gasetagenheizungen ausgestattet und im Laufe von 50 Jahren die zunächst meist von Familien bewohnten Wohnungen auf das Alter und ein Leben allein oder zu zweit angepasst wurden.
Abriss als „Stadtreparatur“?
Nachdem die Häuser an der Straßburger Straße zuletzt ausländischen Fondsgesellschaften gehörten, meldete sich Anfang Juni 2010 ein neuer Käufer der Wohnanlage und versetzte die größtenteils sehr betagten Mieter/innen in große Aufregung. Der Käufer, die Firma Econcept Immobilien und Projektentwicklung GmbH & Co KG, plant den Abriss von 20 Wohnungen, um auf der so gewonnenen Fläche eine Blockrandschließung vorzunehmen. Der Geschäftsführer der Econcept KG, Rainer Bahr, bezeichnet das zynisch als „Stadtreparatur“. Damit werden die Wohnblöcke zu Hinterhäusern und die luftigen grünen Höfe zu Hinterhöfen. Da gleichzeitig der Bau einer Tiefgarage mit 120 Stellplätzen unter diesen Höfen geplant ist und die Aufstockung der Gebäude um zwei weitere Vollgeschosse, bleibt es weder bei den grünen Höfen noch bei einem ruhigen Lebensabend. Auch das von dem selbsternannten Stadtreparateur als Geschenk angepriesene Blockkraftheizwerk, an das sich die Bewohner/innen ohne Modernisierungsumlage anschließen lassen können, und der Anbau von Aufzügen an die Gebäude dienen wohl eher dazu, Mietsteigerungspotenzial für die jetzt noch günstigen Wohnungen zu schaffen. Allein schon durch die Aufgabe der mietereigenen Gasetagenheizungen würde sich das Mietspiegelfeld ändern, und somit dürfte sich der Verzicht auf die Modernisierungsumlage als Mogelpackung entpuppen.
Fast 50-jährige Wohndauer
Die Econcept KG kann die Mieter/innen in den von Abrissplänen betroffenen Aufgängen nicht zwingen auszuziehen. Der Kündigungsgrund der mangelnden wirtschaftlichen Verwertbarkeit dürfte nicht vorliegen, denn die Gebäude sind bereits teilsaniert und stehen nicht leer, sondern erfreuen sich sogar guter Nachfrage. Auch dürften im Zweifelsfall die Interessen der über 70-jährigen Mieter/innen – mit teilweise fast 50-jähriger Wohndauer – an der Fortsetzung ihrer Wohnverhältnisse gerichtlich höher bewertet werden als das Interesse des Investors an Gewinnoptimierung. Außerdem sind zumeist die Kündigungsgründe des § 573 Abs. 2 BGB auch einzelvertraglich ausgeschlossen worden (Kündigung wegen Hinderung an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung, siehe MieterEcho Nr. 339/ März 2010).
Was tut nun der Bezirk? Das Problem kommt nicht überraschend, da viele Akteure nach dem Wegfall der Sanierungssatzung vor der auf § 34 des BauGB gestützten Nachverdichtung gewarnt haben.
Aufstellungsbeschluss für B-Plan
Seit zwei Jahren wird über einen Schutz vor Nachverdichtung durch die Aufstellung von Bebauungsplänen diskutiert. Am 15. Juni 2010 wurde ein solcher Aufstellungsbeschluss für das betreffende Gebiet gefasst. Darin wird zwar eine Nachverdichtung nicht prinzipiell ausgeschlossen, jedoch so begrenzt, dass der Investor in der Straßburger Straße nicht alle seine Pläne verwirklichen kann. Es folgen nun die Diskussion des Aufstellungsbeschlusses, die Auslage des Bebauungsplans und das Verfahren zur Bürgerbeteiligung. Angesichts der Tatsache, dass weit mehr als 50% der betroffenen Mieter/innen an der Sitzung des Ausschusses für Stadtentwicklung teilgenommen haben, in der Geschäftsführer Bahr den Ausschussmitgliedern seine Pläne unterbreitet hat, ist mit einer großen Bürgerbeteiligung zu rechnen. Interessant dürfte sein, dass die Vertreter von SPD, Grünen und Linken die Pläne einhellig in ihren Stellungnahmen abgelehnt haben und damit über die Vorschläge des Bezirksamts im Aufstellungsbeschluss, der eine Blockrandbebauung nicht ausschließt, hinausgegangen sind.
Damit war nicht unbedingt zu rechnen, denn Bahr präsentierte sich als ehemaliges aktives Mitglied der Grünen. Er versuchte, mit der Drohung, dass nach § 34 BauGB eine weitaus höhere Nachverdichtung möglich wäre, und mit angeblichen „Sozialplänen“ für die Mieter/innen Stimmung zu machen. Dass ihm das nicht gelungen ist, ist hoffentlich nicht nur dem eingangs geschilderten vorgezogenen Wahlkampfauftakt der Parteien im Stadtteil Prenzlauer Berg zuzuschreiben.
Die drei Wohnblöcke an der Straßburger Straße gehörten ursprünglich der Genossenschaft der Mitarbeiter der Humboldt-Universität, einer Arbeiterwohnungsgenossenschaft (AWG). Die Genossenschaftsmitglieder erhielten durch zahlreiche Stunden gemeinnütziger Arbeiten einen Anspruch auf jene Wohnungen, die als „Zwei/Zwei-Halbe“ (2 Zimmer plus 2 halbe Zimmer) bezeichnet wurden. Rund 15 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war eine solche für viele Familien die erste eigene Wohnung. Nach der Wende musste die AWG mehrere Häuser aufgrund des Altschuldenhilfegesetzes verkaufen. Die Bewohner/innen gründeten eine eigene Genossenschaft, die Wohnungsbaugenossenschaft Mendelssohn-Viertel eG, um nicht an einen privaten Investor verkauft zu werden. Diese führte teilweise umfangreiche Sanierungsmaßnahmen durch, unter anderem in ebenfalls dieser Genossenschaft gehörenden Plattenbauten in der Nähe des Alexanderplatzes. Im Jahr 2004 meldete die Mendelssohn-Viertel eG Insolvenz an. |
Die Rechtsanwältin Carola Handwerg ist Rechtsberaterin der Berliner MieterGemeinschaft. Weitere Infos unter: www.chandwerg.de
MieterEcho Nr. 343 / November 2010
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